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Sie wäre verantwortlich für den Tod seines nächsten Opfers.

In Melissas Ohren rauschte es und sie hatte Mühe, Luft in ihre Lungen zu bekommen. Sie hatte keinen Zweifel, dass sie Nicolas früher oder später finden würden. Sie würden seinen Aufenthaltsort aus Lia herausbringen oder notfalls solange das Gelände durchsuchen, bis sie ihn entdeckten. Zu schaffen machte Melissa die Tatsache, dass sie dem blonden Mädchen glaubte. Sie glaubte die gesamte Geschichte, von vorne bis hinten, all den Verrat, den Lia begangen hatte und sogar ihre subjektiv gesehenen guten Absichten.

Sie glaubte, dass Lia Zeugin wurde, wie Nicolas ihre Schwester tötete.

Doch Melissa sehnte sich so sehr nach Nicolas, dass sie bereit war, all dieses zu ignorieren. Sie wollte ausblenden, wie gefährlich ein Vampir sein konnte, wie unberechenbar.

Und das selbst dem besten von ihnen Unfälle passierten.

Dabei hatte sie es am eigenen Leib erfahren. Sie hatte Adams Biss nur knapp und mit viel Glück überlebt. Sie konnte nicht ignorieren, wie wahr Lias letzte Worte waren. Für den nächsten Unfall würde sie die Verantwortung tragen.

Könnte sie das ertragen? Könnte sie mit dem Wissen leben, dass Menschen starben, weil sie selbst nicht von Nicolas ablassen konnte? Aber was war die Alternative? Ein Leben ohne ihn? Ihn in völliger Einsamkeit zurückzulassen – wehrlos, bis in alle Ewigkeit? Zu wissen, sie könnte ihn befreien – ohne es zu tun? Es war unvorstellbar. Geradezu panisch presste sie sich die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zusammen, als würde sie das vor ihren eigenen Gedanken retten. Sie wusste nicht, was sie denken oder wohin sie den nächsten Schritt setzen sollte. Taub und blind taumelte sie zurück und stolperte gegen einen harten Körper. Adam war von hinten an sie herangetreten. Behutsam legte er seine Hände auf ihre Finger und zog diese von ihren Ohren. Widerwillig öffnete sie die Augen und sah den Vampir, wie er ihren Blick suchte. Langsam schüttelte er mit dem Kopf.

»Tu das nicht. Verlier nicht dein Vertrauen in Nicolas. Er würde so etwas niemals tun.«

»Wie kannst du so sicher sein? Hast du das Kärtchen gesehen? Lia denkt sich die Geschichte nicht aus. Sie hätte sich selbst nicht so belastet, wenn sie lügen würde.«

Noch immer hielt Adam ihre Hände fest. »Du weißt, Nicolas würde das nicht tun.«

»Und wenn es ein Unfall war?«

»Nein. Er verliert nicht die Kontrolle.«

Melissa wünschte sich, sie hätte dieselbe Zuversicht, wie der junge Vampir vor ihr. »Das kannst du nicht wissen. Es macht alles Sinn. Alles, was sie erzählt hat.« Sie schüttelte Adams Hände ab, rieb sich über das Gesicht und presste dann überfordert die Handflächen zusammen, bevor sie anfing, ihre Finger zu kneten.

»Das will sie auch, aber es ist nicht wahr. Bitte beruhige dich.« Wieder griff er nach ihren Händen und zwang sie, ihn anzusehen. »Bist du noch dabei Nicolas zu befreien?«

»Ja. Ja, natürlich.« Sie senkte den Kopf. »Ich wünschte nur, ich hätte diese Sache nie erfahren.« Zitternd holte sie Luft, bevor sie Adam wieder in die Augen sah. Etwas Undefinierbares, fast Schmerzhaftes, lag in seinem dunklen Blick.

»Das kann nicht euer verfluchter Ernst sein,« schrie Lia abrupt los. Geduldig hatte sie die Reaktion der beiden abgewartet, doch jetzt war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Tränen quollen ihr aus den Augen. »Ihr wollt ihn wirklich befreien? Trotz allem? Er hat Claire getötet. Er ist der Grund, dass ich meine Schwester nie wieder sehen werde. Und deine Schwester,« Lia wendete sich jetzt direkt an Adam, »hat er bei dem Mord zusehen lassen. Ist es das, was du dir für Amia wünschst? Dass sie aufwächst mit Mord und Gewalt?« Verzweifelt wischte Lia sich die Tränen aus den Augen. »Aber euch ist egal, was Nicolas getan hat, oder? Ihr werdet immer auf seiner Seite stehen, und wenn er die Welt niederbrennt. Aber ich nicht. Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass er noch einmal jemanden etwas antun kann.«

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt