Kapitel 20

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Kraftlos plumpse ich auf das Sofa im dunklen Wohnzimmer der Villa. Miguel und Joshua machen die letzten Vorhänge zu und gesellen sich rechts und links zu mir.
"War doch nicht so schlimm.", seufzt Miguel.
"Nicht schlimm? Es war schlimm.", versichere ich.
"Und es wird noch schlimmer.", warnt mich Joshua.
"Könnt ihr mir nicht jetzt sagen, was wir morgen machen?", frage ich hoffnungsvoll.
Die Vampire tauschen die Blicke aus und schütteln beide ihre Köpfe.
"Sonst kommst du nicht raus.", fügt Joshua mit der Erinnerung an heute hinzu.
"Wenn es so viel schlimmer wird, dann verabschiede ich mich schon jetzt von euch.", erwidere ich und lege mein Kopf auf den Sofarücken.
"Ja, und bleibst für immer und ewig in unserem Haus.", entgegnet Miguel und ich mache "tss".
Aber Mann, er hat wieder Recht! Langsam nervt das.
"Wie schafft ihr es die ganze Zeit, mich zu überreden?", frage ich, will aber nicht ernsthaft eine Antwort hören.
Ich reibe mir die Augen vor Müdigkeit und gähne. Schulterzuckend steht Joshua auf und geht los.
"Ich mach dir mal was zu essen, bevor du hier noch einschläfst.", sagt er.
Ich sehe ihm verwundert nach.
"Ach auch so kann er reden!"
Miguel lächelt.
"Natürlich kann er. Er muss schließlich als ein normaler 11-jähriger Junge vorkommen. Sonst wird man ihn bestimmt schief ansehen. Hm?"
"Ehh, ja."
Ich schließe die Augen. Die ganze Nacht musste ich vor Steinen, die Miguel nach mir warf, wegrennen und dann vor Joshuas Schlägen und so weiter ausweichen. Und ich habe natürlich meinen Beitrag geleistet, Joshua eine auf den Kopf zu hauen und seine wütend glitzernden Augen zu sehen. Eh he he...
"Erstens:", holt mich Miguels Stimme in die Wirklichkeit zurück. "Warum grinst du so? Zweitens: Schon zum zweiten Mal ignorierst du Joshuas Ruf."
"Ou. Ich war in meinen Gedanken. Und irgendwie hör ich Joshua nie.", erkläre ich und füge für den Jungen lauter hinzu "Sorry!"
Ey, jaa... Warum hör ich ihn eigentlich nie?
Miguel und ich stehen auf und gehen in das Esszimmer, wo Joshua schon auf seinem nun festen Platz sitzt: auf der kürzeren Tischseite zwischen mir und Miguel.
"Warum kann ich dich nicht hören?", stelle ich dem Jungen die mich quälende Frage.
"Wer hat dir das erzählt?", wundert er sich.
"Hab ich selber mitbekommen. Miguel musste mir schon das zweite Mal von deinem Ruf Bescheid sagen."
"Vielleicht will ich aber, dass nur er mich hört?", lächelt Joshua.
Ich gehe nicht darauf ein, winke ab und fange einfach an, zu essen. Für so etwas bin ich jetzt viel zu müde!
In meinem Zimmer krame ich das schon vor Langem vergessene Handy heraus, schalte es an. Hundert Anrufe. Ungefähr die gleiche Anzahl von Nachrichten. Wie kann man das überhaupt schaffen? Überall im Netz hab ich weitere unendliche Nachrichten. Alle von meinem Vater. Er macht sich wohl wirklich Sorgen. Aber, wenn ich mal so nachdenke... Es ist gar nicht so schlimm hier, zu Hause bei den Vampiren.

Als ich aufwache, steht wieder Frühstück- Halt, ich meine Abendessen auf meinem Tisch. Es ist schon wieder ein anderes Gericht, aber genauso leckeres wie die davor. Schön, dass Joshua so gut kochen kann, mit ihm werde ich nicht verhungern. Nun will ich aus dem Raum treten, doch es klopft an meine Tür. Nach meinem "Herein!" Ruf, kommt Joshua in das Zimmer.
"Guten Abend.", begrüßt er mich.
"Abend.", antworte ich. "Das Essen war lecker wie immer, danke."
"Immer gern. Ehm, heute werde nur ich dich lehren. Versprich mir aber, niemandem davon zu erzählen, welche Fähigkeiten ich verstecke."
Er sieht mich mit ernsten Augen an und ich nicke.
"Ist es so großartig?", frage ich.
"Die Ironie ist fehl am Platz. Es ist nicht großartig, aber man hält mich hier für einen jungen Vampir und das soll auch so bleiben. Verstehst du?"
Viel zu ernst ist seine Stimme, nichts Warmes darin. Ich nicke schon wieder, nicht fähig, etwas anderes zu tun oder zu sagen. Furchterregend.
"Gut. Dann komm mit. Wir wollen keine Zeit verlieren.", meint er schon sanfter, kindlicher.
Ich folge Joshua den langen Flur entlang, und wir gehen nicht in Richtung Treppe.
"Was willst du tun?", interessiere ich mich.
"Warum ich und nicht wir?"
"Reines Gefühl."
"Du hast davon gesprochen, dein Geist abschirmen zu können."
"Ich war nicht brav."
"Dafür warst du brav genug."
"Warum sagt mir mein Unterbewusstsein, dass es weh tun wird?"
"Weil es schlau ist?"
"Es wird weh tun?!"
Oh nee! Warum nur? Ehrlich gesagt habe ich erwartet, dass er es verneint. Und dann so was!
"Wenn wir an Ort und Stelle sind, werde ich dir alles erzählen. Wir sind schon bald da.", erklärt der Junge.
"Ist der Flur unendlich?"
"Neeein.", lacht er. "Ah. Da wären wir."

Zu Hause bei den Vampiren Where stories live. Discover now