Russen haben keinen Kater

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Ich wachte am nächsten Morgen auf und spürte, wie mein Kopf brummte.
Ich hatte gestern meine Gedanken in die Tat umgesetzt und war zu meinem Cousin gefahren, der bis heute meinen Wagen wieder gesäubert haben sollte. Und ich hatte mir Alkohol gekauft.

Ich setzte mich auf und hielt mir meinen Kopf. All meine Erinnerungen waren wie gelöscht. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, wie ich nach Hause gelaufen war, während ich die Whiskeyflasche auf Ex getrunken hatte. Ab der Hälfte des Weges war dann alles weg.
Ich wunderte mich, dass ich trotzdem unversehrt in meinem Bett lag. Ich deckte mich ab und sah, dass ich noch meine Straßenklamotten anhatte und auch in meinen Taschen fand ich sowohl Geldbeutel, als auch Handy.
Mein Blick fiel neben das Bett, wo meine Schuhe lagen. Doch nirgends war eine Flasche zu sehen, die auf meinen Abend zuvor hinwies.

Verwundert stand ich auf und ging in den ersten Stock, um mir dort einen Kaffee zu machen und mein Handy auf Nachrichten zu checken.
Salah hatte mir per SMS mitgeteilt, dass der Wiederaufbau des Clubhauses in die Wege geleitet wurde.
Punch Arogunz meldete sich im Namen seines Trios und gab auf die selbe Weise bescheid, dass auch die Übergabe organisiert war, die morgen stattfand.
Ich nickte, obwohl ich wusste, dass mich niemand sehen konnte.

"Wenigstens eine Sache, die läuft. Das Geschäft.", sagte ich gedankenverloren und trank einen großen Schluck Kaffee.
Ich fühlte mich noch leicht schlecht, doch ich wusste, dass auch das bald abklingen würde, weshalb ich mir eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Küchenthresen nahm und in meinen Garten hinausging.
Dort setzte ich mich an meinen Tisch und zündete sie an. Gedankenverloren sah ich in den Himmel, der immer dürsterer wurde.

Ich mochte Gewitter und hoffe insgeheim, dass es noch zum Regnen kommen würde. Dann müsste ich wenigstens nichts mehr tun und konnte mich Zuhause verstecken.
Meine Gedanken machten mir schon genug zu schaffen. Noch immer beschlich mich dieses ungute Gefühl, falsch gehandelt zu haben, als ich Julien in meinem Keller festhielt.
Er wusste wo ich wohnte und konnte jede Sekunde seine Leute auf mich ansetzen, die mich per gezieltem Sniperschuss töten konnten, wenn ich die Haustüre öffnete.

Meine eigenen Gedanken machten mich paranoid und ich sah mich um, so als würde es etwas zur Sache tun.
Ich blies den Rauch in die Luft und versuchte an etwas anderes zu denken, bis mir mein Auto einfiel.
Das sollte ich heute noch holen, weshalb ich beschloss, sofort loszugehen.

Innerhalb weniger Minuten zog ich mich deshalb aus, um davor noch duschen zu gehen und mir anschließend etwas frisches anzuziehen.
Erst dann öffnete ich meine Haustüre und trat in die frische Luft. Ich atmete durch und lief durch meinen kleinen Vorgarten, bis ich auf der gegenüberliegenden Straße sah, wonach ich heute Morgen gesucht hatte.

Eine aufgeplatzte Whiskeyflasche lag einige Meter vom Bordsteinrand entfernt auf dem Boden.
Ich starrte skeptisch auf die Stelle und versuchte mich fieberhaft an irgendetwas zu erinnern, dass diese Situation zurück in mein Gedächtnis brachte.
Doch auch dieses Mal blieb alles schwarz, so als gäbe es auch dieses Ereignis nicht.
Ich sah mich in der naheliegender Umgebung um und versuchte herauszufinden, woran die Flasche abgeprallt war, bis mir die Lösung unwiderruflich kam, als ich ein etwas weiter entferntes Auto sah.
Dieses war am Straßenrand geparkt und machte den gleichen Abstand wie die Flasche aus, die nur wenige Schritte vom Bordsteinrand entfernt lag.

Doch an welches Auto hatte ich sie bitte geworfen? Und wer hätte nicht nach dem Schuldigen gesucht, bevor er losgefahren wäre?
Immerhin schien es ziemlich offensichtlich zu sein, aus welcher Richtung die Flasche geflogen war.

Nervös sah ich nach rechts und links, bevor ich über die Straße ging und die größten Teile der Flasche in den Gullydeckel wenige Schritte weit entfernt kickte.
Nicht die feinste Art, doch mir konnte es nicht gleichgültiger sein.
Nochmals vergewisserte ich mich, dass mich niemand sah und ging nun in Richtung der Tankstelle, wo mein Wagen sicher schon darauf wartete, abgeholt zu werden.

-

"Man, Dima. Du siehst echt beschissen aus.", lachte mein Cousin und sah dennoch besorgt zu, als ich meinen Wagen betrachtete, der sowohl von außen, als auch von innen, wie Neu aussah.
Ich ging auf seine Anspielung nicht an, sondern nickte ihm anerkennend zu. "Hast du krass gut gemacht. Danke dafür."
"Besser so. Was glaubst du wie schwer es war, das Zeug aus dem Sitz zu bekommen? Was zur Hölle hast du getrieben?", fragte er mich nun etwas leiser, sodass es kein anderer Kunde hören konnte.
"Nichts besonderes. Ist niemand dabei draufgegangen. Keine Sorge.", entgegnete ich locker und hob unschuldig die Schultern.

Mein Cousin sah mich grinsend schräg an, bevor er mich kurz umarmte. "Wie dem auch sei. Ich muss wieder an die Arbeit. Kann nicht jeder in der Familie so wie du durch den Tag gehen und trotzdem gut verdienen. Man sieht sich."
Ich hob zum Abschied die Hand und stieg zurück in mein Auto.
Ich strich über das Armaturenbrett. Ich hatte meinen Audi R8 schon lange nicht mehr wertgeschätzt. Irgendwann wurde er eben zu einem Alltagsgegenstand ohne großen Wert. Doch so sollte ich nicht denken. Immerhin war allein dieser Wagen ein Vermögen wert für viele andere Menschen.

Ich startete also den Motor und fuhr von der Tankstelle, zurück auf die Straße.

Ich wollte mir es zwar nicht eingestehen, doch mein Kopf brummte noch immer. Ich beschloss also eine Kopfschmerztablette zu nehmen, damit es mir schneller besser gehen würde. Diese hatte ich immer im Handschuhfach. Nur für alle Fälle.

Erst jetzt realisierte, dass ich ohne Ziel durch die Straßen fuhr. Um ehrlich zu sein, wusste ich auch nicht wohin mit mir.

Ich konnte wenig mit meiner Familie machen, aus Angst, sie dadurch in Gefahr zu bringen. Immerhin wollte ich nicht, dass ich irgendwann erfahre, dass meine Mutter als Geisel genommen wurde, die ich nur durch Unmengen von Geld freikaufen konnte.

Ich hatte auch keinen Partner, mit dem ich den Tag verbrachte. Im Grunde genommen hatte ich nur meine Crew, die jedoch selbst ein Privatleben hatte. Außerdem war heute nichts zu tun.
Treffen sollten wir uns unter freiem Himmel sowieso nicht und da wir kein Clubhaus mehr hatten, mussten wir die Treffen so kurz wie möglich halten.

(Anmerkung: da die Story fiktiv ist, kann ich die Umgebung Osnabrücks auch etwas ändern 😌😇)

Ich lenkte meinen Wagen also von der Hauptstraße und hinaus aus der Stadt, um dort an einem mehr ländlichen Bereich zu halten.
Plötzlich fand ich mich auf einem sonst leeren, Kiesparkplatz wieder. Von dort aus konnte man die Skyline der Stadt sehen.
Ich schaltete die Anlage meines Audis an und hörte dem englischem Rap zu, der nun aus den Bässen drang. Ich saß auf dem Fahrersitz und hatte die Türe geöffnet, um meine Beine nach draußen zu strecken, sodass ich mich seitlich an den Sitz lehnen konnte.

Meinen Kopf ließ ich müde gegen die Stütze fallen und sah schweigsam auf meine Stadt hinunter.

So abseits und für mich selbst bemerkte ich erst, wie wenig Einfluss ich doch hatte und, vor allem, wie alleine ich war.

Hassliebe [Sun Diego x JuliensBlog FF] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt