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Gerade hatte Melissa sich einige Zentimeter aus ihrem Schneckenhaus herausgetraut, wurde sie mit Wucht wieder in dieses zurückgetreten.

Tara hatten kaum mehr als eine halbe Stunde gebraucht, um all ihre Sachen zu packen und das Gästehaus zu verlassen. Zusammen mit Adam und Amia. Deren Sicherheit die Vampirin Nicolas hatte versprechen müssen. Melissa war in diesem Versprechen nicht einbegriffen gewesen. Genauso wenig, wie sie eine eigene Abschiedsnachricht wert gewesen war.

Es kümmerte Melissa nicht mehr. Sie hatte sich erneut so weit in sich selbst zurückgezogen, wie es ihr möglich war. Nicht eine Gefühlsregung drang noch zu ihr durch. Dumpf nickte sie Maurice Erklärung ab, dass er ebenfalls erstaunt war, über Nicolas' plötzlichen Fortgang, und dass er für sie zur Verfügung stände, wenn sie eine Frage hätte oder etwas bräuchte. Natürlich könnte sie unbefristet im Gästehaus bleiben. Nachdem er sie genauer musterte, schob er noch hastig hinzu, dass sie auch jederzeit mit ihm reden dürfe. Melissa legte ein falsches Lächeln auf ihre Lippen und ging in ihre Kammer. Maurice schien ehrlich besorgt und meinte es unbestreitbar gut. Doch er war ein fremder Mensch für Melissa und er konnte ihr nicht helfen.

Sie machte Tara keine Vorwürfe für ihre Entscheidung. Melissa hatte es sich selbst eingebrockt. Sie war die Schwachstelle, nicht nur in Bezug auf Nicolas.

Auf einem schlichten Holzstuhl, den sie vor das Fenster geschoben hatte, saß sie und sah über die triste Landschaft. Die Hoffnung, Nicolas doch noch zu erspähen, hatte sie längst aufgegeben. Ein steter Nieselregen fiel aus dem grauen Himmel, als wolle dieser stellvertretend für sie weinen. Teilnahmslos verfolgte ihr Blick die Tropfen, die am Fenster hinabrannen.

Jetzt war sie wieder dort, wie an dem Tag, als der Zauber sie in den Wald teleportiert hatte. Genauso alleine, genauso einsam. Und zusätzlich mit einem riesigen Loch im Herzen.

Sie hatte alles gehabt, was sie sich ersehnt hatte, und sie hatte es grandios ruiniert. Wenn sie ein herausragendes Talent besaß, dann war es, Menschen aus ihrem Leben zu vergraulen. Die einzige verlässliche Konstante in ihrem Dasein.

Als eine leise Melodie aus ihrem Schrank erklang, hätte sie den Ton beinahe nicht ihrem Handy zugeordnet, so abwesend war sie mit ihren Gedanken. Doch als das Klingeln nicht nachgeben wollte, erhob sie sich und holte das Gerät zwischen ihren Sachen hervor, um das Gedudel zu beenden.

Fast hätte sie nicht auf das Display gesehen, es konnte sich ohnehin nur um jemanden handeln, der sich verwählt hatte.

Lia.

Melissa stutzte. Sie war nicht vollkommen verlassen. Es gab immer noch Lia!

Bislang war es ein gemeinsamer Beschluss gewesen, niemanden ihren Aufenthaltsort zu verraten, um die Vampire nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Doch diese waren nun fort. Alle drei.

Sie drückte auf den grünen Knopf und sofort erklang die Stimme des quirligen Mädchens. »Melissa! Ich habe so lange nichts von dir gehört. Geht es dir gut?«

Reflexartig wollte sie mit einem »Ja, schon in Ordnung« antworten, doch ihr Körper hatte andere Pläne. Ein heiseres Schluchzen brach sich aus ihrer Kehle den Weg frei und endlich quollen die Tränen aus ihren Augen, die sie in den vergangenen Stunden unterdrückt hatte.

»Lia ... bitte komm.«

Eine ungewohnte Stille breitete sich am anderen Ende aus und dann die erlösenden Worte. »Wo bist du?«

Melissa verließ ihren Platz am Fenster nicht, nicht einmal, als ihr Hals wieder zu schmerzen begann und wild pochte. Die Wunde war schon nicht mehr zu ertasten, der Schmerz würde schnell verschwinden. Als Lia Stunden später in die Kammer trat, war dieser bereits vergessen.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now