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»Warum habt ihr es mir nicht gesagt?« Noch immer wechselte der Gesichtsausdruck der Vampirin wahllos zwischen den Emotionen, als könne diese nicht entscheiden, welche der Situation angemessen wäre. In einer Sekunde funkelte Tara beide zornig an, in der nächsten sah sie irritiert umher, um danach ungläubig mit dem Kopf zu schütteln.

»So weit hätte es nie kommen dürfen.« Angestrengt fuhr sie sich mit der Hand durch das Gesicht und musterte Adam abwägend. Kurz zögerte sie, dann straffte sich ihre Haltung, als hätte sie einen Entschluss gefasst.

»Wir werden das Problem sofort lösen, bevor du einen weiteren Menschen in Gefahr bringst.«

Adam schüttelte den Kopf, doch ehe er auch nur ein Wort herausbringen konnte, hatte Tara sich bereits ins Handgelenk gebissen und presste dieses auf seine Lippen. Melissa konnte zusehen, wie seine Pupillen sich weiteten und seine Augen tiefschwarz färbten. Der junge Vampir hatte keine Chance, gegen seine Instinkte anzukämpfen. Fast tat er Melissa leid.

Mit aller Kraft ergriff Adam Taras Handgelenk, drückte es noch fester an seinen Mund und trieb seine Zähne tief in die Haut. Die Vampirin ließ es geschehen, ohne eine Mine zu verziehen. Adam schloss die Augen und ein leises Knurren verließ seine Kehle. Wildheit erfasste Besitz von seinem Gesicht, doch diese wich schnell einem Ausdruck purer Verzückung. Und dann zog er Taras Körper mit einem Ruck fest an seinen.

Melissas riss den Mund auf und ihre Lippen bildeten ein stummes »O«. Sie bekam eine Ahnung davon, warum Adam nicht Tara um Hilfe gebeten hatte.

Jetzt, wo die Blutaufnahme ihn aller Kontrolle beraubte, presste er die schöne Vampirin unnachgiebig an sich und schmiegte sich hemmungslos an ihren Körper. Während er an ihrem Handgelenk saugte, lehnte er seine Wange an ihre Schläfe und atmete in tiefen Zügen, völlig entrückt von dieser Welt.

Tara indessen hing steif in seinem Arm und presste die Zähne zusammen. Den Kopf hatte sie so gut wie möglich von dem Jungvampir amgewendet. Für sie war es eine reine Notwendigkeit, die sie über sich ergehen ließ – etwas, das erledigt werden musste. Es schmerzte Melissa, zusehen zu müssen, wie unerwidert Adams Zuneigung blieb.

Während Adams Gesicht wieder Farbe annahm, wurde Tara stetig blasser, bis sie den trinkenden Vampir schließlich keuchend von sich stieß.

»Das müssen wir demnächst anders lösen. Das nächste Mal werde ich Maurice bitten, sich für eine Blutentnahme zur Verfügung zu stellen.« Angestrengt holte sie Luft und sprach dann, als würde sie mehr mit sich selbst als mit den anderen reden, leise weiter: »Und danach bring ich dir bei, dich ohne Hilfe zu ernähren ... etwas, das Nicolas schon lange hätte tun sollen.«

Allmählich fand Adam aus seinem Blutrausch zurück und wirkte nun viel rosiger. Doch konnte er den beiden Frauen schon vor seiner Mahlzeit kaum in die Augen sehen, so gelang es ihm jetzt überhaupt nicht mehr. Tiefbeschämt und noch immer blutverschmiert stand er dort und blickte zu Boden. Dass er Melissa erst vor wenigen Minuten brutal angegriffen hatte, konnte sie ihm nicht übel nehmen, zu offensichtlich war nichts davon seine Absicht gewesen. Am liebsten hätte sie ihn in den Arm genommen und getröstet wie ein kleines Kind, so verloren wirkte er.

Ohne darüber nachzudenken, stand sie auf. Der erlittene Blutverlust ließ sie kurz taumeln, doch sie konnte sich auf den Beinen halten, und schritt auf Adam zu. Tröstend streckte sie die Arme aus, aber als sie diese gerade behutsam um den verstörten Vampir legen wollte, war dieser verschwunden, als hätte ihn der Boden geschluckt.

Sie griff ins Leere und geriet erneut ins Wanken, sodass Tara sie stützen musste. Tief besorgt musterte die Vampirin Melissa und zog die Stirn kraus, als wäre die Situation noch nicht überstanden. »Komm, ich bring dich rein. Du solltest dringend ein Bad nehmen.«

Bevor Tara sie jedoch durch den Hintereingang bugsierte, zog diese einen dünnen Seidenschal aus der Tasche und legte ihn um Melissas blutbefleckten Hals. Die rostroten Hände steckte Melissa in die Manteltaschen – nur falls sie anderen Gästen über den Weg laufen sollten. Erst jetzt bemerkte sie, wie schwer ihre Glieder sich anfühlten nach dem Schock und den Blutverlust. Außerdem machte sich langsam die Erkenntnis in ihr breit, dass Nicolas sich nicht ansatzweise in ihrer Nähe aufhalten konnte – anderenfalls wäre er ihr sicher zur Hilfe gekommen. Widerspruchslos ließ sie sich von Tara unterhaken und fortführen.



Tief und traumlos hatte sie nach dem Bad geschlafen. Als sie erwachte, stand eine ausgiebige Mahlzeit auf einem Hocker in ihrer Kammer, sowie eine Flasche mit Wasser und eine mit Saft. Deutlicher hätte Tara ihr kaum mitteilen können, dass sie etwas zu sich nehmen musste. Ihr Körper brauchte Energie, um den Blutverlust auszugleichen, das war selbst Melissa klar. Widerwillig betrachtete sie das Tablett. Doch schließlich seufzte sie und griff nach dem Teller. Nichts zu essen würde ihr Nicolas nicht zurückbringen. Sie biss in ein Käsebrötchen, aber es hätte genauso gut aus Pappe sein können, so wenig drang der Geschmack zu ihrem Bewusstsein durch. Essen war zu einer reinen Notwendigkeit verkommen, der sie sich beugte, denn Genuss gab es in ihrem Leben nicht mehr.

Sie dachte an Adams Worte, dass sie ignorant und egoistisch wäre. Wieder und wieder wälzte sie diese in ihren Gedanken hin und her. Wie hatte sie sich nur so gehen lassen können? Sie beschloss, wieder mehr Kontakt zum Rest der Familie aufzunehmen, egal ob ihr im Moment danach war. Dieses Verhalten von ihr hatten die anderen nicht verdient. Inständig hoffte Melissa, dass ihr ihr Vorhaben gelingen würde.

Sie erhob sich und blickte in den kleinen Spiegel, der an der Wand hing. Zaghaft versuchte sie sich an einem Lächeln, doch als sie das verzerrte Ergebnis erblickte, ließ sie es lieber sein. Sie sollte mit etwas anderem beginnen. Vielleicht genügte es für den Anfang, sich zeitweise wieder im Gemeinschaftsraum blicken zu lassen? Auch wenn sie keinerlei Interesse daran verspürte, diesen Raum aufzusuchen, würde sie es doch für Amia tun. Und auch Adam schien dringend Aufmunterung zu benötigen. Außerdem musste sie ihm verständlich machen, dass sie ihm den Angriff nicht nachtrug, er hatte so schuldbewusst gewirkt, fast befürchtete Melissa, er könnte an seinem schlechten Gewissen zerbrechen. Adam hatte genug zu bewältigen, auch ohne sich wegen seines Kontrollverlusts zu sorgen.

Ein Seufzen entwich Melissas Lippen. Sie wusste nicht, woher sie die Kraft für dieses Vorhaben nehmen sollte, aber es musste sein. Allein die Tatsache, dass sie darüber nachdachte, war bereits ein erster winziger Schritt in die richtige Richtung. Sie musste sich auf diese kleinen Fortschritte konzentrieren.


♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now