Kapitel 11

3K 148 2
                                    

"Es ist ein höchst interessanter und einzigartiger Fall.", sagt Joshua, nimmt meine Hand und zieht mich die letzten Stufen herauf, den Flur entlang, in das von der Sonne erleuchtete Wohnzimmer. "Erklären kann ich dir das leider nicht, aber glaube mir."
Er steht einfach da und ignoriert die blendende Sonne.
"Bist du stärker als Alexandra?"
"Ja."
"Bist du auch älter als sie?"
"Ja."
"Weiß davon jemand außer mir?"
"Nein. Sie alle unterschätzen mich von Anfang an und mir ist das recht."
Es scheint mir, als würde er nicht die ganze Wahrheit sagen.
"Wie kann ich ein Vampir sein?"
Wir setzen uns auf das Sofa.

"Hattest du deine Mutter jemals gesehen?"
"Nur auf den Fotos."
"Wenn sie eine Vampirin wäre..."
"Ich glaube nicht-"
"Es gibt keine anderen Varianten. Die Kinder eines Vampirs und Menschen überleben im Regelfall nicht. Aber wie ich es mit meinen Augen sehe, gibt es Ausnahmen."
"Wie kann das sein?"
"Ich habe dir schon gesagt, ich kann dir das nicht erklären. Dein Vampir schlief, bis Miguel ihn mit seinem Biss erweckt hatte. Sei auf ihn nicht wütend, er ist noch jung. Jedenfalls ist es für uns Vampire gruselig, dir jetzt tief in die Augen zu sehen."
"Da lauert das Monster.", ergänze ich und Joshua nickt. "Werdet ihr mich jetzt nach Hause lassen?", frage ich nach.

"Eher nein, es tut mir leid. Sie haben etwas vor, Alexandra, Christopher und Aurora."
"Hm. Wie geht's dieser Diana?"
"Wie es einem Neugeborenen gehen kann - schlecht."
Ich will nach Hause...

"Wo sind Alexandra und so?"
"Das Sonnenlicht ist kein Freund von den Dreien, die du meinst. Aber es schadet ihnen genauso wenig wie mir, also überhaupt nicht."
"Ich dachte, Aurora ist nicht so stark."
"Sie ist stark. Achso, willst du etwas essen oder trinken?"
"Wäre schön."
Joshua steht auf, will schon gehen, hält aber inne.

"Verspreche mir, dass du keinen Versuch unternimmst zu fliehen."
Warum sollte ich das nicht? Werden sie mich dann verletzen?
"Einverstanden.", seufze ich schwer.

Der Junge verlässt das Zimmer und ich bleibe allein. Der Raum wirkt wieder so verlassen.

Ich habe gegessen. Dann meinte Joshua, ich soll schon runtergehen, während er noch was zu erledigen hatte. So steige ich jetzt die alte Wendeltreppe runter, in die undurchdringliche Dunkelheit. Zumindest hab ich etwas von der Sonne abbekommen. Auf jeden Fall hab ich keine Vorstellung davon, wie ich mein Zimmer aufsuchen soll. Na ja, mal gucken, vielleicht steht wieder jemand im Weg.
Ich spüre die letzte Stufe und bin schon gleich ganz unten angekommen. Ich frag mich, wie viele Zimmer es hier überhaupt gibt und wie lang dieser komische Flur ist. Von diesen Gedanken lenkt mich ein seltsames Geräusch ab. Mein Unterbewusstseit sagt, jemand ist hinter mir her. Warum gibt's hier kein Licht!
Ich drehe mich schnell um und nehme den Weg zurück. Am Fuß der Treppe springt etwas auf meinen Rücken. Ich falle hin und knalle mit dem Kopf an die Stufen. Das Letzte, was ich außerdem wahrnehme, ist ein heftiger Schmerz am Hals.

Wieder viele Kerzen, schwarzes Himmelbett, weiße Wände und Decke, antiker schwarzer Schrank und Kommode. Auroras Zimmer... Was mach ich hier? Mein Hals tut weh. Und mein Kopf auch, sogar noch heftiger. Vorsichtig dreh ich mich auf die linke Seite. Joshua sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und sieht mir erwartungsvoll zu.

"Lilith! Endlich bist du wach!", ruft er.

"Schrei bitte nicht.", stöhne ich.

Der Vampirjunge sieht müde aus. Wann hatte er das letzte Mal geschlafen?

"Verzeihung."
Joshua ist so komisch. Manchmal verhält er sich wie ein kleiner Junge und manchmal wie ein erfahrender und alles wissender Erwachsener - ich versteh ihn nicht.

"Was ist passiert?", frage ich schläfrig.

"Diese Frage stellst du am besten Miguel, wenn er wieder zurückkommt."
"Wieso ausgerechnet ihm?", wundere ich mich.
"Weil er dir schon die ganze Zeit hilft."
"Habt ihr Tabletten? Ich hab Kopfschmerzen..."
"Genau aus diesem Grund ist er im Moment nicht anwesend."
"Wieso Auroras Zimmer?"
"Es lag am nächsten."

Zu Hause bei den Vampiren Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt