Kapitel 31

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Der Garten ist noch immer in die nächtliche Dunkelheit getaucht.
"Du hast es wieder in meinen Gedanken gelesen, dass ich spazieren will.", sage ich ohne auf Joshua zu blicken.
"Ich könnte das, aber ich tat das nicht. Man merkt es dir einfach an. Was hast du dir denn bezüglich Miguel ausgedacht?"
"Das will ich geheim lassen. Reicht dir seine Reaktion nicht aus?"
"Nein. Aber ich lasse deine Antwort durchgehen. Komm mit, da hinten ist eine Bank mit einer schönen Aussicht."
Langsam gehen wir zu dem Platz, den mir der Junge genannt hat.
"Du willst mir was erzählen.", stelle ich mit fragendem Unterton fest.
"Schon möglich." nickt der Vampir und setzt sich auf die mondbeleuchtete Bank.
Ich mach's ihm nach und der Duft von Rosen steigt mir in die Nase und breitet sich auf meiner Haut aus. Der Anblick ist verzaubernd.
Als mein Blick das nächste Mal Joshua erfasst, legt er seine Hände auf meine Wangen und drückt mir schnell einen Kuss zu, mir in die Augen blickend. Ich sehe ihn verwirrt und überrascht an.
"Entschuldige.", meint er schnell und wendet den Blick von mir ab.
"Ehhhhh... Joshua, wenn du nur älter aussehen würdest... Tut mir leid!", bringe ich mitleidvoll heraus, nachdem ich endlich zu mir komme.
"Ich wusste, dass du so etwas sagen würdest. Es wundert mich auch nicht. Ich musste nur die Gelegenheit ausnutzen." Er lächelt mich kurz an und guckt dann wieder gerade aus. "Das wird nicht noch einmal vorkommen.", fügt der Junge noch hinzu.

Mehr haben wir nicht geredet. Im Haus murmelte Joshua eine Verabschiedung und stieg die Wendeltreppe nach unten. Ich selbst ging in das Wohnzimmer, wo ich jetzt auch bin und durch das Fenster blicke. Draußen steigt schon die Sonne auf. Doch ich achte nicht sehr auf die Umgebung, in meinem Kopf schwirren Gedanken herum, die mit Joshua zu tun haben. Und mit Miguel ebenfalls.

"Trink mal was.", höre ich plötzlich eine weibliche Stimme hinter mir.
Es müssten schon zwei Stunden vergangen sein, seitdem ich hier am Fenster stehe. Ich drehe mich um und erblicke Aurora. Ich habe gleich ihre Stimme erkannt. Sie steht in der Tür zum dunklen Esszimmer mit einem Glas etwas Rotem in der Hand.
"Ich muss kein Blut trinken.", entgegne ich verwirrt.
"Das weiß ich. Aber es ist besser für deine Kräfte, wenn du das tust. Es schmeckt dir doch, stimmt? Na los! Guck mal wie an-zie-hend! Lecker, lecker Bluut."
Sie fährt mit dem Glas vorsichtig aber schnell im Kreis herum und grinst. Aber sie wagt es nicht in das sonnenbeleuchtete Wohnzimmer.
"Vertragen Sie die Sonne nicht?",, interessiere ich mich.
"Doch. Aber ich mag sie nicht."
Zögerlich gehe ich auf Aurora zu und nehme das Glas aus ihrer Hand, gucke über den Rand.
"Es ist wie eine Droge.", kommt es mir in den Sinn. "Es schmeckt viel zu gut. Und deshalb wird man abhängig."
Darauf grinst Aurora weiter.
Ich werfe ihr einen misstrauischen Blick zu und fange an, zu trinken.
So lecker!
"Und jetzt mach deinen Mund auf.", fordert mich die Vampirin auf.
Ich sehe sie fragend und verständnislos an. Was was soll ich machen? Meinen Mund aufmachen? Wozu das?
"Na los, was zögerst du. Zeig mir deine schönen Zähnchen.
Sie bleckt ihre langen Fangzähne. Ahhh, kapiert. Ich öffne ein bisschen meinen Mund und zeige Aurora die Zähne. Ihren sonderbaren Gesichtsausdruck kann ich leider nicht beschreiben.
"Na so was.", wundert sie sich. "Trink mal noch einen Schluck und mach dann gleich den Mund auf."
Was hat sie?


"Sieh mich nicht so an, mach einfach."
Mit unveränderter Verständnislosigkeit befolge ich Auroras Anweisungen. Nun lächelt sie.
"Sehr interessant."
"Können Sie mir nicht endlich mal sagen, was hier los ist?", halte ich nicht aus.
"Ich kontrolliere deine Eckzähne. Merkst du denn überhaupt nichts? Kein Wunder, dass dir Miguels komisches Benehmen entgangen ist, als ihr euch getroffen hattet."
Kann hier denn keiner verständlich reden?! Immer diese Rätsel!
"Nicht ausflippen.", warnt mich Aurora. "Ich erkläre es dir. Wenn du trinkst, kommen deine "Vampirzähne" zum Vorschein. Gleich danach ziehen sie sich wieder ein. Ich sage doch, interessant."
Sie nimmt mir das noch zum Teil volle Glas ab.
"Nun gehe ich auf mein Zimmer. Schönen langweiligen Tag dir noch."
Aurora wendet sich von mir ab, dreht sich dann aber doch noch um.
"Ich rate dir, lieber schlafen zu gehen. Morgen hast du wieder Training."
Ich nicke ihr zu, eher um sie vom Hals zu haben, als zustimmend.
Aber als es mir doch zu langweilig wird, gehe ich trotzdem auf mein Zimmer.

Das Erste, was ich nach dem Aufwachen merke, ist, dass ich Besuch hab. Wie auch bei unserem ersten Treffen sitzt die Vampirin mit dem Rücken zu mir auf dem Stuhl und schaut sich die Sachen auf dem Tisch an. Ich setzte mich auf den Bettrand und seufze.
"Guten Abend, Alexandra. Ich habe gehört, Sie besuchen die Villa kaum. Was hab ich angerichtet, dass Sie wieder hier sind?"
Sie steht auf und lächelt mich an.
"Hallo, Lilith. Eine sehr positive Denkweise hast du. Aber ich bin nicht aus dem von dir genannten Grund da. Ich wollte mich erkundigen, wie dein Training läuft. Ich brauche deine Antwort."
Lügt sie mich gerade an? Irgendwie ist es nicht vorstellbar, dass so ein geringer Grund sie hierher führt. Und vertraut sie den Ältesten etwa nicht? Obwohl... Ich weiß ja nicht, was sie ihr so erzählen.
"Eigentlich ganz gut. Ist zwar manchmal anstrengend, aber ich komme klar. Joshua und Miguel sind keine schlechten Lehrer."
Als ich die Namen nenne, ändert sich etwas in ihrem Gesicht, doch dann fasst sie sich wieder. Offensichtlich sollte ich andere Lehrer haben.
"Das freut mich. Seit wann hast du den Geistesschutz?"
O-ou... Ob eine Lüge durchgehen wird? Hoffe ich.
"Geistesschutz? Wenn ich noch wüsste, was das ist..."
Alexandra sieht mich prüfend und warnend an, lässt die Antwort aber durchgehen. In Gedanken atme ich erleichtert aus.
"Vergiss es, nicht so wichtig.", lächelt sie und ich nicke.
Das Lächeln vorspielen kann sie wirklich gut.
"Ich habe eine Frage.", meine ich etwas zögerlich.
"Du darfst sie stellen.", willigt die Vampirin interessiert ein.
"Die Älteren haben über irgendwas gesprochen, das in einer Woche passieren soll. Und bis dahin sollte mein Training beendet sein. Was wird passieren? Sie müssten es doch wissen."
Ich glaub aber mich, dass sie mir diese Frage beantworten würde.
"Der Grund ist mir bekannt. Doch ich habe nicht gesagt, dass ich das Geheimnis lüften werde. Sei Geduldig, Lilith. Auf Wiedersehen."
Mit diesen Worten verlässt Alexandra mein Zimmer.

Zu Hause bei den Vampiren Where stories live. Discover now