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Ohne ein weiteres Wort zwängte Melissa sich an der Vampirin vorbei und Lia folgte ihr.

»Wer war das denn?«, fragte das blonde Mädchen, als sie wieder auf der Straße standen. »Die wirkte ja einschüchternd.«

»Diese Frau ist mehr als gruselig«, sagte Melissa noch immer wütend.

»Mehr als deine Vampire?«

»Viel mehr. Und es sind nicht meine Vampire.« Sie sprach die Worte aus Wut, doch die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Es waren nicht mehr ihre Vampire. Sie waren fort. Sie alle. Die Einzige, die noch an ihrer Seite war, war Lia. Wie dankbar sie für ihre Freundin war.

»Willst du damit sagen, diese Frau war auch ein ...?« Lias Augen weiteten sich.

»... ein Vampir. Genau. Aber nicht unbedingt einer von den guten. Sie spielt mit Menschen.«

»Das erklärt zumindest, warum sie so anziehend und bedrohlich zugleich wirkte.«

Sie gingen die gepflasterte Straße entlang, vorbei an einigen geschlossenen Geschäften und an der noch gut besuchten Cocktailbar. Melissa hatte kein Bedürfnis, diese erneut zu betreten, obwohl die Leichtigkeit, die der Alkohol in ihrem Kopf verursacht hatte, nahezu verschwunden war. Zu sehr misstraute sie Kari und auf keinen Fall wollte sie Bekanntschaft mit einem weiteren ihrer Anhänger machen.

»Gehen wir zu Fuß zurück?«

»Im Dunkeln? Hältst du das für eine gute Idee? Lass uns ein Taxi nehmen.«

Melissa zögerte. »Du weißt, eine Autofahrt ist momentan nicht so empfehlenswert für mich.«

Abfällig prustete Lia aus. »Du glaubst also, Nicolas würde nicht einmal darauf achten, dass du zurück in das einzige Haus kommst, in dem du einen Schlafplatz hast?« Mit großen Augen sah sie Melissa an. »Irgendwie erleichtert es mich ja, dass dein verklärtes Bild von ihm langsam anfängt zu bröckeln. Du wirst sehen, du bist schneller über ihn hinweg, als du geglaubt hast.«

»Mein was?« Melissa konnte nicht glauben, was ihre Freundin da gerade von sich gegeben hatte.

»Dein verklärtes Bild. Ach komm, Melissa, sag mir nicht, dass dir noch nicht der Gedanke gekommen ist, du könntest dich in ihm getäuscht haben.«

Plötzlich fiel ihr das Luftholen schwer. Wie konnte Lia so etwas sagen? Nicolas hatte sein Leben für sie riskiert. Nein, nicht einfach nur riskiert, er war davon ausgegangen, dass er den Entführern nie wieder entkommen wird. Er würde sie niemals täuschen, er war immer nur um ihr aller Wohlergehen besorgt.

Andererseits hatte er ihr auch gesagt, er würde sie nie im Stich lassen, wenn es sich verhindern ließe. Damals hatte sie noch nicht geahnt, wie unterschiedlich er und sie diese Aussage interpretieren würden. Aber warum hatte er es überhaupt gesagt, wenn er da schon beschlossen hatte, was er tun würde? Hatte er sie nur in Sicherheit wiegen wollen? Oder war es eine spontane Entscheidung gewesen?

»Nicolas würde nie etwas tun, was mir schadet.«

»Bist du dir sicher?« Lia musterte sie kritisch.

»Absolut. Ich dachte, das könntest auch du sehen.«

»Melissa, nicht ich bin diejenige, die etwas nicht sehen will. Ich verstehe nicht, warum du auf diesem Auge so blind bist. Bei der Vampirfrau im Pub hattest du kein Problem zu erkennen, was sie war. Du hast selbst gesagt, sie ist keine von den Guten.«

»Ja, weil es so ist. Kari ist unberechenbar. Sie ist mit Nicolas nicht zu vergleichen.« Sie kniff die Augen zusammen. Worauf wollte Lia hinaus?

»Das war Kari?« Lia erbleichte. Natürlich, Melissa hatte ihr von den wichtigsten Ereignissen der Entführung und auch von Karis Rolle in dieser erzählt. Doch so schnell das blonde Mädchen die Fassung verloren hatte, so schnell gewann sie diese wieder zurück.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt