Kapitel 14

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Am nächsten Morgen tat mir alles weh, mein ganzer Rücken fühlte sich steif an. Ich war wohl dort eingeschlafen, wo meine Beine gestern den Geist aufgegeben hatten. Die Sonne kitzelte leicht auf der Nase. Ich stand auf, öffnete das Fenster und ging ins Bad. Was nun? Wären sie auf Rache aus, hätte vor allem Aiden es mich sofort spüren lassen. Ich trug nichts an mir. Keine Fußfessel, keinen Chip. Weg? Raus hier? Es war komplett ruhig. Während ich die Zähne putzte, dachte ich darüber nach, ob ich ihn jetzt wagen sollte. Die Ruhe ließ mich glauben, dass keiner wach war, doch noch bevor ich meinen Mund ausgespült hatte, klopfte es an der Tür.

Zac würde nicht klopfen...Allgemein konnte ich mir nicht, dass überhaupt jemand klopfte. Ich verließ das Bad, sah zur Zimmertür, entfernte mich aber. Schritte entfernten sich. Also war jemand wach. Wenn sie schlafen. Ich weiß, dass ich einen Vorsprung brauche. Heute Nacht...diese Nacht musste ich weg, schon längst eigentlich. Schon lange hätte ich fliehen müssen. Es durfte einfach nicht noch später werden. Wieder klopfte es, es war so unerwartet, dass ich zusammenzuckte. Zehn Minuten waren seit den ersten vergangen. Ich zog die Beine an mich ran, sah zur Tür, welche sich dieses mal vorsichtig öffnete.

"Hab ich dich geweckt, Prinzessin?" Fragte der Mann, als er mich wach sah.

Komplett angespannt saß ich da, schüttelte aber den Kopf. Er lächelte leicht, kam rein, mit vier Einkaufsbeuteln in der Hand.

"Gut. Wir waren uns bei ein paar Sachen unsicher, ich hoffe es passt alles." Kyle stellte die Beutel vor die Tür, wo ich noch nicht reingeschaut hatte und kam dann zu mir. Zuerst dachte ich, dass er sich zu mir setzen wollte, doch er setzte sich aufs Bett. "Wie geht es dir?"

"Weiß nicht." Ich war durcheinander. Vorallem durch Gestern. Aidens auftreten hatte ich mir viel aggressiver vorgestellt. Doch was war mit der Frau im Hundezwinger? Sie zeigte doch, dass er sich kein Stück verbessert hatte.

"Körperlich?" Wollte Kyle dann wissen.

Ich zuckte nur mit den Schultern. Leicht lächelte er aufmunternd zu. Der braunhaarige Mann hielt mir seine Hand entgegen. Unsicher sah ich sie an, dann in seine warme braunen Augen. Zögerlich stand ich auf und ging auf ihn zu, ergriff dabei vorsichtig die Hand, blieb aber auf Abstand.

"Angst vor Berührungen?" Hinterfragte er.

"Eher davor, was man tut, wenn man mir zu nahe ist." Gab ich zu.

"Daran werden wir arbeiten." Er lächelte mich aufmundernt an.

Der Mann drehte meine Hand um sich meine Nägel anzusehen. Ich ließ es ihn machen, schließlich hatten mir welche an der Hand gefehlt.

"Darf ich?" Wollte er wissen und deutete auf meinen Körper.

Er meinte es nicht pervers, nicht ekelhaft, sondern führsorglich. Spektische Augen sahen ihn an, doch er machte nicht auch nur die geringste Anstalt. Nein, er war geduldig. Er war so, wie er sonst bei sowas war. Alles war ....normal...und es störte mich, es verwirrte mich.

"Musst du noch was holen?" Wollte ich wissen.

"Hast du die Narben eingecremt?" Wollte er wissen.

"Ja."

"Dann bin ich in zwei Minuten wieder da." Mit den Worten ließ er meine Hand los, verschwand und kam wirklich nach wenigen Minuten später wieder.

"Würdest du dich bitte ausziehen?" Er legte die Creme auf meinen Nachttischschrank.

Zögerlich legte ich die Kleidung nieder. Als erstes sah der Arzt sich meinen Rücken an, dann meinen Bauch. Er sah sich jede Stelle an, an der ich einmal eine Wunde hatte.

"Nicht erschrecken." Vorsichtig legte er seine Hand auf meinen Rücken, sofort verspannte ich mich.
Sanft fuhr er die Narben nach. "Du hast dich sehr gut um sie gekümmert. Ich würde gleich deine Brust abtasten, wenn ich damit fertig bin, leg dich bitte auf den Rücken."

