Kapitel 1

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Viele Kerzen. Schwarzes Himmelbett. Weiße Wände und Decke. Antiker schwarzer Schrank und Kommode. Leises Geflüster. Ein Mann und eine Frau, beide in schwarz. Sie sehen mich jetzt an. Die Frau lächelt, setzt sich auf das Bett, wo ich liege. Ihre spitzen Eckzähne glitzern kurz auf, ehe ihr Lächeln sich wegen meinem Gesichtsausdruck verzieht. Ich habe Angst.
"Sieh mich nicht so an, ich werde dich schon nicht beißen."
"Aurora, sei nett zu unserem Gast.", droht der Mann kalt.
"Christopher, ich kann nicht anders. Wir bieten ihr unsere Gastfreundlichkeit an und sie schaut mich feindseelig an."
Habe ich das wirklich?
"Nimm ihr das nicht übel. Wenn ich sie wäre, würdest du mir auch Angst einjagen. Ihr Blick ist nur Selbstverteidigung. Wir sind ihr fremd."
Die Frau sieht mich etwas überrascht an.
"Aber nein. Wir sind durchaus bekannt."
Sie machen mir beide immer noch Angst. Wer sind sie und was wollen sie von mir?
"Geht es dir besser?", fragt mich der Mann und in seiner Stimme erkenne ich die versteckte Kälte, mit der er zu der Vampirin gesprochen hatte.
Ich versuche, ja zu sagen, doch meine Stimme versagt und ich nicke nur. Die Frau erhebt sich geschmeidig.
"Gut, dann steh auf."
"Aurora.", wiederholt der Mann hart und die Genannte seufzt.
"Meine Worte waren nicht unfreundlich oder frech. Ich wünsche mir, dass du es auch so nehmen würdest, Christopher. Schließlich müsstest du an meine Ausdrucksweise schon gewöhnt sein. Und ich solle Recht damit haben, dass das Mädchen nicht den ganzen Tag in meinem Bett liegen soll, sondern sich bewegen muss. Inzwischen wissen wir beide, was dann geschieht."
Wovon redet sie? Ich komme einfach nicht dahinter. Und Vampire...?
"Ja, das stimmt. Diesmal hattest du das Glück auf deiner Seite, Lilith. Nächstes Mal wirst du nicht so leicht davonkommen."
Oh, er redet ja wieder mit mir. Ich sehe ihn stumm an, schlage die Decke zur Seite und steige langsam aus dem Bett. Die Welt dreht sich und schwarze Punkte tauchen überall auf. Wie auf ein Befehl kommt Aurora zu mir und stützt mich, damit ich nicht ohnmächtig hinfalle.
"Sie ist noch viel zu schwach. Ihr verlangt zu viel von einem einfachen Menschenkind.", ertönt plötzlich eine junge Stimme hinter mir.
Ich drehe den Kopf zurück und sehe einen maximal 13-jährigen Jungen aus dem Schatten auftauchen. Der Mann und die Frau schenken ihm aber keine Beachtung.
"Joshua, das ist nicht deine Angelegenheit.", entgegnet Aurora scharf.
"Alexandra hatte dir den Befehl erteilt, dich aus unserer Sache herauszuhalten.", fügt Christopher hinzu.
"Ich halte mich nicht an alle Befehle. Vor allem, wenn es Alexandra angeht."
"Das solltest du aber. Sonst muss der Rat eine schwere Entscheidung dir gegenüber treffen.", sagt die Vampirin und auf ihrem Gesicht taucht für eine Sekunde ein amüsiertes Lächeln auf.
Ich schätze, sie will den Jungen leiden sehen. Aber ob er wirklich ein Junge ist? Sein Verhalten und seine Stimme zeugen von Weisheit, die man nur nach Jahrhunderten erhalten kann.
Ich nehme meinen Arm von Auroras Schultern und sie tretet zwei Schritte zur Seite. Die Welt hält still, so wie es auch sein muss.
"Sie erholt sich schnell.", wundert sie sich.
"Sie ist kein einfaches Menschenkind.", widerspricht Christopher den Worten des Jungen.
"Genau deshalb befolge ich Alexandras Befehl nicht. Ich werde das Mädchen euch nicht überlassen.", meint Joshua bestimmt.
Ich weiß nicht, warum, aber er macht mir weniger Angst als die anderen beiden. Vielleicht, weil er das Aussehen eines Kindes hat.
"Lilith, möchtest du, dass ich bleibe?", fragt er mich freundlich.
"Traue dem Jungen nicht, er ist gefährlicher, als sein Erscheinen denken lässt.", warnt mich der Mann.
Ich kann immer noch nicht sagen, ob er ein Vampir ist, aber ich hab keine anderen Varianten.
"Nicht gefährlicher als ihr.", bestreitet Joshua.
"Ich will, dass er bleibt.", flüstere ich vorsichtig.
"Gute Entscheidung.", lächelt der Junge zufrieden.
"Schlechte Entscheidung.", sagt Aurora, die von meiner Antwort nicht begeistert ist.
"Na gut, das ist deine Wahl.", seufzt Christopher. "Und jetzt müssen wir weitergehen. Letztendlich ist unsere Zeremonie noch nicht beendet."
Welche Zeremonie? Erst jetzt fällt mir auf, dass ich ein blutrotes bodenlanges Kleid anhabe, und nicht meine Jeans. Und erst jetzt erinnere ich mich daran, dass ich von einem Vampir gebissen wurde. Er heißt Miguel. Er war bis vor Kurzem mein Freund. Ich schätze, unsere Beziehung ist nun zu Ende. Er hatte mich zu einer Familienfeier eingeladen. Christopher und Aurora hatten sich mir als seine Eltern vorgestellt. Joshua nannte ihn Bruder. Jetzt weiß ich, dass es nicht so ist, sie sind auf keinen Fall eine Familie.
Aber welche Zeremonie?

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