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Müde betrat sie den Gemeinschaftsraum. Sie musste Stunden geschlafen haben, dennoch wäre sie am liebsten direkt wieder ins Bett gefallen.

Am Tisch saß Amia, den Rücken zur Tür gewandt, von den Vampiren war nichts zu sehen. Konzentriert sah das Mädchen auf ihre Hände, mit denen sie etwas zu basteln schien. Melissa trat zu ihr und betrachtete das Objekt, das Amias ganze Aufmerksamkeit beanspruchte.

Eine dünne Spule mit Draht, eine Zange und eine Schnur aus Leder lagen neben einem warmorange leuchtenden Stein – der Bernstein, den das Mädchen einst am Strand gefunden hatte. Sie hatte ihn bei ihrem überstürzten Aufbruch nicht vergessen.

Erneut betrachtete Melissa den schimmernden Stein und es fiel ihr nicht schwer, Amias Faszination dafür zu verstehen.

»Was tust du da?«

Strahlend blickte das Kind auf und mit dem typischen Leuchten in ihren Augen erzählte sie: »Ich mache die Kette fertig. Wird endlich Zeit. Kannst du mal halten?«

Sie drückte Melissa den Stein in die Hand und umwickelte ihn, bis er fest verankert war, mit dem silbrigen Draht. Dann knipste sie diesen mit einer Zange ab und wickelte das Ende mehrmals um dessen Anfang. Das Schmuckstück ruhte auf Melissas Fingern und es schien, als würde es eine sanfte Wärme ausstrahlen. Als Nächstes verknotete Amia die Lederschnur mit dem Drahtverschluss, sodass eine Art Halskette entstand. Das Ergebnis war weit entfernt von perfekt, und der Stein wirkte viel zu groß, doch dem Kind schien es zu gefallen und Melissa freute sich mit ihr über das Projekt.

»So, jetzt kann man den Stein mitnehmen, ohne ihn zu verlieren.« Amia strahlte und legte sie das Schmuckstück um den Hals. »Gefällt es dir?«

»Ja, du hast eine wunderschöne Kette gebastelt. Ich bin beeindruckt.«

»Danke«, sagte das Mädchen vergnügt und wurde dann mit einem Schlag ernst.

»Weißt du, Adam wollte dir nicht wehtun.«

Melissa riss die Augen auf. »Er hat dir davon erzählt?«

»Nein, war nicht nötig, ich ... ich hab es gesehen. Ich hab mich so erschrocken, dass ich geschrien habe.« Verlegen lächelte Amia Melissa an. Dann war sie es also gewesen, deren Schrei Melissa vernommen hatte. »Aber ich glaub, das war nicht so schlimm, das mit dem Schreien. Tara ist gleich gekommen und ... nun, sie hat mich ins Haus geschickt, deshalb weiß ich nicht, was dann passiert ist. Danach hat sie gesagt, es ist alles in Ordnung mit dir.« Prüfend sah das Kind Melissa an. »Du bist nicht verletzt, oder?«

Automatisch fuhr Melissas Hand an ihren Hals. Doch die Bisswunde war längst verschwunden. Zum Glück.

»Nein, es ist alles gut. Ich hab' mich nur erschrocken.« Das war hoffnungslos untertrieben, sie konnte dem Kind jedoch schlecht erklären, wie traumatisch der Angriff für sie gewesen war. Es schockierte sie, dass das Kind diese Szene mitansehen musste. Doch es schien die Ereignisse gut zu verkraften. Erneut staunte sie über Amias Widerstandsfähigkeit. Diese ruhte so selbstverständlich in sich selbst, und trotz ihrer Vergangenheit bewahrte sie einen unerschütterlichen Glauben daran, dass alles gut werden würde. Außerdem vertraute sie auf die Menschen, die ihr nahe standen und dass diese für sie da wären.

Fast wäre es Melissa gelungen, ebenfalls derart uneingeschränkt zu vertrauen. Fast. Bevor ihr vor Augen geführt wurde, dass diese Art Vertrauen nicht in ihr Leben gehörte. Sie schluckte schwer.

Die Tür öffnete sich und Tara betrat den Raum.

»Tara! Hast du Adam gesehen? Ich wollte ihm noch sagen, dass ...«

»Er will dich nicht sehen«, schnitt die Vampirin ihr das Wort ab.

Melissa blieb der Mund offen stehen. Was hatte sie jetzt wieder falsch gemacht?

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now