Kapitel 4 - Nicht heulen

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Felicia

Der Sonntag verlief ziemlich unspektakulär. Alle waren verkatert und als wäre der Club ein normaler Teil der deutschen Gesellschaft, hatten auch unsere Etablissements an diesem Tag geschlossen. Ich begegnete meinem Vater nur kurz in der Küche, als ich mir gegen Nachmittag eine Flasche Wasser, eine Kopfschmerztablette und etwas zu Essen besorgte. Doch er schien zu benebelt, um mit mir ein längeres oder ernstes Gespräch zu beginnen, außerdem vermutete ich, dass er irgendeine Mama bei sich im Bett liegen hatte ... Er nickte mir müde zu, hob die Hand zum Gruß und verschwand wieder in sein Schlafzimmer. Mir war das nur recht ... Auch ich hatte keine Lust auf eine Diskussion und fühlte mich erleichtert, dass er und der restliche Club anscheinend nichts von meinem nächtlichen Ausflug mit Kate mitbekommen hatten. Ehrlich gesagt konnte ich es nicht so richtig glauben, dass Kate und ich tatsächlich unser Zuhause verlassen und uns unter die Normalos gemischt hatten. Soetwas hatte ich noch nie getan.

Niedergeschlagen lag ich in meinem Bett und versuchte unter erbarmungslosen Kopfschmerzen und wild sprudelnden Gedanken zu schlafen. Es war vielleicht verrückt, doch mich quälte ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Kutte abgelegt und irgendeinen dämlichen Schicki-Micki-Schuppen besucht hatte. Aber wenn ich daran dachte, wieso es überhaupt so weit gekommen war, verwandelte sich mein schlechtes Gewissen plötzlich in Zorn. In Zorn und Frustration.

Wie konnte mein Vater mir das nur antun?

Warum konnte ich nicht unverheiratet bleiben?

Doch je mehr ich über mein Schicksal nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass es hier gar nicht um mich ging. Es ging einzig und allein um Packs und um seinen Vater Frankie. Nachdem Frankie schon so lange als rechte Hand meines Vaters fungierte, wollte er sicherstellen, dass auch seinem Sohn eines Tages diese Ehre zuteil werden würde. Und da kam ihm ein Ehebündnis mit der Tochter des Wolfes gerade recht. Und mein Vater stand in gewisser Weise in Frankies Schuld. Zumindest glaubte er, seine Treue belohnen zu müssen.

Traurig versenkte ich mein feuchtes Gesicht in meinem Kopfkissen. Ich hasste es zu heulen und tat es so gut wie nie. Das letzte Mal so richtig herzzerreißend geweint hatte ich, als meine Mutter vor neun Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Es war so absurd ... Da behauptete jeder, wenn du Motorrad fährst, stehst du bereits mit einem Bein im Grab und meine Mutter verunglückte mit einem scheiß Fiat Punto. Noch mehr Tränen kündigten sich an, was mich zornig in mein Kissen schreien ließ. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich musste ich an diesen Typen aus dem Schicki-Micki-Schuppen denken. Zwar war ich ziemlich betrunken gewesen, doch erinnerte ich mich an sein bis oben hin zugeknöpftes Hemd, die dunklen, ordentlich gestylten Haare und diese ozeanblauen Augen. Nicht dass ich jemals am Meer gewesen wäre, nein. Mein Vater verreiste höchstens in andere Bundesländer zu anderen Chaptern, doch hatte ich Filme gesehen, in denen Schiffe auf hohen, wilden Wellen tanzten, deren tiefdunkles Blau einen zu verschlingen drohte. Und die Augen des Snobs hatten mich sofort an dieses Blau erinnert, allerdings hatte er auf keinen Fall solch einen bedrohlichen Eindruck gemacht ... Ich musste zugeben, er hatte mich vor einem peinlichen Sturz bewahrt und sich zwischen diesen aufgepumpten Gorilla und mich gestellt, doch wäre Zweiteres überhaupt nicht nötig gewesen! Schließlich war ich ein Wolf und hatte so gut wie immer alles unter Kontrolle!

Seufzend drehte ich mich auf den Rücken, massierte meine pochenden Schläfen und starrte mit schweren Augenlidern meine Zimmerdecke an, an der ein Poster von den Jungs von 'System of a Down' platziert war.

Was dieser Snob wohl für Musik hörte? Sicherlich nur diese billige Chartmusik, die auch in dem Schicki-Micki-Schuppen rauf und runter gespielt wurde.

Es musste doch schrecklich langweilig sein, so ein normales Leben, wie es dieser Typ, dessen Namen ich noch nicht mal in Erfahrung gebracht hatte, zu führen ...

Direwolves - Nichts über den Club!Where stories live. Discover now