Kapitel 33

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Gerade bin ich aufgewacht. Das Essen steht auf meinem Tisch. Das wundert mich eigentlich, da Joshua gestern nicht aufgetaucht war und mich nur Miguel betreute. Was ist mit dem Jungen los? Er kommt mir ganz schön verwirrt vor. Und traurig. Ey, jaa, das ist es! Er ist traurig. Immer wenn es um meine Zukunft geht...
Ich lasse alles stehen und liegen und eile aus der Tür. Wo ist er?!
Nach der Durchsuchung des Erdgeschosses laufe ich in den Garten raus. Da sitzt er, auf der Bank mit der schönen Aussicht. Nur ist der Himmel heute mit Wolken überzogen. Ich bleibe vor Joshua stehen und warte kurz ab, bis sich mein Atem beruhigt.
"Mir ist bekannt, was du mir zu sagen hast.", meint der Junge ruhig.
"Ich weiß, was ihr verbirgt! Was in vier Tagen passieren wird! Ich werde sterben, stimmt?"
Auf diese Worte zeigt Joshua keine Reaktion, guckt nur hoch zum Himmel.
"So schade, dass sich der Mond heute versteckt. Mit ihm wäre es viel schöner hier."
Ein trauriges Lächeln taucht auf seinem Gesicht auf.
"Joshua! Mit deinen schönen Reden wirst du mich nicht vom Thema ablenken. Sag einfach, ob's so ist oder ob meine Nerven mit mir Spielchen treiben."
"Das Problem liegt darin, dass ich nicht weiß, ob du es wirklich hören willst."
Ich lasse seine Worte kurz auf mich wirken.
"Danke, das war Antwort genug.", erwidere ich traurig.
Ich werde in vier Tagen sterben.
Joshua rutscht zur Seite und ich nehme neben ihm Platz.
"Das war noch die halbe Wahrheit.", rate ich.
"Mehr werde ich dir nicht sagen, denke, was du willst.", entgegnet der Vampirjunge.
"Schade...", seufze ich.
Ich werde sterben. In vier Tagen. Noch vier Tage...
Irgendwie macht es mir nichts aus, wenn ich so nachdenke. Langes Leben unter einem Dach mit sechs Vampiren ist wirklich nichts für mich.
Aber eigentlich ist es hier nicht so schlimm...
"Und du rastest nicht aus?", fragt Joshua überrascht.
"Irgendwie nicht.", zucke ich die Schultern.
"So sehr gefällt es dir bei uns nicht, dass du lieber stirbst?", wundert er sich.
"N-Nein. Aber... Vielleicht bin ich heute einfach nur viel zu gelassen, als dass ich hier rumtobe. Es muss überschwemmen. Ich weiß nicht, es kommt so plötzlich..."
Eine Minute schweigen wir.
"Kann ich mich retten? Und wieso lehrt ihr mich, wenn ich sterben werde?"
"Die Antwort auf deine zweite Frage beantwortet auch die erste Frage."
Und was heißt das? Ich trainiere, damit ich nicht sterbe? Hm, wenn es so ist, dann gut. Solange ich eine Wahl habe, will ich doch nicht sterben!
Eine Gestalt tritt aus dem Haus und kommt auf uns zu.
"Was ist denn mit euch los? Jemand gestorben?", fragt Miguel, als er bei uns ankommt und uns mustert.
Noch nicht., denke ich.
"Nein. Wir sind nachdenklich.", widerspricht Joshua.
So ganz auf einmal lächelt er Miguel heiter an. Wow, hat der Junge irgendwelchen Gefühlschalter?
"Dann ist gut. Ich hab das ganze Haus nach euch durchsucht!"
Ich auch...
"Joshua, du hättest mir sagen können, dass wir heute wieder draußen sind."
"Gewiss. Aber ich dachte, dir wird es Spaß machen, uns zu suchen."
Lenkt Joshua Miguel gerade ab? Keine schlechte Idee, muss ich zugeben.
Ich habe oft gute Ideen., erwidert der Vampirjunge in meinem Kopf.
Bist du von den Besuchen in mein Geist noch nicht erschöpft?
Nein. Danke, dass du dich über mein Wohlergehen sorgst.
Ich zähle bis zehn, damit mein Ärger nachlässt und Miguel von dem Gespräch zwischen Joshua und mir nichts mitkriegt. Wenn es so weitergeht, werde ich wirklich ausrasten. Was denkt der Junge sich nur?!
"Klar macht es mir Spaß. Ich träume nur davon, mit dir verstecken zu spielen.", ironisiert Miguel. "Und hör endlich auf, Lilith zu ärgern."
Oh, man hat sich an mich erinnert! Ein Wunder ist geschehen! Ehm ja, ich bin schlecht drauf.
"Schon erledigt.", zwinkert Joshua.
Miguel seufzt.
"Na gut, was wollen wir-", er unterbricht sich selbst. "Halt. Leute, was ist los?"
Er sieht von dem Vampirjungen zu mir rüber. Ich sollte wohl heiterer aussehen. Sorry, Joshua, ich hab's eben nicht rechtzeitig geschafft.
Wag es ja nicht, ihm alles zu erzählen., droht der Junge in meinem Kopf.
Im Moment kommt es mir beinahe so vor, als ob er meinen Geist unterworfen hätte.
Ich stehe auf und berühre Miguel am Arm.
"Ey, es ist wirklich alles in Ordnung. Bin nur müde."
"Ich hoffe, ihr verschweigt mir


nichts..."
Er beäugt mich prüfend. Ich küsse ihn schnell auf die Wange und mache alles, um ehrlich zu lächeln.
"Alles gut."
Joshua wird mich umbringen...


Werde ich nicht. Du kannst gut lügen., höre ich seine Stimme.
Von wegen! Außerdem haben die Vampire selbst gesagt, dass sie meine Gefühle spüren. Und beim Lügen werde ich nervös. Hoffentlich merkt Miguel nichts.
Noch ein letzter prüfender Blick. Wahrscheinlich wegen dem Kuss.
"Ich habe mir überlegt, die übrige Zeit mit Befestigung des Stoffes zu verbringen.", erzählt Joshua.
"Schon wieder! 'Die übrige Zeit'. Und was dann?", regt sich Miguel auf.
"Miguel, das ist nicht deine Angelegenheit. Und wenn es so ist, sollst du dich nicht dafür interessieren. Zumindest nicht laut. Hast du verstanden? Ich darf es euch einfach nicht sagen...", entgegnet Joshua ernst.
Der Angesprochene schnaubt. Ich find's auch doof, Miguel, du bist nicht der Einzige., denke ich. Joshua seufzt schwer und erhebt sich. Jaa, wieder Training.

Zu Hause bei den Vampiren Where stories live. Discover now