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Nicolas wusste genau, in welche Richtung er fahren musste, das hatte das Rucken ihm deutlich gezeigt. Es war stockdunkel und der prasselnde Regen behinderte seine Sicht zusätzlich. Er hoffte, dass das Licht der Scheinwerfer ausreichen würde, um Melissa zu entdecken. Leise schnurrte der Wagen über die Landstraße. Melissa musste sich irgendwo an der Straße befinden. Hätte sie sich abseits durchgeschlagen, wäre sie niemals so schnell bis zur weitmöglichsten Entfernungsgrenze durchgedrungen.

Er schaute auf den Kilometerzähler. Er war sich nicht ganz sicher, wie weit er sich von Melissa entfernt gehabt hatte, bevor die Barrikade ihn gestoppt hatte.

Nach den ersten zehn Kilometer drosselte Nicolas das Tempo und blickte angestrengt auf den Straßenrand. Melissa trug seinen schwarzen Mantel - nicht gerade hilfreich um sie in dieser Finsternis auszumachen. Ein Mensch würde in dieser Schwärze überhaupt nichts sehen.

Schließlich reduzierte er die Geschwindigkeit fast auf Schritttempo. Verdammt, irgendwo hier musste sie doch zu finden sein. In einer Feldeinfahrt bog er ein und parkte den Wagen. Sollte sie die Straße doch verlassen haben, so hatte er vom Auto aus kaum eine Chance sie zu entdecken.
Nicolas stieg aus und spürte die kalten Tropfen auf seiner Haut. Ein unangenehmes Gefühl, das seine Sinne strapazierte. Er versuchte, es auszublenden und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren.

Obwohl der Regen den Geruch der Umgebung verwischte, konnte sein Vampirsinn feine Nuancen wahrnehmen. Der Duft des nassen Asphalts und der feuchten Erde erfüllte seine Nase. Aber dahinter konnte er einen Hauch ihrer Essenz wahrnehmen - ein zarter Duft, wie eine unbekannte Blume. Sie war hier vorbeigekommen. Und seitdem war nur wenig Zeit vergangen. Es nervte ihn, dass er nicht ausmachen konnte, in welche Richtung sie gegangen war.

Weil er es für das Sinnvollste hielt, lief er zunächst weiter die Straße entlang, aber bereits nach wenigen Minuten hatte er den Eindruck, dass ihr Geruch nachließ. Verflucht. Ob hier die Stelle war, an der sie auf die Barriere gestoßen war? Vermutlich hatte sie sich dann seitlich von der Straße wegbewegt. Weitergegangen sein konnte sie immerhin nicht. Nicolas starrte finster den dunklen Wald an, der sich am Straßenrand auftat. Im Vergleich zu einem Menschen war seine Nachtsicht hervorragend ausgebildet, aber das änderte nichts daran, dass etliche Bäume und dichtes Gestrüpp das Innere des Waldes verbargen. Melissa darin zu finden war wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Nun ja, ein Heuhaufen wäre zumindest trocken gewesen, er jedoch war mittlerweile bis auf die Haut durchgeweicht. Zwar fror er nicht wie ein Mensch, aber unangenehm war es dennoch und das stete Tropfen raubte ihn den Verstand. Warum wählte sich diese Frau auch ausgerechnet seinen Luxusmantel als neues Lieblingskleidungsstück aus? Er verstand sich selbst nicht, wie er auf die Idee kam, sich auch noch nach ihr auf die Suche zu machen. Langsam wurde diese Frau ernsthaft zu seinem Problem. Aber wenn er sie jetzt hier alleine lassen würde, und ihr geschah etwas - Amia würde das nicht gutheißen.

Nicolas lauschte. Die meisten Menschen waren schrecklich laut und auf weite Strecken für seine feinen Ohren wahrnehmbar, zumindest wenn er sich darauf konzentrierte. Aber bei diesem Wetter, dem heftigen Wind, der an den Bäumen zerrte und dem kontinuierlichen Regen, wurden potenzielle Geräusche von Melissa hoffnungslos überdeckt, außer sie befände sich genau neben ihm.

Aber ein Ass hatte er noch im Ärmel.

Er zog ein Handy aus seiner Hosentasche, dass er sich vor seinem Aufbruch von Adam geliehen hatte. Sein eigenes war, ganz Murphys Gesetz folgend, noch in seinem Mantel. Aber genau dieses Ärgernis konnte er zu seinem Vorteil nutzen.

Um keinen Wasserschaden zu riskieren, schirmte er Adams Gerät mit einer Hand gegen den prasselnden Regen ab, und wählte seine eigene Nummer. Dass Melissa den Anruf entgegennahm, war kaum anzunehmen, aber ein Telefonat wollte er auch gar nicht führen.

Das Freizeichen ertönte und Nicolas konzentrierte seine gesamte Aufmerksamkeit auf seinen feinen Gehörsinn. Er brauchte einen Moment, bis er ein feines Geräusch Richtung Wald ausmachen konnte. Ohne lange zu überlegen folgte er dem Ton, so schnell es ihm möglich war. Wie ein kaum wahrnehmbarer Schatten schlug er sich durch den Wald und innerhalb von Sekunden legte er mehrere hundert Meter zurück, bis der Klingelton seines eigenen Handys überdeutlich zu vernehmen war. Er stoppte. Er hatte sie gefunden. Keine zwanzig Meter vor ihm kauerte eine dunkle Gestalt, auf einem dicken Baumstumpf sitzend, auf einer kleinen Lichtung - eine schwarze Silhouette, versunken in einem viel zu großen Mantel.

Sie schluchzte. Dann holte sie tief Luft. Einen Moment verharrte Nicolas bewegungslos, lauschend, als das Handyklingeln abbrach. Kurz dachte er, Melissa hätte den Anruf abgebrochen, doch da erklang ihre Stimme aus dem Gerät in seiner Hand.

»Adam?«

Okay, das entsprach nicht dem Plan. Sofern er überhaupt einen Plan hatte. Andererseits, wenn er zunächst durch den Apparat mit ihr sprach, fühlte sie sich vermutlich weniger bedroht und war eher geneigt, ihm zuzuhören.

»Nein, hier ist nicht Adam«, raunte Nicolas.

Stille.

Nicolas konnte ihr zartes Herz schlagen hören, rasend schnell. Eigentlich war er noch zu weit von ihr entfernt, um dieses zu vernehmen. Es musste ihr fast den Brustkorb sprengen.

Er wartete.

»Was willst du?« Ihre Stimme zitterte und klang brüchig, fast heiser.

Sie sprach mit ihm. Ein Anfang.

»Mich erkundigen, ob dein Plan darin besteht, dich umzubringen. Oder welchen Grund könntest du sonst gehabt haben, ohne Unterbrechung gegen diese verfluchte Barriere zu laufen?«

»Das geht dich nichts an.« Diesen Standpunkt konnte Nicolas nicht gänzlich teilen, zu verwoben waren ihrer beide Wege mittlerweile.

»Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber zum einen ist die Barriere undurchdringlich und zum anderen frisst jeder Versuch eine Menge Kraft von dir auf. Man sollte meinen, ein klarer Hinweis darauf, besser nach anderen Möglichkeiten zu suchen, als sich kopflos wieder und wieder dagegenzuwerfen.«

»Warum interessiert dich das. Das ist doch ganz in deinem Interesse, wenn ich mich an diesen verflcuhten magischen Fesseln selbst aufreibe.« Sie klang so kraftlos, dass es ihn fast bestürzte. Aber nur fast.

»Ja, das wäre tatsächlich eine schnelle Lösung. Aber offensichtlich wurde nun entschieden, dass wir das Problem anders angehen wollen.« Das klang lahm, selbst in Nicolas Ohren, aber ihm fiel nichts anderes zu sagen ein.

»Die Barriere ist weg«, erklang dann Melissas Stimme deutlich durch das Handy, und leise durch den Wald.

»Was?«

»Die Barriere ist weg, ich kann hier keine Grenze mehr finden.«, wiederholte sie.

Diese Aussage brachte Nicolas kurz völlig aus dem Konzept, dachte er doch eine Sekunde, sie wollte ihm erklären, dass sie nicht weiter aneinandergebunden waren. Aber so war es natürlich nicht. Sie hatte nur keine Ahnung, dass er den Abstand zwischen ihnen verringert hatte.

Er legte auf.

Geräuschlos näherte er sich ihr, bis er direkt hinter ihr stand. Nicolas Augen hatten trotz der Dunkelheit keine Probleme, den moosbewachsenen breiten Baumstumpf auf der kleinen Lichtung zu erkennen und die zusammengekauerte Gestalt, völlig in seinem riesigen Mantel versunken, ihm den Rücken zukehrend. Deutlich nahm er den gestickten, schwarzen Drachen, der sich quer über die Rückseite des Kleidungsstücks schlängelte, wahr. Die dunkelroten Stacheln des Fabeltieres erschienen seinen sensiblen Augen fast, als würden sie leuchten. Die Regentropfen perlten vom Mantelstoff und flossen auf den durchweichten Waldboden hinab. Melissa hatte die Arme um sich geschlungen, ihren Kopf hielt sie tief gesenkt, in einem vergeblichen Versuch ihr Gesicht vor dem Regen zu verbergen. Schwer vom Wasser hingen ihre Haare in langen roten Strähnen in ihr Gesicht und einen kurzen Moment wunderte es Nicolas, wie gut diese farblich zum Drachen passten.

Er stand nun unmittelbar hinter ihr, doch sie ahnte nichts von seiner Anwesenheit. Menschliche Sinne waren so jämmerlich.

Lautlos beugte er sich vor, bis seine Lippen sich bedrohlich nahe an ihrem Hals befanden. Kurz sog er ihren verlockenden Duft ein, ohne das sie seine Gegenwart bemerkte.

»Buh«, hauchte er.

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♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt