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Die nächsten zwei Tage verbrachte Melissa ihre Vormittage stets im Café. Der Job war anstrengend, aber er brachte ihr ebenfalls Freude und Helena war eine Chefin, wie man sie sich nicht besser wünschen konnte. Und zu Melissas großer Erleichterung kam es nicht wieder zu unangenehmen Fragen. Helena selbst schien überhaupt nicht bemerkt zu haben, in welche Verlegenheit sie Melissa gebracht hatte, und sie vermied es sorgfältig, ein weiteres Mal zu früh zur Arbeit zu erscheinen. Die Nachmittage hielt sie sich für ein wenig Zeit mit Amia offen, dessen Nähe sie immer mehr zu schätzen lernte. Mit Begeisterung zeigte das Mädchen ihr ihre Welt. Ihre Lieblingsschätze, meist Fundstücke vom Strand, ihre liebsten Plätze im Wald und ihre Sammlung selbstgemalter Bilder.

»Welches Bild magst du am meisten?«, wollte das Kind von Melissa bei einer dieser Gelegenheiten wissen. Sie schmunzelte, hatte sie doch eine Ahnung, worauf Amia hinauswollte.

»Natürlich das, auf dem du uns alle gemalt hast.«

Amia strahlte. »Ja, das ist das Beste. Ich mag es, wenn wir zusammen sind wie auf dem Bild.«

Melissa nickte nachdenklich. Tatsächlich verbrachten die Familienmitgliedern jetzt deutlich mehr Zeit gemeinsam, was insbesondere daran lag, dass Nicolas nun auch an den Abendessen teilnahm.

Als wäre es nie anders gewesen, erschien er am Abend nach ihrem Besuch des Leuchtturms im großen Wohnraum und ließ sich neben sie an den Tisch nieder, nicht ohne ihr zuvor wie beiläufig über die Schultern zu streicheln. Adam hatte die Augenbrauen hochgezogen und resigniert geseufzt, doch Tara konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken. Dennoch erkannte Melissa in dem Gesicht der Vampirin noch etwas anderes, dass sie nicht recht zu deuten wusste. Konnte das Sorge sein? Zweifel? Oder pure Überraschung?

Als sie am Abend in ihrem Bett lag, klopfte es leise an der Tür der Gartenhütte und Nicolas bat sie um einen Gute-Nach-Kuss. Fast schüchtern hatte er gewirkt, wie ein kleiner Junge in einem großen Männerkörper. Der Anblick hatte sie dermaßen irritiert, dass sie sich anstrengen musste, um nicht in lautes Lachen auszubrechen.

Sanft und zurückhaltend hatten sie sich geküsst, bis sie eingeschlafen war, den Kopf auf seiner Brust gebetet. Sie könnte sich an dieses Kissen gewöhnen.

Erschrocken zuckte Melissa zusammen, als Amia an ihrer Hand zupfte. »Sagst du mir nicht, ob du mitkommen möchtest?« Erwartungsvoll strahlte das Kind sie an, noch immer ein Exemplar ihrer Bildersammlung in der Hand.

»Oh, entschuldige bitte, Amia, ich wa im Gedanken. Was hast du gefragt?«

»Ob du mitkommen möchtest. Zu dem Fest heute Abend in der Stadt. Adam und Tara haben mir versprochen, mit mir hinzugehen. Oh, das wäre toll, wenn du mitkommst. Und Nicolas.« Mit riesigen braunen Augen und vorgeschobener Unterlippe blickte Amia sie bittend an. Der Blick ließ sie an einen Hundewelpen denken. Hätte sie es nicht besser gewusst, würde sie glauben, Amia hatte das vor dem Spiegel geübt.

»Ähm ...« Melissa hatte eine Ahnung, von welchem Fest Amia sprach, sie hatte in der Stadt genug Plakate gesehen, welche zum märchenhaften Herbstfest einluden. Viele Geschäfte hatten ihre Schaufenster mit den unterschiedlichsten Sagengestalten dekoriert. Helena hatte gleich eine ganze Schar Feen, jede auf ihre Art einzigartig, in ihrem Laden verteilt, zur Freude der Gäste. Aber insgeheim hoffte sie, dass Nicolas sie abends wieder in ihrer Hütte besuchen kommen würde und sie Zeit nur zu zweit hätten. Und dann war da auch der »Ausflug«, den Nicolas dringend unternehmen musste. Wie lange konnte sie ihm noch zumuten, diesen aufzuschieben?

Melissas Zögern ließ Amia die Mundwinkel nach unten ziehen, sodass sie dem Abbild eines traurigen Hundewelpen gleichkam. Am liebsten hätte sie das Kind umarmt und fest gedrückt, doch Amia wartete noch immer auf eine Antwort. - Ach egal, einen Tag länger würde Nicolas schon warten können und Helena hatte Melissa ohnehin bekniet beim Aufräumen nach dem Fest zu helfen. Da war es doch praktisch, wenn sie bereits vor Ort wäre. »Okay, ich komme mit. Wird sicherlich toll.« Konnte ja nicht schaden, einmal auszugehen. Sie würden sich bestimmt amüsieren. Mit Amias flackernden Kulleraugen hatte ihre Entscheidung zumindest nichts zu tun.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt