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Die Bäume flogen regelrecht an ihm vorbei, als er die kurvige Straße entlangraste. Er durfte nicht zu spät kommen. Nicht Melissas Wohlergehen riskieren.

Wie hatte er die Sache damals dermaßen auf die leichte Schulter nehmen können? Die Männer waren alles andere als harmlos gewesen. Sie waren bereit gewesen, ihn in den Wald zu locken, bewusstlos zu schlagen und auszurauben. Ihr Pech, dass sie einen Vampir erwischt hatten. Wozu waren solche Menschen sonst noch fähig?

Nach ihrer Flucht hatte Nicolas nicht erwartet, dass sie jemals freiwillig in seine Nähe zurückkehren würden, und dass sie froh seien mit dem Leben davongekommen zu sein. Rache hatte er nicht ernsthaft einkalkuliert. Dass sie ihn ausfindig machen würden, erst recht nicht.
Deshalb speiste man nicht dort, wo man wohnte. Eine simple Regel, er hatte sich nicht daran gehalten.

Nicolas hätte seine Angreifer suchen und unschädlich machen müssen nach dem Vorfall. Doch er hatte die Gefahr vor allem in Melissa gesehen. Bitter lachte er auf.

Er schloss die Augen und versuchte zu schlucken, doch sein Hals war zu trocken. Regentropfen begannen gegen die Windschutzscheibe zu prasseln, als wollte das Wetter die unheilvollen Vorgänge mit der nötigen Dramatik unterstreichen. Nicolas nahm dies kaum wahr, zu stark war er abgelenkt von Melissas Bild in seinen Gedanken. Zusammengerollt lag sie in diesem fremden Sessel, die langen Haare hingen ihr strähnig und wirr ins Gesicht. Ihre zarten Lippen waren aufgesprungen und blutverkrustet, die linke Wange blau unterlaufen. Verloren ließ sie den Kopf hängen, ihre mit Stricken gefesselten Hände reglos in ihren Schoß gebettet. Er musste ihre Augen nicht sehen, um zu wissen, welche Hoffnungslosigkeit sich in ihnen breitmachte. Er wusste es trotz der Augenbinde.

Es war nur dieses eine Bild von Melissa gewesen, dass man ihm geschickt hatte, aber es reichte aus, um sein Leben innerhalb einer Millisekunde auf den Kopf zu stellen. So sehr hatte er einen weiteren Angriff auf einen der Vampire befürchtet, dass er Melissas Treiben nicht weiter beachtet hatte. Warum zum Teufel hatte sie die Hütte verlassen? Es spielte keine Rolle mehr. Er würde sie zurückholen. Egal um welchen Preis.

Die Nachricht war unmissverständlich gewesen. »Zu keinem ein Wort. Komme alleine. Wir lassen Melissa frei, wenn wir dich haben. Uns liegt nichts an dem Mädchen, wir haben kein Interesse daran, ihr etwas anzutun. Aber wir sind dazu bereit, wenn es nötig wird. Sei in zwanzig Minuten beim Stadtpark. Pünktlich!«

Nicolas' Gedanken drehten sich unaufhaltsam seit dem Erhalt der Nachricht. Es konnte sich nur um das Trio aus dem Wald handeln. Woher kannten sie Melissas Namen und wussten, was sie ihm bedeutete? Woher hatten sie seine Handynummer? Und was zum Teufel sollte er jetzt tun? Er wusste nicht, ob er den Entführern glauben konnte, was Melissas Freiheitsversprechen anbelangte. Aber egal, wie er es drehte und wendete, er hatte keine andere Wahl. Er erinnerte sich an die Schläge beim Lagerfeuer, als er bewegungslos war. Unmöglich, dass ein Mensch diese lange überlebt hätte. Diese Leute kannten Gewalt und sie machten Gebrauch von ihr. Jede Maßnahme, welche er ergreifen konnte, barg die Gefahr entdeckt zu werden. Er durfte Melissa nicht weiter gefährden.

Zunächst musste er für ihre Freiheit sorgen. Erst wenn sie sich außerhalb der Gefahrenzone befand, durfte er sich zur Wehr zu setzen. Falls es ihm dann noch möglich war.

Er parkte den Wagen auf dem verlassenen Parkplatz vor dem Parkeingang. Der strömende Regen hielt die meisten Besucher fern, nur ein einziger Radfahrer kreuzte sein Sichtfeld. Mit Mühe beherrschte er sich, diesen unbehelligt vorbeiziehen zu lassen, zu lange war es her, dass Nicolas sich ausgiebig satt getrunken hatte. Die Aufruhr in seinem Inneren verschärfte seinen Hunger beträchtlich. Eine ausgiebige Portion Blut würde ihm helfen, die Nerven zu bewahren und klar zu denken. Der Radfahrer bog in den schmalen Weg Richtung Park ein und verschwand hinter einer Reihe hoher Büsche aus seinem Sichtfeld. Gleichzeitig klingelte sein Handy. Er erkannte die nicht eingespeicherte Nummer sofort. Es war die gleiche, die ihm Melissas Bild zukommen lassen hatte.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt