20.

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»Können wir reden, Hope?«, fragt mich Jane am Montagmorgen. Das ganze Wochende über habe ich mich in meinem Zimmer versteckt, wo ich Gott sei Dank noch etwas zu Essen hatte. Natürlich habe ich mich erst in der Nach rausgeschlichen, um mir etwas aus der Küche zu holen, aber eigentlich habe ich einfach nur Abstand gebraucht.

Von allem und von allen.

Wenn ich wählen dürfte, würde ich mich am liebsten weiterhin in meinem Zimmer verkriechen. Tja, nur erregt das weitaus mehr Aufsehen, als wenn ich mich unter die Gesellschaft mische und mich am Unterricht beteilige.

Natürlich aber muss Jane mir den Tag möglichst unangenehm machen. Sie versucht schon die ganze Zeit, zu mir zu kommen, doch bisher habe ich sie gut umgehen können.

Tja, sieht so aus, als würde das nicht mehr funktionieren. Sie hat es schliesslich geschafft, die Aufmerksamkeit des ganzen Tisches auf sich zu ziehen. Und während mich meine Freundinnen, deren Freunde und Ed überrascht und fragend ansehen, ist Shadows Blick einfach nur mitleidig.

Er hat es geschafft, mich noch vor Unterrichtsbeginn über mein Wochende auszuquetschen, weil es ihn anscheinend besorgt hat, dass ich nicht zur Party erschienen bin, wo mir das doch hätte entspannend sein sollen, nachdem es bei mir Zuhause sowieso eine brenzlige Situation gegeben hat.

»Eigentlich nicht«, antworte ich und will mich schon der exklusiven Rätselausgabe des Quinnspapers widmen, die mir Shadow extra mitgebracht hat. Tja, er hat sich eben echt Sorgen gemacht und seine Zeit dann damit verbracht, seine Tanten dazu zu bringen mir ein solches Exemplar zu drucken. Und was soll ich sagen. Die Ausgabe ist einfach toll. Ausserdem hat es auch richtig schwere Rätsel, die ich mit Shadow zusammen löse.

»Sie will nicht mit dir reden, Jane«, sagt Shadow und wirft Jane einen auffordernden Blick zu.

»Halt dich da raus, Shadow. Du weißt nicht, um was es geht. Hope, ich bitte dich. Ich werde dir schon nichts tun.«

Ich will sie schon angiften, doch Shadow legt seine Hand auf meine Schulter und schüttelt leicht den Kopf.

»Nicht, Bambi. Gib ihr keinen Anlass, mit dir streiten zu wollen.«

Glücklicherweise sind seine Worte so leise, dass niemand ausser mir seinen Spitznamen hören kann, weshalb ich die Augen zusammenkneife. Er soll gefälligst aufhören, mich so zu nennen.

»Hope. Es tut mir Leid, okay? Ich habe es nicht gewusst, du musst mir glauben. Sonst wäre ich niemals-«, beginnt Jane, doch ich unterbreche sie, indem ich meine Hand hebe.

»Es ist nicht deine Schuld, und das weiß ich. Also hör bitte auf, so zu tun, als hättest du irgendetwas ändern können oder als könntest du es noch immer tun. Selbst wenn, Himmel, diese Menschen sind erwachsen. Es kann mir egal sein, was sie machen. Ich habe sowieso nichts mehr mit ihm zu tun. Genauso wenig wie mit dir. Trifft sich doch gut, nicht wahr?«

»Es ist dir aber nicht egal, Hope. Und mir ist es auch nicht egal. Ich will nicht der Grund dafür sein, dass eine Familie kaputtgeht.«

Ich lache halbherzig auf.

»Du bildest dir zu viel darauf ein. Es ist mir egal, ich bin nur etwas überrascht gewesen. Ich meine, wie hättest du reagiert? Das ganze Leben kommt er nicht zu dir, aber er will dir dann persönlich von seiner neuen Flamme und Tocher erzählen? Ausserdem ist unsere Familie schon vor deinem Auftritt eingerissen gewesen. Also fühl dich nicht all zu geehrt.«

Ich kleistere mir ein möglichst vertreibendes Lächeln ins Gesicht. Was will sie denn noch hören, ehe sie mich in Ruhe lässt?

»Wenn es dir so egal ist, wieso versteckst du dann deine Gefühle so? Deine Freunde sehen nicht so aus, als würden sie etwas davon wissen. Einmal abgesehen von Shadow. Ihr hängt sowieso aneinander wie Kleber.«

»Tut mir ja Leid, wenn ich nicht das Gefühl habe, über Menschen zu reden, die mir nicht nahestehen. Ich meine, wenn du das glaubst, wieso bist dann nicht du unser Hauptgesprächsthema, Jane? Ich würde deine Logik einfach gerne verstehen. Obwohl...eigentlich ist es besser, wenn ich sie nicht verstehe. Die versteht nämlich sowieso keiner.«

Jane wirft verzweifelt ihre Hände in die Luft.

»Ich habe das nicht so gemeint und das weißt du.«

Schon möglich, was allerdings noch lange kein Grund ist, ihr zuzustimmen. Einfach aus Prinzip nicht.

»Ausserdem brauchst du meine Worte nicht umzudrehen. Das machst du nämlich immer.«

Tja, sie hat es auch nicht anders verdient. Schliesslich ist sie es ja, die mich belästigt mit ihren nervigen Ansichten.

»Und du brauchst nicht so zu tun, als würde es dich interessieren, was mit mir ist, Jane. Wenn ich etwas brauche, kann ich mich auch selbst darum kümmern, es zu erhalten. Schliesslich bist du nicht meine Mutter. Und offentlich sind wir auch nicht befreundet.«

»Du hast Recht, Hope. Ich bin nicht deine Mutter, aber das ist noch lange kein Grund, dass ich mich nicht um dich Sorgen machen darf.«

Wenn sie sich so um mich sorgt, wieso ist sie denn diejenige, die mir bisher mehr Leid zugefügt hat, als jeder andere? Wieso, zur Hölle, hat sie mich dann so verletzen müssen? Als wäre ich nichts weiter als ein Abklatsch. Ein Niemand.

Und vielleicht bin ich das ja auch, aber das ist noch lange kein Grund, mir das auf diese Weise klarzumachen, wie sie es getan hat. Zumindest nicht, wenn man so eng befreundet gewesen ist, wie wir es gewesen sind. Aber eigentlich braucht es mich ja nicht zu überraschen. Sie hat es ja schon so geschafft, mich zu verunsichern.

»Ich denke nicht, dass ich glauben kann, dass du dir Sorgen um mich machst«, sage ich also direkt heraus und sehe ihr dabei in die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde kann ich sogar Schmerz in ihnen erkennen, doch ihr Ausdruck wird schnell reuevoll, was mich nur meine Gesichtszüge verhärten lässt.

Ein einfaches ›Es tut mir Leid, Hope‹ hätte an ihrer Stelle gereicht. Doch ich habe nicht das Gefühl, dass sie jemals eines aussprechen wird. Tja, sieht so aus, als erlebe ich gerade ein Déja-Vu. Wir stehen uns gegenüber und ich hoffe, dass sie etwas sagt, was die Situation leichter machen würde. Doch sie schweigt über diese grundlegenden Dinge. Und diese eiserne Stille ist noch schlimmer, als wenn sie irgendeinen dummen Witz gerissen hätte.

»Jane, ich denke du solltest zu deinem Tisch zurückkehren«, bricht Shadow schliesslich das Schweigen und sieht sie herausfordernd an. In seinem Blick liegt Ernst und die Kälte, die er dabei ausstrahlt, lässt keinen Widerspruch zu. Dabei sind seine Gesichtszüge noch unverändert, seine Haltung entspannt. Ich schätze, er strahlt dabei einfach eine Art Verteidung aus. Und er verteidigt mich.

Tja, aus den Quinns wird man einfach nicht schlau. Die eine hat sich umgebracht, der andere bedroht und verletzt mich, während Shadow mich einfach nur beschützt. Und dieses Gefühl, unter seinem Schutz zu stehen, ist einfach toll. Es ist eine Geborgenheit, die von ihm ausgeht und die mein Herz erwärmt.

Anders als alles, was ich in den letzten Tag erlebt habe. Zuhause, in der Schule und sonst. Es ist ein Gefühl von Unsicherheit gewesen, gefolgt von Angst und Unwohlheit, falls man das so sagen kann. Und mit jeder Sekunde, in der Shadow seine Augen für sich sprechen lässt, bestärkt sich dieses Gefühl nur. Und dafür bin ich ihm verdammt dankbar.

»Ich wünschte, ich hätte es gewusst, Hope. Ich hätte sowas sonst nie abgezogen. Dad hat gesagt, es wäre eine Erwachsene, die damit klarkommt.«

Dad. Ich könnte kotzen, ehrlich. Aber wenigstens hat jemand von uns jetzt endlich einen Vater, der sich um einen kümmert.

 Aber wenigstens hat jemand von uns jetzt endlich einen Vater, der sich um einen kümmert

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