VIII. bedeutungslos

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Ich war noch zu verträumt gewesen, und hatte nur auf Sam's anwesende Präsenz direkt neben mir achten können, als das ich mir Gedanken um die Flucht in das kleine Stück Grün hätte machen können. Gerade als die große Tür des Raumes, aus welchem wir soeben traten, mit einem lauten Klacken ins Schloss gefallen war, entstand erneuter Trubel und der Geräuschpegel stieg. Natürlich hatten wir es nicht einmal bis um die nächste Ecke des Flures geschafft.

Jener Pfleger, welcher für mich verantwortlich war und vor welchem ich eben noch so leichtsinnig davon gerannt war, stand auf einmal vor uns und wies uns an, keinen Schritt weiter zu gehen. Ich ließ geknickt die Schultern hängen und blickte Sam entschuldigend an. Auch sie wirkte ein wenig niedergeschlagen, da wir so phänomenal gescheitert waren. Es gab keinen Ausweg und auch ein erneuter Versuch, vor der folgenden Abmahnung und der Trennung wegzulaufen, ergab wenig Sinn. Ich musste mich wohl oder übel meinem Verfolger stellen und mit ihm gehen.

Immer noch betrübt strich ich geschwind eine Haarsträhne hinter Sams Ohr und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, welches ihr ebenso zeigen sollte, dass nichts verloren war und wir den Abstecher in den kleinen Garten nachholen würden.

Recht überfordert mit der Situation blickte ich für einen kurzen Augenblick auf ihre Lippen, welche ich eben noch so herzlich auf meinen gespürt hatte. Ein kleiner Kuss zum Abschied war sicher nicht verkehrt, jedoch machte mich die unmittelbare Anwesenheit des großen Mannes sehr unsicher, welcher uns noch immer fordernd beäugte und jede Bewegung genau scannte um einen erneuten Fluchtversuch ausschließen und verhindern zu können. Ich wollte sie küssen, so sehr, doch mein Kopf spielte verrückt und ich konnte nicht die Überwindung aufbringen, dies hier in aller Öffentlichkeit und unter Beobachtung zu tun.

Viele Zweifel kamen mir in den Sinn. Vielleicht wollte Sam nicht, dass ich uns mit einem einfachen Kuss vor aller Welt outen wollte, oder möglicherweise war es ihr unangenehm. Ich suchte verzweifelt nach Gründen, wieso ich in diesem Moment nur da gestanden hatte, wie ich es tat, ohne jegliche Bewegung und mit rauschenden Ohren.

Als ich nach wenigen Sekunden, welche ich hier bereits verharrt hatte, ohne etwas zu tun, die Erkenntnis gewann, dass ich Angst verspürte, drehte ich meinen Kopf beschämt weg. Meine Wangen erhitzten sich und das Rauschen meiner Ohren breitete sich langsam auf meinen gesamten Kopf aus.

Mit glühend rotem Gesicht lief ich geknickt den Flur entlang. Der Mann neben mir musste mich beinahe schieben, um meine Gehbewegung zu unterstützen und mich weiter und weiter von Sam zu entfernen. Wie in Trance warf ich einen geschwinden Blick über meine Schulter, um ihr noch einmal in die Augen zu sehen, bevor wir auf eine Links- oder Rechtsabbiegung stießen.

Sie stand dort, einsam und ziemlich verwirrt. Unsere Blicke trafen sich intensiv. Auch sie schien in Gedanken zu sein und über das eben passierte zu grübeln, denn sie bemerkte nicht, dass ein älterer Mann soeben versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

Ich hoffte bloß, sie verstand meine Zweifel.

Und ich musste langsam auch lernen zu verstehen. Ich bin nicht so stark, wie ich immer denke, es zu sein. Es ist eine Art Maske, welche mich selbstständig und mutig wirken lassen soll. Die eigentliche Zerbrechlichkeit in meinem Herzen zeige ich ungern. Doch gerade hatte wohl jeder Anwesende unfreiwillig meine Unsicherheit wahrgenommen. Ich war für kurze Zeit ein offenes Buch gewesen und die Emotionen meines Herzens waren mir ohne zu zögern in den Kopf gestiegen.

In Zukunft würde ich mich mehr unter Kontrolle haben müssen. Jedoch durfte ich ebenso nicht zulassen, dass ich mich unbewusst verschloss vor der Außenwelt. Ich musste wirklich lernen, mit meinen Gefühlen umzugehen.

Es war okay, Schwäche zu zeigen.

Doch wenn man bereits seine ganze Kindheit lang eine gewisse Verantwortung übernehmen musste und auf sich selbst angewiesen war, dann schien jeder Fehler ein sehr fataler zu sein. Fehler setzten einen zurück, sie verwundeten. Und irgendwann lernte man dann, ihnen auszuweichen und sie zu ignorieren. Meine Gefühle auszublenden, um den Nutzen daraus zu ziehen, stark zu wirken. Hoffentlich verstand Sam, mit meinem Gefühlsausbruch umzugehen. Sie blickte kurzzeitig unter meine Schale, in die Ansammlung hinein, wo sich alle meine negativen Eigenschaften tummelten.

Na super.

Ein wenig erschöpft und mit unersättlichen Kopfschmerzen schlug ich meine Augen auf. Ich lag in dem schmalen Krankenhausbett, wiedervereinigt mit den weißen engen Wänden. Nachdem der Pfleger mich zurück in mein Zimmer gebracht hatte, und ich mich folgend ein wenig hatte sammeln können, sodass die Röte aus meinen Wangen vertrieben war, schilderte er mir mit Unterstützung einer mittelalten Dame im Kittel die Lage.

Er erklärte mir ruhig, dass ich einen Unfall mit meinem Moped gehabt hatte. Anscheinend war nicht ich der Auslöser des Zusammenpralls mit einem fremden Auto gewesen, sondern der Fahrer oder die Fahrerin am Steuer des Wagens. Ich hatte wohl Glück gehabt, und auch meine Reflexe hatten schlimmeren Schaden meines Körpers abgewendet, durch schnelles bremsen und gegenlenken. Das absurde an dieser ganzen Geschichte war jedoch, dass von dem Wagen und dem dazugehörigen Unfallverursacher jede Spur fehlte.

Auch an Zeugen mangelte es laut Aussage der anwesenden Frau. Anscheinend hatte niemand sich das Kennzeichen oder irgendwelche Hinweise merken können. In diesem Moment war ich sehr verwirrt von dieser Tatsache gewesen, jedoch dachte ich nicht weiter darüber nach.

Mir waren einige Minuten später vor Müdigkeit direkt die Augen zugefallen.

Doch nun, im Stillen darüber grübelnd, entwickeln sich momentan unmenschliche Befürchtungen in meinem Kopf. Vieles davon war einfach dahingesponnen, jedoch bekam ich eine leichte Gänsehaut, bei dem Gedanken daran, dass es auch ein Attentat hätte sein können.

Aus Unglauben meiner Gedanken und einer sich anbahnenden Angst schlug ich schnell meine Augen wieder zu und zwang mich zum weiterschlafen. Die Dunkelheit vor meinem Auge gab mir in diesem Moment Sicherheit.

★? Danke!

roses are slowly dyingWhere stories live. Discover now