2.

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Leider habe ich Shadow heute Morgen nicht mehr gesehen, was heißt, dass es mir nicht möglich gewesen ist, ihn nach Informationen auszuquetschen, falls ich das überhaupt getan hätte. Ausserdem bin ich nicht lange genug im Gang geblieben, um ihn wieder aus dem Sekretariat laufen zu sehen. Nicht sehr cool.

Zumindest nicht für mein Informationen liebendes Herz. Okay, es liebt nur Informationen, die es noch zu erkundigen gilt. Und herauszuquetschen.

Deshalb bin ich umso überraschter, als plötzlich jemand sein Essenstablett mir gegenüber auf den Tisch knallt. Auch wenn mich der Knall zusammenfahren lässt, beschliesse ich höflich zu bleiben. Doch als ich dabei Shadow erkenne - zumindest seine Kleidung und die Haltung, die ihn verraten -, bin ich für einen Moment lang zu perplex, um überhaupt irgendetwas zu machen.

Wir kennen uns nicht und das ist der Tisch der Aussenseiter. Ausserdem liegt auf meinem Tisch eine Zeitung, die seine Mutter und ihre Tat bis aufs Äusserste verhöhnt. Und das noch auf der Titelseite.

Ich schlucke kurz, bevor ich die Zeitung zusammenklappe, sodass er sie nicht mehr sehen muss.

»Sorry«, sage ich also als Begrüßung. Dann bin ich still und versuche mein Essen einigermaßen normal zu essen, was echt nicht so einfach ist, wenn man dabei von allen Seiten angestarrt wird, wie ein ausgestelltes Tier.

Dabei ist das noch nicht einmal das Schlimmste. Denn Shadow sieht auf die Zeitung, als würde er sie am liebsten gerade packen. Und das tut mir leid.

»Du kannst dich ruhig bedienen. Hab' sie nämlich schon gelesen«, seufze ich also. Ich will damit kein Gespräch oder so anfangen, aber ich will auch nicht, dass es sich so unangenehm anfühlt zu essen.

Shadow sieht mich an. Ich weiß es. Ich spüre es. Aber ich kann keine seiner Gesichtszüge erkennen. Er hält sie versteckt. Von seiner gesenkten Körperhaltung und dem Haar wird alles schön verdeckt. Und zu allem Übel muss er noch genau vor dem Fenster sitzen, was heißt, dass die Sonne direkt auf seinen Rücken scheint und einen Schatten über das wenige Bisschen wirft, das nicht von Stoff verdeckt ist.

»Ich hab die Zeitung schon gelesen«, informiert mich Shadow nach einigen Sekunden des Schweigens. Seine Stimme ist erstaunlich rau. Also nicht so, dass man genau weiß, dass er ein Raucher ist, aber sie hat ein leichtes Kratzen, welches sie irgendwie schön anzuhören macht. Und interessant.

»Wie gewöhnlich schreiben sie nur das, was ihnen gerade so einfällt. Unüberlegter Bullshit«, fährt er verärgert fort. Verständlich. Ich meine, wer will schon etwas über seine tote Mutter lesen, das sie extremst in den Dreck zieht?

»Tja, wenn man die Wahrheit nicht kennt, muss man eben Dinge erfinden«, versuche ich Shadows Wut ein wenig zu mildern, obwohl ich wahrscheinlich eher das Gegenteil bewirke. Ich höre mich an, als würde ich die Presse verteidigen.

»Sie kennen die Wahrheit. Das Quinnspaper ist eine Familienproduktion. Dort arbeiten nur Tanten von mir, also alle verwitweten. Meiner Mutter nach können die am besten schreiben. Also bis jetzt haben sie sich nicht sonderlich bewiesen.«

Shadow sagt das, als wäre es nichts, aber es kommt mir irgendwie falsch vor. Quinnspaper gehört nicht nur den Quinns, sondern dort arbeiten auch nur Quinns? Wieso schreiben sie dann nicht die Wahrheit, sondern solche Dinge?

Das erste, was mir dazu einfällt, ist Hass, aber das wird es wohl kaum sein. Vielleicht dieselbe brennende Wut, die Shadow im Moment empfindet und dahinter vielleicht sogar noch Verletzlichkeit. Schliesslich haben sie ja ebenfalls ihre Familie - oder zumindest die Ehemänner verloren, wenn sie nun verwitwet sind.

Bevor ich aber irgendwelche Fragen stellen kann, kommen die Beliebten an unseren Tisch. Also der Starquarterback, der Capitan des Footballteams, einige seine Macho-Freunde und der Cheerleaderbienenstock. Ich verdrehe die Augen. Wieso ist ihr Ziel immer, mir meinen Tag zu verderben, und das mit ihrer blossen Anwesenheit?

ShadowWhere stories live. Discover now