Kapitel 1

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Oh Gott! Mein erster Arbeitstag in der neuen Stadt! Ich habe Mama versprochen, sie jeden Tag zu erreichen, damit sie und der Rest meiner Familie mich nicht allzu sehr vermissen werden. Es war schon traurig meine vier Brüder zu verlassen und meine Eltern und die ganzen anderen, die ich dank meiner Familie kennenlernen durfte und musste, aber ich bin auch froh, meinen Wunsch in die Realität umgesetzt zu haben. Ich bin so aufgeregt und kann nicht einmal eine Sache machen, ohne direkt auf die nächste Sache zu springen, weswegen der Saft fast auf meiner Bluse landet - aber nur fast! "Wo ist mein Rock?" Frustriert wegen des Verlusts föhne ich mir mein Haar in meinem Zimmer und suche hektisch nebenbei meinem beigen Bleistiftrock. Eigentlich würde ich eher in einem roten Kleid zur Arbeit gehen, aber ich habe gelesen, dass Bleistiftröcke sehr oft getragen werden, weswegen ich mir ganz viele von diesen komischen Röcken angeschafft habe. Ich grinse triumphierend, als ich den gesuchten Rock endlich finde und ziehe ihn mir über, während ich mir meine Haare zu Ende föhne, stopfe mir daraufhin meine weiße Bluse in diesen Rock und setze mich an meinen Schminktisch. So! Glätteisen ist an, Haare wieder durch das Hitzeschutzspray anfeuchten und dann beginne ich wieder mit dem Föhnen. Ich liebe meine Haare zu sehr, um sie schneiden zu müssen, weswegen ich viele Vorsichtsmaßnahmen ergreife. Mit dem Kamm versuche ich so schmerzfrei wie möglich, meine Locken zu kämmen und muss bei den großen Knoten echt die Zähne zusammenbeißen.

Meine Kopfhaut pocht, aber das Ergebnis belustigt mich. Ich sehe aus wie eine braune Wolke. Oder wie mein Lieblingsschaf, das am Opferfest vor sieben Jahren am Ende vor mir serviert wurde. Ich werde ihn niemals vergessen. Aber ich darf deshalb nicht schon wieder emotional werden und weinen, wenn ich heute meinen ersten Arbeitstag habe. Zusammenreißen! Ich schlage verdeutlichend mit der geballten Faust auf meinen weißen Tisch, woraufhin ich nachschaue, ob mein Glätteisen auch wirklich warm ist. Ich zische auf und küsse meinen Zeigefinger, der noch während des ganzen Glättens pocht. Mein Vorstellungsgespräch lief gut. Die Frau war sehr nett und schien mir wirklich sympathisch zu sein und ich hoffe, dass alle so sympathisch sind wie sie. Ich parfümiere mich noch und schaue in den Spiegel. Augenbrauen sind gezupft, Haare glatt, man sieht nichts durch - perfekt. Jetzt fehlt nur noch mein Lippenstift. Dafür reiße ich meine gefüllte Schublade auf. Welchen meiner 95 Lippenstifte soll ich benutzen? Den Roten! Ich hole aus meinem Schrank ein Paar beige High Heels raus und bete wieder, dass ich heute nicht hinfliege. Zwei Wochen habe ich mit High Heels die Wohnung geputzt, damit ich lerne auf ihnen zu laufen und wenn ich heute vor meinem Chef hinfliege, dann gehe ich wieder zurück zu meinen Eltern. Im alten Büro-Job war das noch entspannter, aber nach fast fünf Jahren Berufserfahrung und Aufstieg als Assistentin muss auch ein ordentlicher Dresscode her. Ich laufe in die Küche und esse wieder etwas, vor lauter Nervosität, denn wenn ich nervös bin, kriege ich immer Hunger und Schluckauf und kann nicht aufhören zu reden und zu denken. Mit der größten Vorsicht esse ich den Blaubeerjoghurt und putze mir vorsichtshalber noch einmal die Zähne, bevor ich mir meine Tasche nehme und in meinen roten Käfer steige.

Ich spiele zur Beruhigung Man in the Mirror ab, um leise mitzusingen. Nebenbei schaue ich mir jede Straße an, muss aber manchmal auch auf den Verkehr achten. "Gott, wo ist es denn?" Schon beim Vorstellungsgespräch hatte ich Probleme, zu wissen, wo ich bin. Ich ziehe verzweifelt meine Augenbrauen zusammen, aber habe das Gefühl, meinem Arbeitsplatz näherzukommen, denn ich sehe immer mehr Männer in Anzügen herumlaufen. Als mir mein Navi sagt, dass ich mein Ziel erreicht habe, parke ich meinen Käfer zwischen den ganzen schwarzen Autos und steige aus. Mein Auto ist das Einzige, das wirklich heraussticht. Toto war eben schon immer etwas Besonderes. Ich drehe mich um und stehe vor dem riesigen dunkelgrauen Gebäude. Eine riesige Fensterfront übermannt die Vorderseite und verleiht dem Gebäude gewisse Souveränität. Lüften sollte dort kein Problem sein. Ich laufe die Treppen hoch, halte aber noch vor der Drehtür inne für ein kleines Bittgebet. "Gott steh mir bei", flüstere ich und laufe in das Gebäude rein, wo ich von einer frischen Brise empfangen werde. Also wird hier gelüftet! Vielleicht ist das eine verankerte Arbeitsmoral. Vielleicht wird man auch gefeuert, wenn man nicht lüftet. Ich muss mich erkundigen. Im Winter werde ich also frieren und im Sommer nicht schwitzen. Ich steige in den Aufzug und halte die Tür für einen Mann offen, den ich aber nicht ansehe, weil ich zu nervös bin und die ganze Zeit auf meine Füße starren muss, um nichts anderes machen zu müssen. Als sich die Türen schließen, beginne ich schon vor Aufregung zu hicksen. Habe ich überhaupt den Knopf gedrückt? Ich schaue prüfend auf die Etagenknöpfe und bin erleichtert, dass die 20 doch gedrückt wurde. Ich gebe ungewollt ein weiteres, lauteres Hicksen von mir, weswegen ich mir in den Oberschenkel zwicke.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt