Kapitel 6

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Als ich aufwache und aus dem Fenster gucke, sehe ich die Sonne runtergehen. Das Zimmer ist ins Halbdunkeln gehüllt. Orangenes Licht fließt wie Wasser durch das Fenster.
Ich hab den ganzen Tag geschlafen? Und jetzt kann ich nicht mal aus dem Haus flüchten!
Apropos, jemand hatte mich zugedeckt, während ich geschlafen hatte. Wie nett. Nein, wirklich.
Meine Füße tun mir weh und ich blicke runter. Oh, ich hatte in meinen Hackenschuhen geschlafen. Kein Wunder...
Stehend ziehe ich sie aus und Erleichterung füllt mich ein. Ich öffne die Tür und steige barfuß die Treppe runter, wobei ich mein Kleid hochhalten muss, damit ich nicht stolpere. Da ich die Villa nicht kenne, nehme ich den Weg zum Wohnzimmer. Dort ist alles aufgeräumt und... ruhig, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Das Licht brennt. Langsam gehe ich im Zimmer umher und betrachte die schöne Möbel. Ich entdecke eine weitere Tür. Obwohl es eigentlich unverschämt ist, als Gast allein die Zimmer zu betreten, öffne ich trotzdem die Tür. Hinter ihr verbirgt sich ein Esszimmer, wo ebenfalls Licht angeschaltet ist. Auf dem rechteckigen Holztisch steht ein verdecktes Tablett, ein Glas Orangensaft und ein in der Mitte gefaltetes und aufgestelltes Blatt Papier. Ich nehme den Zettel und lese.
"Für unseren ehrenwertigen Gast


Lilith."


Ich muss schmunzeln. Jemand hat sich die Mühe gemacht, mir Abendessen vorzubereiten.
Beim aufdecken des Tabletts entdecke ich, dass dort ein Teller mit einem Stück Fisch und Reis steht.
So etwas Leckeres hatte ich noch nie gegessen., stelle ich beim Probieren fest.
"Schmeckt es dir?", fragt eine bekannte Stimme.
Joshua setzt sich mir gegenüber. Gestern hatte er, wie jeder andere, einen Anzug an, heute trägt er eine Jeans und ein schlichtes T-Shirt. Und ist ebenfalls barfuß.
"Ja, sehr lecker.", antworte ich, worauf er zufrieden lächelt. "Das hast doch nicht du gemacht?" füge ich nach einer Pause ungläubig hinzu.
"Kurzgefasst sagte Christopher, dass, wenn ich mich schon eingemischt habe, ich mich um dich kümmern solle. Es freut mich, dass dir das Essen schmeckt, ich habe schon lange nicht mehr gekocht. Und zu der Kleidung will ich nur eins sagen. Zwar ist die heutige Mode nicht in meinem Geschmack, aber die Sachen sind sehr bequem. Wenn du es dir wünschst, könnte ich für dich etwas zum Umziehen suchen, während du hier isst, damit du nicht in diesem Kleid herumlaufen musst. Es ist dir anzumerken, dass es dir darin unwohl ist."
"Wäre gut, danke."
Joshua nickt lächelnd und verlässt den Raum.

Als er zurückkommt, wische ich mein Geschirr in der Küche ab und die Sonne ist endgültig verborgen.
Joshua ist von der Todesstarre nicht abhängig!, wird es mir klar.
"Lilith, was machst du?", fragt mich der Junge verständnislos.
"Ich hab die Küche gefunden und da dachte icj mir, ich wisch jetzt einfach das Geschirr ab.", zucke ich die Schultern.
"Danke. Das war aber nicht von Nöten."
"Egal. Hast du was gefunden?"
Die Frage ist überflüssig, da ich die Kleidung in seinen Händen sehe. Aber ich musste einfach nachfragen.
"Ja, du kannst das anziehen."
Er deutet mit einem Nicken auf die Sachen, die er mitgebracht hat.
Ich trockne meine Hände ab und nehme die Kleidung entgegen, die er mir entgegenhält.
Es ist eine schwarze Jeans und ein langärmiges blaues Shirt.

Nach dem Umziehen in dem Zimmer, wo ich geschlafen habe, gehe ich wieder ins Wohnzimmer, doch es ist immer noch niemand außer Joshua da. Und der Raum wirkt immer noch, als wäre die Zeit stehen geblieben.
"Wo sind denn die anderen?", interessiere ich mich verwirrt.
Der Junge blickt aus einem Fenster in den Garten und schenkt mir keine Beachtung. Er sieht in Gedanken versunken aus. Als ob eine schwere Entscheidung zu treffen hat.
"Diana ist aufgewacht. Darum ist es meine Aufgabe, dich zu bewachen und zu beschützen. Denn die Zeiten eines neugeborenen Vampirs sind schwer. Miguel wäre nützlicher hier und ich da unten, aber niemand lässt ihn an dich heran. Sogar du selbst nicht."
Widerwillig fasse ich mein Hals an, wo Miguel mich gebissen hatte. Die Stelle muss mich immer wieder mit Schmerzen an sich erinnern.
"Ja, das darf nicht noch einmal passieren." stimmt mir Joshua zu.
"Warum bin ich hier? Welche Rolle spiel ich denn? Ich bin nur ein Mensch!", drängt es aus mir heraus.
Ich kann die Ruhe hier nicht mehr ertragen, sie ist viel zu lastend.
Der Junge dreht sich zu mir um und schaut mich mit Augen an, die schon vieles gesehen haben. Zum ersten Mal gibt es keine Gefühle darin. Er kommt mir so fremd vor. Er sieht ganz wie Christopher aus.
"Mir ist deine Rolle nicht bekannt, doch du hast ganz sicher eine. Einfache Menschen kennen die Worte nicht. Sie kennen die Sprache nicht."
Was will er mir damit sagen? Wieso kann er nur nicht präziser reden? Ich komm nicht dahinter, was er meint. Obwohl es doch so wichtig ist!
Und sein Ton... Er konnte doch nicht alles vorgespielt haben?
Entsetzten breitet sich in mir aus.
"Joshua, ich erkenne dich nicht wieder.", sage ich leise.
"Es tut mir leid."
Und dann ist er einfach verschwunden.
Hat er wirklich - War die ganze Freude und Freundlichkeit und Fröhlichkeit nicht echt? Hat er wirklich alles vorgespielt?
Ich fass es nicht!

Zu Hause bei den Vampiren Where stories live. Discover now