Wenn es an Kyle eine Sache gab, die er gut konnte, dann war es professionell zu sein. In den Moment schien er nicht einmal falsche Gedanken zu haben. Er trat vor mich und tastete meine Brust vorsichtig ab. Bei der ersten Berührung zuckte ich etwas zurück, doch dann hielt ich still. Er eilte nicht, machte es mir nicht unangenehm so vor ihn zu stehen. Als er fertig war deutete er auf das Bett. Ich legte mich drauf und mein Bauch wurde abgetastet, zudem mein Hals. Als ich mich hinsetzte, forderte er mich auf meinen Mund zu öffnen. Er nahm eine kleine Taschenlampe und leuchtete rein, dann testete er, ob meine Pupillen richtig reagierten. Zufrieden lächelte er.

"Darf ich deinen Rücken eincremen?"

Ich nickte leicht, sofort fing er an, cremte alles ordentlich ein.

"Ich werde deinen Kleiderschrank etwas einräumen, lass dich von mir nicht stören."

"Danke." Ich fing an die Narben am Bein einzucremen.

"Gerne."

Sein sanftes Auftreten war gewöhnungsbedürftig. Zwar konnte ich mich nicht erinnern, dass er mich jemals bestraft hatte, doch trotzdem hatte er sich an mir vergriffen gehabt, selbst wenn er in diesen Moment versucht hatte sanft zu sein, es änderte nichts. Ich beobachtete ihn. Er schüttelte die Beutel auf den Bett aus, sortierte alles und schnitt die Schilder ab. Ich sah mir das Zeug an, vieles war freizügig, aber es gab auch wärmere und gemütliche Kleidung dabei. Ich schnappte mir Unterwäsche, ein oversize Shirt und eine graue Jogginghose und zog mich um. Kyle sah mir dabei zu, entfernte nur nebenbei die Schilder der Kleidung.

"Scheint zu passen." Meinte er und warf mir noch ein paar Sneakersocken zu.

"Ja." Ich fing sie auf und zog sie an.

"Wenn wir dir nichts rauslegen, darfst du gerne Anziehen was du willst." Erklärte er.

Ich nickte nur, hob fragend ein Kleid hoch, wo deutlich was fehlte.

"Kannst drei mal raten, wer das wollte." Sofort ließ ich es fallen.

Er sah mir hinterher, als ich mich wieder auf die Sitzkissen setzte und aus den Fenster sah. Unten stand Zac, rauchte wieder eine.

"Prinzessin..." Er wusste genau was los war. "...rede ruhig mit mir."

"Ich war gestern bei Aiden." Erzählte ich.

Der Arzt hielt inne, doch ich sah es nicht. Draußen zog es sich zu, als sollte es heute noch regnen.

"Ich....ich weiß nicht wie ich zu euch stehe. Irgendwie ist das alles....sehr verwirrend." Gab ich zu.

Kyle faltet einen Rock zusammen, schien die passenden Worte zu suchen.

"Was dachtest du, wie es sein würde, wenn du wieder bei uns bist?"

"Keine Ahnung. Zum einen dachte ich, dass ich euch nie wieder sehe. Ehrlich gesagt, hatte ich es auch gehofft." Nur leider teilweise die Wahrheit. "Wenn ich euch wieder sehe....ich dachte ihr würdet weiter machen, da wo ihr aufgehört habt. Dass ihr mich hasst und ihr Rache nehmen wollt, dafür, dass ich vor Gericht ausgesagt habe." Gab ich leise zu.

Er machte weiter.

"Tatsächlich war ich etwas froh, dass du einfach nur gesund warst. Du kannst nichts dafür, dass du da sein solltest, nicht einmal, dass du von uns weg gekommen bist. Wir sind daran schuld, hätten wir besser aufgepasst, wäre es nie dazu gekommen. Wir bestrafen dich doch nicht, weil wir einen Fehler begangen haben." Erwiederte er.

Aber wie wäre es, wenn sie wieder gekommen wären? Wie lange wäre die Bestrafung weitergegangen? Wie wäre ich jetzt? Hätte ich denn bis heute überleben können?

"Danke."

Kyle kam zu mir, setzte sich neben mich und sah mit mir zu, wie die ersten Tropfen vom Himmel fielen.

"Du kannst mit jeden von uns reden. Jeder wird ehrlich zu dir sein." Seine Art beruhigte mein aufgebrachtes Innere.

Bevor wir unser Gespräch weiterführen konnte, öffnete sich die Zimmertür.

"Es gibt Frühstück." Zac trat zu uns.

Kyle nickte, stand auf und reichte mir seine Hand um mir hochzuhelfen. Alle vier. Alle auf einmal. Konnte ich ihnen wirklich so begegnen. Unsicher sah ich zu Kyle hoch, doch sein Lächeln war aufmundernt.

Geisel II - wieder am AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt