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Am frühen Abend erreichten sie die kleine Stadt nach einem Spaziergang. Auf eine Autofahrt hatten sie bewusst verzichtet, da sie davon ausgingen, dass der Zauber weiterhin Bestand hatte. Es wäre zu gefährlich gewesen, zudem beruhigte die Bewegung Melissas angespannte Nerven. Seit der Eismahlzeit war bereits einige Zeit verstrichen und ansonsten hatte Melissa an diesem Tag erst ein einzelnes, trockenes Brötchen zu sich genommen, was ihr Magen schließlich deutlich zur Sprache brachte.

Lia hielt es für angebracht, etwas Essen zu gehen und schnell fand Melissa sich in einem kleinen italienischen Restaurant wieder, indem sie lustlos in einer Portion Spagetti rumstocherte. Zwar hatte das lebensfrohe Mädchen es mit ihrer übersprudelnden Fröhlichkeit geschafft, ihre Verfassung zu steigern, jedoch war sie noch weit entfernt vom Gemütszustand eines durchschnittlichen Menschen, und das wirkte sich ebenfalls auf ihren Magen aus. Sie vermisste Nicolas noch immer mehr, als sie sagen konnte, und das jetzt sogar Tara sie verlassen und Adam und Amia mit sich genommen hatte, schnürte ihr buchstäblich die Kehle zu. Diese Barriere hatte bislang nur die Eiscreme durchbrechen können.

»Ich weiß genau das Richtige für dich«, sagte Lia und zog sie hinter sich her, direkt in eine Cocktailbar hinein. Wieder ließ Melissa es über sich ergehen.

Die Bar war gut besucht und ein wirres Stimmengemisch unterlegt von gedämpfter Musik empfing sie. Nur zögerlich folgte sie Lia zu einem freien Tisch und setzte sich zu ihr. Die Menge an Menschen und die Fröhlichkeit, die von diesen ausging, überforderte sie.

Lia schien ihr verkniffenes Gesicht bemerkt zu haben und lachte kurz auf. »Keine Sorge, du wirst dich schon noch entspannen. Darum werde ich mich sofort kümmern«, sagte sie und flitzte los zur Theke. Mit einem zufriedenen Lächeln und zwei kleinen Gläsern in der Hand kam sie zurück an den Tisch und setzte sich. Sie schob Melissa einen der bernsteinfarbenen Drinks zu, griff selbst nach dem anderen und hob diesen auffordernd hoch. Melissa nahm das Glas vor sich und roch daran. Sofort stach ihr der scharfe Geruch des Alkohols in die Nase.

»Nicht so zögerlich, immerhin sind wir hier, um Spaß zu haben. Also, auf meinen Geburtstag!«

»Auf deinen Geburtstag«, erwiderte Melissa mit wenig Überzeugung und gleichzeitig kippten beide Frauen die Flüssigkeit in ihren Mund. Scharf brannte der Whiskey in Melissas Kehle und floss heiß ihre Speiseröhre hinab. Tränen traten ihr in die Augen. Wie gerne hätte sie jetzt einen Schluck Wasser zum Nachtrinken gehabt, doch daran hatte Lia nicht gedacht. Unwillkürlich schüttelte sie sich.

»Und? Fühlst du dich besser?«

Melissa konnte nicht leugnen, dass sich eine angenehme Wärme in ihrem Bauch ausbreitete und sie begann, sich zu entspannen, etwas, dass sie lange nicht mehr getan hatte. Doch ihr war auch bewusst, dass dieses Gefühl trügerisch war, deshalb zuckte sie nur unschlüssig mit den Schultern.

»Ach Melissa. Du musst es ja nicht überstürzen. Auch wenn sich jetzt alles aussichtslos anfühlt, du wirst dein Leben bald wieder genießen können. Zugegeben, zurzeit bist du sehr eingeschränkt, was deine Bewegungsfreiheit anbelangt, aber dafür werden wir noch eine Lösung finden. Selbst wenn es länger dauert, als wir anfangs angenommen hatten.«

Stimmt, so weit hatte sie noch gar nicht gedacht. Nicht nur Nicolas konnte nicht weit fort von ihr, auch sie war an diesen Ort gebunden, solange er sich hier aufhielt. In den letzten Wochen hatte sie sich keine Sorgen mehr gemacht wegen des Zaubers, konnte sie doch überall hin, zusammen mit ihm. Jetzt war sie an diese Gegend gebunden, unter Umständen für den Rest ihres Lebens. Eigentlich sollte diese Aussicht sie erschrecken. Aber das tat es nicht. Es löste einfach nichts in ihr aus, nur pure Gleichgültigkeit. Was spielte es für eine Rolle, wo sie sich ohne Nicolas aufhielt. Das Leben zu genießen kam in keiner ihrer Zukunftsvisionen vor.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now