Kapitel 47

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"Grün", lautet meine Antwort. "Oder doch orange?" Jetzt bin ich mir doch nicht sicher. Ich seufze. Miran hat es da viel leichter mit seinem schwarzen Anzug. Ich muss hunderte von Stoffen für mein jilê kurdî durchgehen. Die Location steht schon. Wir nehmen den Steg und unseren Garten für die kleine Hochzeit. Der Blutdruck meiner Mutter schoss fast in den 150er-Bereich, als ich ihr erzählt habe, dass ich keine Lust auf all die 500 Gäste habe, doch ich konnte ihr schnell Vernunft einreden. Miran hat die 70.000 Euro, um so eine Hochzeit zu finanzieren, aber wir nicht – er würde es sowieso nicht zulassen. Außerdem wäre es eine pure Geldverschwendung. Jetzt sitze ich hier auf unserem kalten Mosaikboden im Flur mit Narin, die sich den sechsten Stoff an ihren Körper schmiegt und vor dem riesigen, goldenen Spiegel posiert. Alles ist ein riesiges Chaos. Würden wir nach Miran gehen und jemanden beauftragen, wäre das Haus schon gefüllt, aber ich traue niemanden, der freiwillig seinen Kaffee schwarz trinkt. Ich kümmere mich selbst darum. Er soll mir einfach nur seine schwarze Karte geben und gut ist. "Ich nehme dunkelblau. Das steht mir", murmelt Narin verträumt. Da kann ich ihr zustimmen. Mit einem Smokey-Eye-Look um ihre bernsteinfarbenen Augen wird das super aussehen, aber was soll ich machen? Ich seufze. Ich liebe Orange, aber Grün ist auch toll. "Narin", jammere ich. "Ich habe doch schon gesagt, das Grüne." "Ja, aber meine Lieblingsfarbe ist Orange", schmolle ich. Ich möchte meiner liebsten Farbe an meinem wichtigsten nicht Tag fremdgehen! 

Ich habe nicht einmal orangene Unterwäsche! Nur ungewöhnlich viel in Blau. Das macht mich fertig. Ich hickse gestresst. Wer klingelt jetzt? Ich stolpere über die ganzen wunderschönen Stoffe, als ich die riesige, braune Holztür öffne, nur ziehen sich meine Augenbrauen bei der älteren Frau zusammen. Ist das meine Nachbarin? Hier sind doch weit und breit keine Häuser. "Hallo", murmele ich. "Was willst du hier?", faucht Narin hinter mir. Ich zucke zusammen, als sie mich von der Tür verzerrt. Meine Arme pochen von ihrer Kraft. Was ist los? "Ich komme in friedlicher Absicht." "So, wie dein schäbiger Mann, nicht wahr?" Ist das die Mutter? Ich schlucke unwohl. Mich machen solche Auseinandersetzungen öfter nervös. Ich stelle mich unsicher hinter Narin, die ihren Arm versperrend zum Türrahmen ausgestreckt hat. "Woher hast du die Adresse?", schreit Narin weiter. Sie zittert vor Wut. Ich bin überfordert. Der Vater wusste auch von meiner Erdnussallergie und jetzt steht die Mutter vor unserem Haus. Muss ich mir in der Zukunft weitere Sorgen machen? Ich muss es Miran erzählen, auch wenn ich ihn nicht belasten möchte. "Narin, ich bitte dich. Ich habe keine schlechten Intentionen." Die Mutter schaut an ihr vorbei, direkt in meine Augen. Mein Magen zieht sich zusammen. Mir wird warm, weil ich ihretwegen nervös hickse.

"Ich möchte dir deine Brautgabe geben." Meine Brautgabe? Aber Miran hat diese schon längst beglichen. Narin schaut skeptisch zu mir. Was soll ich darauf antworten? Ich habe mich diesem Besuch absolut nicht gerechnet. "Ich ... aber Miran hat sie mir schon gegeben." "Ich möchte meinen Anteil dazu beitragen." Die Mutter zieht einen weißen Umschlag und eine mittelgroße Schatulle aus ihrer Tasche. Aus diesem Winkel sieht sie Narin besonders ähnlich. Das werde ich ihr jedoch nicht sagen, wenn sie ihre Mutter so verachtend ansieht. "Nimm es bitte. Ich weiß, dass ich nicht die Chance haben werde, meine Schwiegertochter willkommen zu heißen." Narin reißt es ihr wütend aus der Hand und knallt die Tür zu. Ich bin nach wie vor überfordert. Narin stellt beides frustriert auf der antiken Kommode ab und schaut mich wortlos an. Weil ich jedoch keinen Satz formulieren kann, fummele ich an meinen langen Fingernägeln. Ich habe Mitleid mit der Mutter, aber nur, weil ich diese Szene miterleben musste. Die Empathie ist die Stärke und Schwäche der menschlichen Seele. Vielleicht steckt doch ein guter Kern in ihr, den sie wegen ihres tyrannischen Ehemannes verstecken musste. "Alles okay?" Narin nickt und lenkt sich mit den Stoffen ab. Sie möchte nicht darüber sprechen, was ich verstehe.  

Nur plagen mich die Gewissensbisse wegen der Mutter. Ich fühle mich so schuldig, dass ich ihr nicht die Möglichkeit gegeben habe, mit mir zu sprechen. Vielleicht ... ach. Keine Ahnung. Vielleicht habe ich auch bloß Mitleid, weil ich auch mal so behandelt wurde, aber im Gegensatz zu ihr hat man mich nicht gehasst, weil ich Misshandlung zuließ und gut geredet habe. Ich weiß nicht. Mich verlassen die Gedanken beim betrübten Durchsuchen der Stoffe nicht. Ein kleines Gespräch wäre eventuell gut gewesen, doch ich möchte weder Narin noch Miran hintergehen. Ich seufze leise. Mir fehlt jegliche Konzentration und Lust, sodass ich die Modeschau für heute beende. "Hast du Hunger?" "Schon. Kannst du wieder dieses Thunfisch-Avocado-Sandwich machen?" Ich lächele. Narin liebt meine Sandwichkreationen und dadurch, dass wir Sommer haben, bestehen die meisten Gerichte aus Sandwiches, einer kleinen Beilage und selbst gepressten Saft. Heute steht mein heißgeliebter Maracuja-Kiwi-Zitronen-Saft gekühlt auf der Arbeitsplatte aus grünem Onyx. Ich war sofort verliebt in die hellgrünen und beigen Maserungen des schönen Materials. Miran ist gerade noch in einer Besprechung für eine anstehende Kooperation. Die Paste und der Teig für das Lahmajin stehen schon bereit. Miran hat sie ganz gern, ich eher nicht. Ich bevorzuge die vegetarische Version mit der Paste bestehend aus gemahlenen Koriandersamen und Tomatenmark.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt