Kapitel 21

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Wir betreten einen Raum und ich sehe mich um. Wie auch überall, ist hier kein Licht, aber Joshua macht einen Kerzenständer mit sechs Kerzen an. Das Zimmer ist riesengroß und enthält gar keine Möbel.
"Wo sind wir?", frage ich verwirrt.
"Das ist eine Art Übungsraum. Sehr vorteilhaft, da es schalldicht ist."
Eh... Werde ich etwa schreien müssen?
"Joshua... Was willst du mit mir für diesen Schutz tun? Du erschreckst mich."
Ernsthaft, was hat er vor?
Der Junge setzt sich im Schneidersitz auf den Boden. Da ich ebenfalls nicht stehen will, mach ich's ihm nach.
"Nur sehr wenige Vampire können ihren Geist vor anderen Vampiren schützen, auch sehr alte. Hier bei uns ist es eine Ausnahme. Wir leben alle zusammen, weshalb es notwendig ist. Du verstehst schon, Privatsphäre. Aber trotzdem schafft man nicht ganz, seinen Geist abzuschirmen. Ich kann zum Beispiel leicht in Miguels Geist gelingen.", erzählt Joshua.
"Aber in deinen Geist kann niemand gelingen?", unterbreche ich ihn.
"Richtig erkannt. Deshalb muss ich meinen Geist etwas öffnen. Sonst ist es irgendwie seltsam, findest du nicht, dass ein hundert Jahre alter Vampirjunge so etwas kann."
"Doch du bist so nett und willst mir beibringen, wie man das auf die Reihe kriegt?"
"Genau das ist dein Problem.", lächelt Joshua irgendwie komisch. "Man kann das nicht beibringen. Das kommt von selbst."
Und hier ist der Hacken...


"Du wirst mich quälen müssen?"
"Nur wenn du willst. Es war allein dein Wunsch."
"Wird das wirklich was nützen?"
"Ja."
Oh Mann, das gefällt mir überhaupt nicht. Was soll ich nur tun? Was mich am meisten stört, ist die Tatsache, dass ich über meine Antwort überhaupt nachdenke. Ich grübel noch eine Weile in meinen Gedanken und stehe dann auf.
"Okay, ich bin bereit, lass uns anfangen.", künde ich schließlich meine Entscheidung an und Joshuas Augenbrauen schwingen überrascht in die Höhe.
Ja, ich bin dumm. Dumm wie eine Nuss.
Der Junge kommt ebenfalls auf die Beine und kratzt sich kurz am Hinterkopf.
"Es tut mir wirklich Leid für dich, Lilith. Aber glaube an dich, du wirst das schaffen, du bist stark."
Hm ja, hoffentlich.
Alle Gefühle entweichen aus Joshuas Gesicht und er starrt mich einfach an. Ich kriege Kopfschmerzen. Heftiger werdende Kopfschmerzen. Dröhnen in den Ohren. Es taucht ein komisches Geräusch auf, welches mich an Kreischen erinnert. Von einer zur anderen Sekunde wird es unglaublich laut. Deshalb drück ich schnell die Hände auf meine Ohren. Aber es geht nicht weg. Ich schreie auf. Und dann ist alles weg. Ich nehme meine Hände runter und bemerke den wieder sitzenden Joshua.
"Jetzt verstehe ich, warum ausgerechnet ein schalldichter Raum.", lächle ich gequält.
"Es war erst der Anfang. Damit alles klappt, müssen deine Schmerzen viel schlimmer sein."
"Wie hast du Miguel weggekriegt?", lenke ich vom Thema ab.
"Miguel ist jagen gegangen und ich versicherte ihm, dass wir nicht weiter üben. Ich fand das sehr vorteilhaft. Und jetzt eine Anweisung für dich. Das Geräusch wird intensiver und es sagt dir, dass ich in deinen Geist weiter eindringe. Du musst es unterdrücken, hörst du? Nicht einfach die Ohren zuhalten, so klappt das nicht. Verdränge mich aus deinem Geist. Benutze deine ganze Kraft aber verdränge mich. Dann haben wir die Hälfte geschafft."
Worauf bin ich nur eingegangen? Von dem Kreischen hab ich noch immer Dröhnen in den Ohren und die Kopfschmerzen haben ihre Spur hinterlassen. Ich setzte mich auf den Boden hin und reibe mir die Schläfen. Nur ein kleiner Erholungsmoment...


"Ja, wir können auch sitzend weitermachen.", definiert der Junge meine Pause.
Ehe ich etwas erwidern kann, fängt das Kreischen wieder an. Nein!, stöhne ich innerlich auf und versuche, Joshuas Hinweis zu folgen. Wie soll ich ihn nur verdrängen? Ich nehme nichts außer dem Geräusch wahr. Sogar der Vampir selbst löst sich in der Dunkelheit auf. Nein, nein, nein, nicht das Bewusstsein verlieren. Von dem komischen Laut tun mir die Ohren weh. Ich versuche, Joshuas Gestalt aus der Dunkelheit zu bringen, doch das Kreischen lässt mich das nicht machen. Und dann hört alles wieder auf.

Zu Hause bei den Vampiren Where stories live. Discover now