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»Wir machen heute einen Ausflug.«

Kein guten Morgen oder ein einfaches Hallo, kein wie geht es dir und vor allem: Es stellte keine Frage dar. Eine simple Mitteilung. Mehr nicht.

Melissa hatte es sich mit Amia, einigen Blättern Papier und einer Packung Buntstifte am Küchentisch bequem gemacht, als Nicolas sich so schnell und lautlos in den Raum bewegte, wie es nur jemanden mit den Superfähigkeiten eines Vampirs möglich war. Und bevor Melissa seine Anwesenheit überhaupt bemerkte, drang seine dunkel Stimme selbstgefällig bis zu ihrem Ohr vor. Sie zuckte heftig zusammen, sodass sie dabei einen der Stifte auf den Boden stieß und ihr Puls beschleunigte sich, ohne die Erlaubnis ihres Willen dafür abzuwarten. Sie ärgerte sich maßlos über ihre unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen, insbesondere da ihr klar war, dass Nicolas diese nicht entgingen. Das musste sie dringend in den Griff bekommen. Vielleicht wäre ein Herzschrittmacher eine Option.

Bis zu diesem Moment hatte Melissa nicht gewusst, ob er sich überhaupt im Haus aufhielt und hatte die leise Hoffnung gehegt, ihm an diesem Tag nicht begegnen zu müssen. Jetzt grinste Nicolas sie provozierend freundlich quer durch den Raum an, seine Augen kühl und klar. Betont lässig schritt er auf sie zu und Melissa hätte schwören können, dass die Luft im Zimmer mit einem Mal ganz dünn wurde.

Wo waren Tara und Adam? Gerade hatte sie sie doch noch gesehen.

Hilfe.

Melissa strengte sich an, den Impuls zu unterdrücken, Amias Hand zu ergreifen, um sich an dem kleinen Mädchen festzuklammern.

»Das heißt ›Guten Morgen‹, wenn man den Raum betritt.« Das Mädchen malte zuerst in Seelenruhe ein paar Striche an ihrem Kunstwerk zu Ende, bevor sie den Stift beiseitelegte und Nicolas anlächelte. »Adam sagt, es ist immer Zeit für Höflichkeit.«

Nicolas zog amüsiert über die Belehrung die Augenbrauen in die Höhe und näherte sich Amia mit schwebenden Schritten. »Höflichkeit ist die angenehmste Form der Heuchelei.« Verschmitzt zwinkerte er ihr zu und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

Melissa kam es vor, als würde eine Decke aus Dunkelheit von Nicolas gezogen, während er mit Amia agierte. Welchen Zauber auch immer dieses Kind auf ihn ausübte, um ihn in Zaum zu halten, sie wollte auch etwas davon.

Nicolas ging um das Mädchen herum, so dass er direkt neben Melissa zum Stehen kam. Er legte den Kopf leicht schräg und steckte die Hände in die Taschen seiner eng anliegenden schwarzen Hosen, dann musterte er sie von oben bis unten. Seine dunklen Haare fielen ihm in die Stirn, während er einen Mundwinkel in seinem ebenmäßigen Gesicht kaum merklich nach oben zog. Und mit einem Mal war sie sich nicht mehr sicher, ob ihre Nervosität einzig aus ihrer Angst hervorwuchs. War es erlaubt, dass jemand, der so ein arroganter Arsch war, so unverschämt gut aussah? Irritiert schüttelte Melissa den Kopf. Sie durfte nicht vergessen, was sich hinter diesen vollen, etwas blassen Lippen befand. Sie konzentrierte sich darauf, ihre Atmung ruhig und gleichmäßig klingen zu lassen.

Nicolas schnalzte mit der Zunge. »Nette Schuhe. Nichts, das ich für dich ausgewählt hätte, aber ich vermute, sie erfüllen ihren Zweck.«

Melissa beschloss, dass dies keiner Antwort würdig war, und funkelte ihn nur verächtlich an. Dieses Spiel konnten auch zwei spielen.

Solange sie nicht vergaß, regelmäßig ein- und auszuatmen.

»Wohin gehen wir denn?«, erkundigte sich Amia jetzt nach dem Ausflugsziel.

Mit geschmeidigen Bewegungen ging Nicolas vor dem Mädchen in die Hocke, genau zwischen Melissa und dem Kind, sodass er direkt in Amias Gesicht sehen konnte - und wie zufällig seine Schulter an Melissas stieß. Eine klare Herausforderung.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now