Kapitel 26

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Ich bin fix und fertig. Nicht nur mit meinen Nerven, sondern auch mit meinem gesamten Körper. Ich bin so voll, dass ich neben Miran watschele wie eine Hochschwangere. Nach den Pommes war ich pappsatt, aber irgendwie hatte ich noch Platz für einen Birria Taco - dass es ebenso scharf ist, musste ich hinnehmen. Es hat sich gelohnt, auch wenn mir jetzt so schlecht ist, dass ich nie wieder in meinem gesamten Leben essen möchte. Das Problem ist, dass ich noch Haarpflege benötige. Ohne meine Längen zu ölen, gehe ich nicht schlafen. Mein größtes Problem aktuell sind jedoch meine Schenkel. Es tut verdammt weh und der Weg zum Auto dauert noch eine Weile. "Denken Sie, wir finden einen Parkplatz in der Nähe des Shops?" "Ich bin zuversichtlich, Shirin." Wäre ich auch, wenn meine Schenkel von einer Hose getrennt werden, statt aneinander zu schleifen. Kaum verlassen wir den Markt, halte ich ihn fest. "Pause", ächze ich. Mein Bauch ist zu voll. Ich höre und spüre die Flüssigkeit in meinem Magen bei jedem Schritt schwappen. "Sicher, dass es Ihnen gut geht?" Miran beäugt mich besorgt, als er sich näher zu mir stellt. "Geht schon", murmele ich. Wenn ich meinen Bauch mit beiden Armen umschlinge, dann fühle ich mich schon viel leichter.

"Oh, what a lovely couple! Look at that beautiful pregnant lady! She's glowing!" Ich drehe mich benebelt zur älteren Dame und ihrem Mann ... sie meint mich. Wow, wenn das mal keine Ansage war. Ich lächele nur peinlich berührt und wünsche ihr einen schönen Tag, als sie uns mit Segenswünschen bereichert. Ich hoffe, sie wirken. Ich sage jetzt einfach nichts dazu, sondern watschele mir meinen Weg zum Auto. Es wird immer schmerzhafter und ich habe langsam wirklich das Gefühl, dass ich meine Haut aufgerissen habe, aber ich habe es geschafft! Ich darf mich endlich auf dem warmen Ledersitz niederlassen und durchatmen. "Kommen wir morgen wieder hierhin?" "Wenn Sie das möchten, dann tun wir das. Falls nicht, bietet London genügend Halal-Restaurants." Ich summe nur einwilligend, viel zu voll und viel zu müde, um wirklich zu reagieren. Ich hoffe, dass die Fahrt eine gute Stunde geht, damit ich mich wenigstens zu dreißig Prozent aufladen kann, bevor ich wieder laufen muss. Meine Gedanken gleiten über zu unserem kurzen Körperkontakt. Denkt er auch daran? Hat er beim Essen daran gedacht? Was hatte das Zucken seiner Finger zu bedeuten? Wollte er den Griff erwidern? Meine Hand nehmen? Oder war er einfach nur überrascht von meiner plötzlichen Kontaktfreudigkeit? Ich muss zugeben, dass ich mich in dem Moment sehr bewundert habe für meinen Mut. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich wirklich durchsetzen und Eindruck schaffen konnte.

Meine Finger drücken sich abwesend in mein Handgelenk, erwecken das vermisste Gefühl seiner Haut. Noch ist der Tag lang. Ich könnte noch einen Versuch ansetzen, wenn ich den Mut fassen kann. Doch daran kann ich später denken. Wir befinden uns in einer Straße, die komplett aus Ziegelsteinen besteht. Jede Wand, jede Mauer, jedes Haus besteht aus roten Ziegelsteinen. Je mehr ich von London sehe, desto öfter sehe ich diese Steine. Hm. Muss wohl im Angebot gewesen sein. Während Miran mühelos aus dem Auto steigt, benötige ich schon mehr als zwanzig Sekunden, um mich abzuschnallen und die Tür zu öffnen. In der Zwischenzeit ist er schon zur Beifahrerseite gekommen und hält mir seine Hand hin. Das ist nett. Nutz die Chance! Im Hotelzimmer war ich viel mutiger, das muss ich zugeben. Ich ergreife seine Hand, lege meine freie auf seine Schulter und bin sogar so gewagt, dass ich meine Hand zu seinem Schulterblatt gleiten lasse. Innerlich lobe ich mich für diese wagemutige Berührung. "Shirin, sind Sie sich sicher, dass es Ihnen gut geht?" "Absolut. Ich werde nach dem Einkauf einen riesigen Mittagsschlaf machen und sollte ich am Abend nicht wach sein, dürfen Sie mein Zimmer stürmen." Ich seufze tief nach meinem langen Satz. Miran ist so kulant und stützt mich den ganzen Weg zum Shop. Auf der Leinwand über dem Laden ist ein riesiges, verblasstes Bild von Madhuri Dixits wunderschönem Lächeln. Ich bin jetzt schon überzeugt.

Ich begrüße den Inhaber mit einem langgezogenen, müden Hi. Die langen Regale sind gefüllt mit Haarprodukten, Extension und Perücken, doch was für mich einen authentischen Haar-Shop ausmacht, ist der Geruch verschiedenster Öle und genau das trifft auf den Laden zu. "Madam if you need a seat, let me know", höre ich die akzentreiche Stimme des Besitzers. Ich schaue zu ihm, lächele müde und bedanke mich. Netter Mann. "Er denkt, ich bin schwanger." "Ist es ihm zu verübeln?", entgegnet Miran amüsiert. Ich schmunzele nur und schmiege mich trotzig an seine Brust. Das darf ich immerhin als schwangere Ehefrau. "Sie werden heute meinen Assistenten spielen." "Und wie kann ich dienen, Shirin?", raunt er. Seine tiefe Stimme kribbelt wie kleine Kristalle meine rechte Körperhälfte hinab. Er ist mir gerade so nah, dass seine Bartstoppel mein Ohr streifen. "Ich ... ich brauche viele Öle." "Das ist kein Problem. Die Hauptsache ist, dass Sie Ihre Locken pflegen." Ich spüre einen Moment einen kleinen Widerstand an den Haarsträhnen vor meinem Ohr. Waren das seine Lippen? "Okay", flüstere ich. "Hier gibt es auch Einkaufskörbe. Ich nehme einen." Und kaum verlässt er mich, umhüllt mich eine Kälte. Ich habe sogar das Gefühl, die Abdrücke seines Oberkörpers an meiner Rückseite zu spüren.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt