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Eine Weile sah Melissa Helena nur an. Schließlich zog sie einen weiteren Stuhl heran und setzte sich vor ihr hin.

Doch bevor Melissa den Mund aufmachen konnte, fing Helena an zu reden.

»Bitte Melissa. Sag ihnen, dass sie mich gehen lassen müssen. Auf dich hört er. Sag ihnen, dass ich die ganze Zeit nur versucht habe, dir zu helfen!« Tränen schimmerten in Helenas Augen.

»Hast du das?« Melissa zog die Augenbrauen hoch.

»Ja, ich habe darauf bestanden, dass sie dir nichts antun, dich nicht verletzten dürfen ... und dass man dich wieder freilässt. Es ging nie um dich.«

Melissa rieb sich unwillkürlich über ihre aufgeplatzte Lippe, auf der sich mittlerweile eine dicke Kruste gebildet hatte.

Diese Verletzung würde heilen.

Nur schwerlich konnte Melissa sich jedoch vorstellen, dass sie jemals ihre Panik und Hilflosigkeit vergessen würde, die sie durchlebt hatte.

Als ihr bewusst wurde, dass sie Nicolas verlieren würde, als sie in seinen Armen langsam zusammensackte, wohlwissen, dass sie ihn nie wieder spüren würde, ihm nie wieder in die Augen sehen würde, und als sie in seinem Wagen erwachte – ohne ihn – war es ihr vorgekommen, als hätte man etwas Elementares aus ihr herausgerissen.

Sie bemerkte, wie ihre Hände anfingen zu zittern, sie konnte es nicht verhindern. Jemanden zu verletzen – diese Worte hatten einen breiten Interpretationsspielraum.

»Warum hast du bei dieser Sache mitgemacht?«

»Weil ... was blieb mir denn übrig.« Helena senkte den Kopf und vermied es, Melissa in die Augen zu sehen. Resigniert seufzte sie. »Es fing harmlos an. Die anderen erzählten mir, was sie erlebt hatten, wie Nicolas sie nachts im Wald bedroht und einen von ihnen beinahe getötet hätte.

Melissa, er hätte alle drei getötet, wenn ... er noch in der Lage dazu gewesen wäre ... auch meine Tochter.« Sie rieb sich die feuchten Augen. »Er hätte einen nach dem anderen ausgesaugt. Nur darum ist er mit Sarah in den Wald gegangen – um ihr Blut zu trinken!« Plötzlich griff Helena nach Melissas Hand. »Du weißt nicht, auf wen du dich da eingelassen hast. Diese Vampire sind gefährlich!« Melissa riss ihre Hand los und rückte ausdruckslos mit ihrem Stuhl ein Stück zurück.
»Sprich weiter. Sie haben dir von ihrem Erlebnis erzählt und dann?«

Ungläubig blickte Helena sie an, diese hatte unverkennbar eine andere Reaktion erwartet. Deutlich tonloser fuhr ihre ehemalige Chefin schließlich fort. »Ich ... ich stimmte ihnen zu, dass so ein Geschöpf nicht in unserer Stadt leben dürfe und wir etwas dagegen tun müssten. Der Gedanke, in welcher Gefahr Sarah sich befunden hatte – wegen ihm! – ließ mich nachts nicht mehr schlafen.« Helena ballte die Fäuste. »Also horchte ich dich aus.«

»Was genau hast du ihnen erzählt?«

»Nicht viel. Nachdem du mir von Adams unglaublicher Kehrtwende in seinem Leben berichtet hattest und seiner erstaunlich hilfreichen Unterstützung, welche er bekommen hatte ... es war offensichtlich, dass du Nicolas meintest. Doch ich nahm dir Adams erfolgreichen Entzug nicht ab, sondern zählte eins und eins zusammen. Und als der Verdacht erst geboren war, dass dieser ebenfalls ein Vampir sein könnte ... Tom beschloss im Alleingang, ein Experiment zu probieren. Er wollte Gewissheit über Adams Natur und gleichzeitig sicherstellen, dass das Medikament, von dem wir vermuteten, dass es einen Vampir betäuben kann, tatsächlich die gewünschte Wirkung zeigt. Wie du bereits weißt, klappte es hervorragend.«

Helena senkte den Blick und betrachtete ausgiebig ihre Füße, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Doch das kümmerte Melissa wenig, zu präsent waren ihr noch immer die Bilder von dem wehrlos am Boden liegenden Vampir und daneben Amia, wie sie verstört neben ihrem reglosen Bruder hockte.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt