Kapitel 34

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Die Nacht war verrückt. Jeden möglichen Moment bohrte Miguel Joshua mit seinem Blick. Im Gegenzug nervte mich der Junge im Kopf mit Fragen. Wie er es ausgedrückt hat, ist ihm Miguels Verhalten unerklärlich. Woher sollte ich es dann bitteschön wissen, ich bin kein Psychiater!
Im Endeffekt hab ich irgendwann die Fassung verloren, weil ich mich nicht auf die gestellten Aufgaben konzentrieren konnte. Nachdem ich ein bisschen rumgetobt und den beiden Vampiren eins auf die Fresse gegeben hab - Ja selber schuld! -, haben sie mich "gefangen genommen".
Ich sitze gerade im Wohnzimmer, an einen Stuhl gefesselt.
Wenn ihr mich nicht freilässt, werde ich Miguel alles erzählen., drohe ich dem Vampirjungen in Gedanken und schaue ihn eindringlich an.
Wehe., erwidert er meinen Blick.
Schon seit zehn Minuten geht das so in der Art.
"Ich bin auch noch da!", hält Miguel nicht mehr aus und winkt langsam mit der Hand zwischen unseren Gesichtern.
Warum will Joshua ihm nichts verraten? Bei mir hat er es schließlich zugegeben.
"Darin zweifelt niemand.", entgegnet der Junge.
Nun sind wir übrigens alle drei verfeindet.
"Lasst mich endlich frei.", stöhne ich genervt. "Die Seile tun mir weh... Ich habe mich schon beruhigt."
"Nein, das ist jetzt deine Strafe.", sagt Miguel.
"Aha! Die Schläge waren auch eure Strafe, die habt ihr verdient!", schmolle ich.
"Inwiefern?", fragt Joshua.
"Ihr solltet mich trainieren und nicht nerven! Und jetzt sitz ich hier fest!!!"
Deine eigene Schuld..., höre ich Joshua in meine Richtung denken.
"Das ist ja nicht meine Schuld!", rufe ich verärgert. "Zumindest nicht allein meine. Und jetzt bindet mich los!"
Miguel und Joshua wechseln die Blicke. Und Miguel gibt nach.
"Es macht sich nicht gut, seine eigene Freundin zu fesseln...", meint er und löst das Seil.
Dann setzt sich jeder auf ein eigenes Sofa und blickt umher. Nach einem fünfminütigen lastenden Schweigen halte ich die Stille nicht mehr aus.
"Entschuldigung.", sage ich seufzend, aber bestimmt.
Die Vampire sehen mich fragend an.
"Na was denn? So kommen wir nicht weiter, wenn wir nur hier rumsitzen. Darum Entscheidung."
Die beiden senken ihre Blicke, nicken.
"Entschuldigung angenommen.", fügt Joshua hinzu. "Und bitte verzeiht mir auch."
Nach dem gegenseitigen Entschuldigen, welches weitere fünf Minuten dauert, umarme ich Miguel und Joshua. Mein Gott, ich mache mir Vampire zu Freunden. Ich umarme sie sogar! Das bin ja gar nicht ich. Lilith, wach auf!
"Ich schätze, wir lassen das Training heute ausfallen.", unterbricht Joshua meine Gedanken.
Uns bleiben doch nur vier Tage., denke ich in seine Richtung.
"Bitte laut reden!", beschwert sich Miguel.
"Lilith hat mich nur daran erinnert, dass uns nur vier Tage bleiben.", wiederholt Joshua meine Worte. "Ja, du hast Recht. Aber damit jetzt wieder anzufangen, wäre sinnlos. Die Nacht ist bald um. Lilith, wenn du es dir wünschst, kannst du auch tagsüber üben."
"Ja mit wem denn? Ach egal, ich hab keine Lust mehr.", gebe ich auf.
"Wir haben sowieso Gäste.", meint Miguel.
Maximilian und Diana betreten den Raum.
"Wir sind Mitbewohner, keine Gäste.", erwidert Maximilian und geht auf das Sofa zu, wo Joshua sitzt.
"Mann, dein Blut riecht so lecker...", faucht Diana und setzt sich zu mir.
"Das lenkt voll ab!"
"Nicht mein Problem.", zucke ich lächelnd aber genervt die Schultern.
Dann hätte sich sich zu Miguel setzen sollen.
Die Vampirin schnaubt verachtend und Miguel lächelt deshalb.
"Diana, lass Lilith in Frieden.", seufzt Maximilian.
"Ich mach ja nichts.", hebt sie abwehrend die Hände auf Brusthöhe.
Ja, sie macht nichts. Außer mir auf die Nerven gehen! Warum hat sie sich ausgerechnet neben mich gesetzt?


Joshua lächelt.
Sie mag Miguel nicht., antwortet er mir durch Gedankenübertragung.
"Joshua,", überrascht uns alle plötzlich Auroras Stimme.
Die Frau selbst ist in dem Durchgang zum Flur erschienen und schaut uns jetzt gelangweilt an. In diesem Moment gehört die Aufmerksamkeit uns aller allein ihr. Das hat sie sich wohl gewünscht.
"Ja?", fragt der Junge.
"Christopher will dich sprechen."
Gut oder schlecht? Was frag ich noch?! Natürlich schlecht!
Joshua wirft einen kurzen, unsicheren Blick auf mich und steht auf. Sehr schlecht...
Aurora geht los und Joshua folgt ihr.
"Meint ihr, es ist wegen mir?", frage ich gleich nachdem sie weg sind.
"Möglich.", antwortet Maximilian.
"Bestimmt.", seufzt Miguel.
"Du bist hier ja angesagt.", grinst Diana.
"Sehr witzig...", murmel ich.
"Ihr wisst Bescheid, was passieren wird?", fährt Miguel Maximilian an.
Wie kommt er auf den Gedanken?
"Ich - ja.", entgegnet dieser.
"Toll, und ich nicht!"
Oh Mann, ich krieg schlechtes Gewissen. Was soll ich tun?!
Nur keine Panik., meldet sich Joshua., Es ist alles in Ordnung. Spricht nur besser über ein anderes Thema.
Leicht zu sagen...
"Leute, das Thema stresst mich richtig. Können wir nicht über etwas anderes reden?", meine ich genervt.
Das spiel ich nicht nur vor, ich bin wirklich gestresst. Ich mag es nicht, an meinen frühzeitigen Tod erinnert zu werden. Und überhaupt, die ganze heutige Nacht war stressig. Oh, von mir aus können wir jetzt auch schlafen gehen. Alles Weitere wird sowieso nicht wichtig sein.
"Entschuldige, ich habe nicht daran gedacht, dass es dir auf die Nerven geht. Für meine Dummheit darfst du mich ein Mal schlagen.", gibt Miguel seinen Fehler zu.
Wie süß.
"Behalte ich mir für später.", entgegne ich lächelnd.
Diana faltet die Hände zusammen und es erklingt ein "Klatsch".
"Ach jaa... Ich habe ganz vergessen, dass zwischen euch beiden Liiiebe herrscht.", stößt sie hervor.
Miguel und ich verdrehen die Augen, Diana grinst und Maximilian lächelt amüsiert.
Magst du sie genauso wenig wie sie dich?, frage ich Miguel zum ersten Mal in Gedanken und dieser nickt.
"Lilith, schlage uns doch ein Thema vor.", verlangt Maximilian geduldig.
"Keine Ahnung.", seufze ich. "Ich hab eine Alternative. Ich gehe jetzt schlafen und ihr redet, worüber ihr so wollt. Ich bin von heutiger Nacht ganz schön müde und erschöpft."
"Du willst uns keine Gesellschaft leisten?", entgegnet Diana gespielt verwundert.
"Nicht unbedingt.", zucke ich die Schultern.
"Du darfst natürlich gehen, aber nur, wenn du dabei nichts anrichtest.", willigt Maximilian ein.
Sofort fliehe ich aus dem Raum.
Da ich kein Bock auf Abenteuer hab, begebe ich mich auf mein Zimmer, dusche, suche mein Handy heraus und lege mich ins Bett.
"Gute Nacht.", sage ich zu mir selbst.

Zu Hause bei den Vampiren Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt