Kapitel 21

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Ich weiß nicht, ob er die Nudeln bestellt hat, weil es etwas ist, was fast jeder mag oder weil er mir die offene Rechnung damit unter die Nase reiben möchte. Es sieht aber gut aus. Sehr gut sogar. Vor allem die frittierten Garnelen. "Falls Sie keine Nudeln möchten, gibt es auch Reis." "Alles gut. Ich esse alles außer Erdnüsse." "Stimmt. Sie reagieren stark allergisch. Haben Sie immer gewisse Medikamente dabei? Wie hat man im Notfall zu reagieren, außer den Notruf zu wählen?" "Ich habe immer meinen Epi-Pen bei mir. Den spritze ich mir in den Oberschenkel." "Nur das?" "Vielleicht noch eine Tüte oder einen Mülleimer in der Nähe, falls meine Atemwege nicht geschwollen genug sind, um zu brechen." Miran schaut mich besorgt an. "Wann war der letzte Anfall?" Puh, das ist eine sehr gute Frage. "Ich müsste 13 oder 14 gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr. Jemand hatte Geburtstag und für jeden aus der Klasse Süßigkeiten mitgebracht. Unter anderem Snickers und dann habe ich herausgefunden, dass ich hochgradig allergisch auf die Dinger reagiere. Ich erinnere mich kaum noch daran. Nur wie ich auf einmal kaum noch etwas mitbekommen habe, nachdem die Panik nachgelassen hatte. Das lag an der mangelnden Luftzufuhr", erkläre ich ihm. Seine Augenbrauen sind besorgt zusammengezogen. Es ist auch nichts, was man verharmlosen kann.

"Und kommt es nur dazu, wenn Sie Erdnüsse konsumieren?" "Zum anaphylaktischen Schock, ja. Ansonsten reicht es, wenn Erdnüsse ungeschützt in meiner Nähe sind, um leichte bis starke Ausschläge bei mir auszulösen. Je nachdem, wie viel Glück ich habe." Seine Hand fährt nachdenklich über sein Kinn, als er auf das Essen schaut. "Und mit chinesischem oder japanischem Essen hatten Sie nie Probleme? Da können doch Spuren von Erdnüssen enthalten sein." Vielleicht ist das der Grund, warum ich öfter bei Nudeln oder Sushi Bauchbeschwerden habe. "Bis jetzt gab es keinen Notfall." Das scheint ihn jedoch nicht zu beruhigen. Er wirkt zwiegespalten, als ich die ganzen Alu-Boxen öffne. Uh! Sushi! Die Rechnung von über 500 Euro ploppt wieder auf, doch als ich Gunkan Maki mit Thunfischcreme sehe, vergesse ich es wieder. "Das ist eines meiner Lieblinge. Am besten ist Sushi mit Mayonnaise." "Sie tunken Ihr Sushi in Mayonnaise?" "Immer!" Das ist das Beste! "Erst in etwas Sojasoße und dann in Mayo. Sie müssen es probieren." Warum schaut er so? "Gucken Sie nicht wie ein Auto. Holen Sie lieber Mayonnaise." Statt zum Kühlschrank zu gehen, schaut er auf die Wanduhr über dem Flachbildfernseher. "Wir haben noch Zeit, um eine Flasche-," "Sie haben keine Mayo zu Hause?!" Dieser Mann ist stinkreich, besitzt aber keine Mayo?

Er hält ertappt inne, ich kann es nicht fassen! "Sind Sie ein Ketchup-Fan?", frage ich entgeistert. Seine Hand fährt über seinen Mund. Was soll mir sein verstecktes Lächeln sagen? Dass er Senf bevorzugt? "Sagen Sie es mir!" "Ich habe weder das eine noch das andere." Unmöglich. Ich keuche entsetzt, halte mir schon dramatisch die Brust. Er besitzt einen Aufzug im Haus, aber weder Ketchup noch Mayo? In was für einer Parallelwelt bin ich gelandet? Hat er Angst, dass es seine Gefäße verstopft? "Sie besitzen eine Firma, aber keine Mayo?" "Finden Sie, man kann das in Relation setzen?" "Natürlich!", erwidere ich empört. Ein Mann seiner Größe und seines Vermögens kann alles besitzen und ihm fehlt Mayonnaise! "Mayonnaise!" "Richtig." Er nickt belustigt, obwohl es überhaupt nichts zu lachen gibt. Im Gegenteil. Er zeigt sich damit nur noch trostloser. "Mayonnaise!", brülle ich schon fast. Mir wird warm vor Aufregung. Wie kann dieser Mann keine Mayonnaise besitzen? "Ich hole Ihnen Ihre Mayonnaise, Shirin. Beißen Sie mich bitte nicht." "Werde ich aber!" Als würde das Wetter genauso wütend auf ihn sein, blitzt es genau dann, als ich mit der Faust auf meinen Schenkel schlage. Ich habe meinen ersten Kuss an einen Mann ohne Mayonnaise verloren. Wie wenig Ansprüche habe ich nur?

Er möchte wieder zum Verteidigen ansetzen, doch sein klingelndes Handy unterbricht ihn. Wer auch immer ihn anruft, scheint Miran damit zu verwundern. "Ja?" Seine Augenbrauen heben sich. "Wir kommen sofort." Daraufhin legt er auf und schaut zu mir. "Ihre Alarmanlage ist angegangen." Wie? Warum schreit Toto? "Warum? Was ist passiert?" "Haben Sie Ihr Auto abgeschlossen?" Das ist eine sehr gute Frage. Ich schnappe mir meine Schlüssel und steige wieder in High Heels in den Aufzug mit ihm. Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen. "Was ist, wenn der Mann einfach in Ihre Wohnung dringt?" "Das wird er nicht." "Und wenn doch?" "Dann wird es Konsequenzen mit sich tragen, aber darum müssen Sie sich keine Sorgen machen. Kümmern Sie sich lieber um Ihr Auto." Oh Gott, ich höre Toto schon. Warum geht der Alarm los? Habe ich das Auto wirklich nicht abgeschlossen? Ich renne in den Regen hinaus zu Toto, um zu realisieren, dass ich mein Auto wirklich nicht abgeschlossen habe! Oh! Ich tue es schnell und entlaste alle Nachbarn damit. Jetzt wieder schnell zurück ins Trockene. Durch die Nervosität auf dem Weg hierhin habe ich das komplett vergessen. Ein Glück ist Toto nichts passiert. Gott, ist es kalt! Ich zittere schon, obwohl ich keine Minute im Regen stand.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt