Kapitel 7

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Ich erstarre. Das ist mein Chef! Mein. Chef! Ich liege in den Armen meines Chefs, der mich tröstet. Das macht man eigentlich nicht. Das gehört sich nicht. Ich kenne so eine Form nicht, aber ... es fühlt sich schon irgendwie ein kleines bisschen schön an. Es existieren doch Mitarbeiter, die sich sehr gut mit ihren Vorgesetzten verstehen und da umarmen sie sich doch auch. Er unterstützt mich emotional. Und er riecht so gut. Und er ist schön warm. Warm wie der Sommer, obwohl seine Augen so kalt wirken. "Geht es wieder?" Ich nicke, schniefe einmal. Ich will gar nicht wissen, wie rot meine Augen sind. Es reicht nur eine Träne und meine Augen werden sofort rot. Gerade ist aber sicherlich mein Gesicht ebenso rot, als ich mich beschämt von ihm trenne. "Tschuldigung", setze ich nuschelnd an. Ich brauche dringend ein Taschentuch, sonst kriege ich bald wegen meiner verstopften Nase keine Luft mehr. "Ich wollte Sie nicht überfallen." "Das macht nichts." Ach so, also darf ich öfters mit ihm kuscheln? Er hat den perfekten Rumpf dafür. Ich darf aber nicht zu lange starren. Daher kommt es geradezu perfekt, dass ich mir ein Taschentuch nehme und mir meine Sauerstoffzufuhr zurück schnäuze. "Ja", seufze ich nachdenklich. Kurze Zeit darauf schaue ich wieder in seine besorgten Augen. "Es hat mich sehr emotional gemacht, weil ich mich das erste Mal jemanden öffnen konnte." Und kaum erzähle ich ihm das, verschwimmt er vor meinen Augen.

"Wissen Sie, wie schwer es für eine Frau ist, sich in einem männerdominierten Beruf durchzusetzen? Die ganzen Vorurteile, die unangebrachten Kommentare und übergriffigen Aktionen? Ich liebe Lippenstifte über alles, aber nach und nach habe ich es in meinem alten Job abgesetzt, weil ich entweder fertiggemacht wurde, keiner nahm meine Probleme ernst und Männer sahen es als Einladung." Und das tut mir bis heute noch weh. Ich habe mich so gefreut, sobald ich einen neuen Lippenstift hatte und ihn direkt am nächsten Tag im Büro tragen wollte. "Die anderen trugen doch auch welchen! Nicht unbedingt rot, aber sie schminkten sich auch. Wieso ist es bei mir anders? Warum sagt man bei mir, dass es doch typisch ist, dass wir auffallen wollen. Was heißt das?" Das macht mich wieder so wütend. So sehr, dass ich frustriert in mein Taschentuch seufze. "Es war schwer, die einzige nicht weiße Person dort zu sein. Ich bin froh, dass Narin da ist." "In meiner Firma wird kein Rassismus geduldet." Und dafür bin ich ihm dankbar. Auch, dass er mich ernst nimmt. Dass ihn meine Geschichte berührt. So sehr, dass er angespannt ist. Dass sein Kiefermuskel hervorsticht. Dass seine Haltung breiter wird und er sich zu mir hinunterbeugt, sodass meine Haltung nicht mehr als einzige gekrümmt ist. "Sie müssen das nie wieder allein durchmachen. Sollte irgendetwas geschehen, wenden Sie sich sofort an mich." Oh, wenn er nur wüsste, wie gern ich ihm wieder um den Hals fallen will. "Danke, ..." Ich halte inne. Moment. Wie heißt er eigentlich?

"Wie ist Ihr Name?", murmele ich. Oh nein, seine Augenbrauen heben sich überrascht. Mir wird heiß vor Scham. "Sie kennen meinen Namen nicht?" Ich verneine es kopfschüttelnd. "Sie kennen aber doch wohl meinen Nachnamen, oder?" Er schaut mich erwartungsvoll an. Oh Gott, wieso muss es so ans Licht kommen? Ich will aus Scham nicht einmal den Kopf schütteln. Sein schockierter Ausdruck hindert mich daran. "Shirin, Sie wollen mir erzählen, dass Sie den Namen der Person nicht kennen, der die Firma gehört und für den Sie arbeiten?" "Tut mir leid. Ich bin noch neu", murmele ich. Was soll ich machen? Ich war so aufgeregt und die Abkürzung der Firma sagt mir nun mal nichts. Ich habe nicht nachgefragt. Mein Chef fährt sich angestrengt über sein Gesicht. Er trägt keinen Ring, aber er würde seiner schönen Hand stehen. "Shirin ..." Er seufzt wieder. "Tut mir leid. Ich werde ihn lernen, versprochen." Das ist mir so peinlich! Ich wollte erst klarkommen und da er so trocken ist, dachte ich mir, dass ich ihn niemals mit Namen ansprechen muss und dass er nur mit Boss oder Chef angesprochen werden will. Das kann er mir bei seiner Laune nicht verübeln! "Wie heißen Sie denn?" Und schon wieder steht die blanke Fassungslosigkeit in seinen schönen, blauen Augen geschrieben. Wie sehr kann ihn eine einfache Frage überfordern? "Hat Narin nicht einmal meinen Namen erwähnt?" "Nein. Wir haben über Wichtiges gesprochen." In einem Bewerbungsgespräch werden Kompetenzen nachgeprüft und nicht, ob man den Namen des Chefs kennt. Also bitte. Er soll nicht so dusselig sein.

Tollpatschige LiebeWhere stories live. Discover now