Kapitel 45

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Ich reiße atemlos meine Augen auf. Der Stress rast als pures Adrenalin durch meinen Körper, als ich mich aufsetze und sofort in Mirans besorgten Augen sehe. Er erhebt sich augenblicklich und kommt auf mich zu. "Ganz ruhig, Shirin. Es ist alles in Ordnung." Er nimmt meine Hand von meinem Hals, um mich vom Juckreiz abzuhalten, und nimmt mein Gesicht in seine Hände. "Alles ist in Ordnung." Es ist ganz still. Ich bin im Krankenhaus. Mir ... mir geht es gut. Ich bekomme Luft. "Bekommst du gut Luft?" Ich ... ja. Ich bekomme Luft. Wenn ich Schlucke, tut es ein wenig weh, aber sonst geht es. "Darf ich Tee trinken? Mein Hals tut weh." "Du musstest intubiert werden." Miran verzieht bei der Erzählung leidend sein Gesicht. "Dein Hals ist rapide angeschwollen. Kurz nach deiner Ohnmacht waren die Rettungskräfte schon da." "Aber ich habe keine Erdnüsse gegessen, Miran." Habe ich doch eine Kreuzallergie entwickelt? Mirans Züge verhärten sich und auch der Griff um meine Wangen ist merklich gröber, weshalb er ablässt. "Wo ist Narin?" "Sie sagt gerade aus." Wie? Ich blinzele Miran verwirrt an, während er mir ein Glas Wasser einschenkt. Erst jetzt fällt mir die Infusion auf, die an meiner Ellenbeuge hängt - ich schaue sofort weg. Nadeln im Körper sind gruselig und kein Grund, sie allzu lang zu betrachten. 

"Wo sagt sie aus?" "Die Polizei steht an der Tür. Sie werden auch mit dir sprechen." "Aber ich habe doch nichts gemacht." Oder? Miran fährt sich seufzend über seine Stirn. "Die Teriyaki-Soßen, die dir gegeben wurden, waren mit Erdnusssoße untermischt. Nur die beiden. Der Mann ..." Miran atmet tief durch, bemüht sich allen Kräften, um mich nicht mit seinem Zorn zu verschrecken. "Die, die mir der Mitarbeiter gegeben hat?" Bevor er antworten kann, tritt Narin wieder ein und rennt erleichtert auf mich zu, um mich zu umarmen. Mit ihm tritt noch ein Mann ins Zimmer. Er kommt mir bekannt vor. "Gott sei Dank geht es dir gut", murmelt Narin. "Da sehen wir uns wieder", lächelt der andere Mann. Diese braunen Knopfaugen. Das ist doch der tolle Nasenkratzer! "Haben Sie mir nicht einmal die Nase im Aufzug gekratzt?" "Es freut mich, dass ich für meine Kompetenz bekannt bin." "Sidar", setzt Miran warnend an, als er sich über sein Gesicht fährt. "Du kannst deine Aussage gegen Ba-," "Mustafa ist höchstens euer Vater, nicht meiner", unterbricht Miran scharf seinen Bruder. Der Blick, den er Sidar schenkt, sorgt dafür, dass ich mich weiter in Narins Armen verstecke. Unter Mirans ruhiger Fassade brodelt unfassbar viel Wut. Er zittert deshalb schon, als er sich richtet und den Raum verlässt. 

Ich bin immer noch verwirrt. Was hat der Vater gemacht? "Was ist passiert?", wende ich mich an Narin, die mir meine Haare zurückstreicht. "Der Mann, der dir die Soßen gegeben hat, war unser ... Erzeuger." Meine Augen weiten sich. Mir wird eiskalt. "Aber ... die Teriyaki-Soße ..." "Es wurde Erdnusssoße untergemischt. Wir vermuten, dass es nur in den beiden Schälchen war, die du gegessen hast, denn andere Mitarbeiter mit Erdnussallergien haben keine Symptome gezeigt." Aber ... wieso tut man so etwas? Ich habe doch gar nichts getan! Ich schaue Narin und Sidar fassungslos an. "Aber ich dachte, er wäre sehr krank?" "Dachten wir auch", erwidert Sidar seufzend. "Hass gibt einem genug Energie, um einen letzten Versuch zu wagen. Zu dumm, dass Miran die Überwachungskameras erweitert hat. Er kommt aus dieser Sache nicht raus." Ich bin fassungslos. Selbst, als ich von der Polizei ausgefragt werde, verstehe ich kaum etwas. Warum will man mir so etwas antun? Ich habe verstanden, dass Mirans Vater eigen ist, aber dass man dafür den Tod einer Person herbeiführen möchte? Das verletzt mich. Ich muss mir wieder über meine Augen wischen, wie ich es schon bei der Aussage machen musste. 

Ich nippe schniefend an meinem Fencheltee, den Miran mir gebracht hat. Ich muss einen Tag hierbleiben und da Miran mich nicht aus den Augen lassen will, wird auch er hier im Privatzimmer bleiben. Ein paar Pflanzen würden dem Interieur guttun. Narin ist gerade auf dem Weg, mir meinen Kulturbeutel zu bringen. Mit Sidar habe ich mich leider nicht allzu sehr unterhalten können, vor allem, weil er als Stellvertretung noch einige Aufgaben zu erfüllen hat, aber er wird uns zum Essen einladen, sodass wir uns prächtig unterhalten können. Er ist auf jeden Fall der aufgeschlossenere, extrovertierte Bruder, wobei ich Miran seinen aktuellen Gemütszustand nicht verübeln kann. Er ist seitdem nahezu verstummt, schreckt bei jedem Niesen, Husten und Verschlucken meinerseits auf, aus Angst, ich kollabiere wieder. "Hast du genug gegessen? Soll ich dir etwas besorgen?" "Alles gut." Ich bin nicht mehr hungrig, zumal ich aus Angst aktuell nichts essen würde außer Gurken oder Wassermelone. Mein Tee reicht mir. "Es tut mir leid, Shirin." "Hör auf, Miran." Das ist schon das dritte Mal in kürzester Zeit, dass er sich für etwas entschuldigt, was nicht seine Schuld ist. Ich ziehe ihn an seiner Hand zu mir, damit ich ihn umarmen kann. Miran seufzt in meine Halsbeuge, als er sie erst vorsichtig erwidert, dann aber immer fester zudrückt. "Es ist nicht deine Schuld." "Ich habe die Panik in deinen Augen gesehen. Du lagst leblos in meinen Armen." "Du hast mich gerettet." Ich verstärke den Druck.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt