tiefsee

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Als ich meine Augen nach einer langen Zeit der Ruhe und sicheren Einsamkeit wieder aufschlug, war bereits der vorherige Tag verstrichen. Die tickende Wanduhr aus billigem Plastik verriet mir, dass es noch sehr früh war. An normalen Tagen schlief ich um diese Uhrzeit noch, doch nun plagten mich erneute Kopfschmerzen und ich stand auf, um das Fenster zu öffnen. Ein kühler Windhauch suchte sich den Weg durch das gesamte Zimmer und brachte meine wilden Haare in Unruhe. Draußen war es finster. Nur ein paar wenige Straßenlaternen und blasse Lichter aus Zimmerfenstern tauchten die Schwärze in ansehnliches Grau.

Gerade als ich das Fenster wieder schließen wollte, da es mich ein wenig fröstelte, fuhr ein schwarzer Wagen in eine Parklücke des Krankenhauses, welche von meinem Zimmer aus gut zu sehen war.

Aufgrund meiner nicht zu bändigen Neugierde und der Langeweile im Nichtstun verharrte ich einen Moment um die aussteigende Person genauer zu betrachten. Doch aufgrund des mangelnden Lichtes und der Entfernung zwischen Auge und Ziel waren keine weiteren Einzelheiten zu erkennen, als dass diese Person anscheinend männlich und gut gebaut war.

Mit den roten Lichtern, welche das Verriegeln des Wagens bestätigten, schloss ich das Fenster wieder.

Seufzend machte ich das Radio an und starrte einige Minuten an die Wand des Zimmers, während mein Fuß belebt den Rhythmus jedes einzelnen Liedes mitwippte.

Meine Augen waren schon halb geschlossen und auch mein Geist kurz davor, wieder abzudriften, als auf einmal die Zimmertüre weit aufschwang und ich mich so sehr erschrak, dass ich von einer Sekunde auf die andere kerzengerade und mit einem schnell klopfenden Puls in meinem Bett saß. Ich blinzelte ungläubig und suchte Schutz sowie Wärme unter meiner Bettdecke.

Der Eindringling betrat ohne weiteres das Krankenzimmer, den Blick immer auf das vor Schock ganz blasse Mädchen gerichtet.

Die Luft in diesem Raum war sehr dünn und eisig.

Langsam ließ sich der Mann auf einen der Plastikstühle im Raum nieder, ohne auch nur einmal den Blickkontakt zu unterbrechen.

Ein angewidertes Schütteln meiner Glieder war der Reflex meines Körpers, um nur ansatzweise zu versuchen, meine Gedanken im Griff zu behalten. Die Angst kroch ganz langsam meinen Rücken hinunter, ohne Eile und bedacht darauf, an jeder möglichen Stelle Spuren des panischen Schweißes zu hinterlassen.

Meine innere Stimme ermahnte mich durchgehend, dass ich ruhig bleiben sollte. In Dauerschleife wurde ich von mir selbst auf die Folter gespannt. Immer noch ungläubig schüttelte ich kurz meinen Kopf, immer bedacht darauf, keine falsche Bewegung zu machen.

Der Mann saß mir gegenüber im Raum, ein breites Lächeln schmückte sein Gesicht. Anscheinend machte ihn mein Zustand noch selbstgefälliger, als er eh schon war.

Seine dunklen Augen durchbohrten mich. Diese Augen suchten mich tatsächlich in manchen meiner fiesesten Träume heim.

Die Augen des Mannes mir gegenüber.

Es konnte nichts Gutes verheißen, dass Jordan hier anwesend war, am frühen Morgen zur eigentlichen Schlafenszeit, und dort auf dem Stuhl ruhend auf mich als seine hilflose Beute lauerte. Sehr bedacht veränderte sich seine Mimik und er setzte zum Sprechen an. Die Stimme klang belustigt.

»Hallo Allie. Was ein Zufall, dich hier zu treffen.«

Bei diesen Worten verkrampfte sich meine Haltung, mein Magen jauchzte freudig und ein Teil meines Mageninhaltes stieg mir die Speiseröhre hinauf.

»Was willst du, Jordan? Ich habe nichts mit dir zu bereden.«, keuchte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

»Dein kleiner Löwe ist ja wohl eher ein harmloses Kätzchen, und auch die ach so mutige Tigermutter zieht schon bald den Schwanz ein, glaub mir.«

Er lachte gehässig über seine fabelhafte Wortwahl.

Mir war nicht zum Lachen zumute. Ganz und gar nicht. Als er mit dieser Anspielung Liam erwähnte, zog sich alles in mir zusammen. Ein einziges Geflecht aus Organen blieb bestehen und selbst das Atmen viel mir sehr schwer.

»Natürlich könnte ich auch einfach deine Mutter oder deinen verehrten Stiefbruder als Druckmittel verwenden, doch da du mir den kleinen Jungen so schön auf dem Silbertablett serviert hast, samt seiner Adresse und der Verfassung der Eltern, habe ich mich doch für ihn entschieden. Er ist aber auch süß, da kann man gar nicht widerstehen.«

Meine Augen wurden glasig und die Sicht verschwamm ein wenig.

Wütend blinzelte ich die Tränen so gut es ging weg und wagte es, seinem Blickkontakt entgegenzuhalten. Was hatte er vor? Egal was er im Sinn hatte, es war nichts Gutes. Ich würde einbüßen müssen - das war mir bereits jetzt bewusst - um meine wenigen geliebten Mitmenschen in Sicherheit wiegen zu können. Zwar wusste ich, dass dies allein seine Taktik war, jedoch würde ich es nicht zulassen, dass Jordan versuchen würde jemandem aus meinem engsten Umfeld nur ein einziges Haar zu krümmen. Das war doch wie verflucht hier; gab es denn keinen simplen Ausweg aus diesem ganzen Gewirr voller Angst und dunkler Farben?

Er fuhr fort mit seiner barbarischen Rede, welche er sichtlich in allen Zügen genoss.

»Rate mal, wieso genau du hier in diesem Bett liegst.«

Gerade als ich nach einer kurzen Pause, in welcher ich die Informationen und Zusammenhänge verarbeiten musste, den Mund öffnete um ihm mit ein paar wenigen Worten entgegenzuwirken, sprach er gelassen weiter. Natürlich hatte er keine Antwort erwartet.

»Surprise«

Mit diesem belustigten Ausruf stand er mit ausgebreiteten Armen auf und funkelte mich an.

»Ich höchst persönlich bin der Grund, in enger Zusammenarbeit mit einem schicken Auto. Hätte ich es jedoch gewollt, dann wärst du nun bereits unter der Erde. Glück gehabt hm?«

Jordan zwinkerte mir zu. Daraufhin schnaufte er kurz zufrieden, als würde er an das vergangene Ereignis denken, in welchem er mich angefahren hatte, und setzte dann erneut sein schleimiges Lächeln auf.

»So.«

Pause.

»Hier kommen meine Forderungen.«

Schmerzvolle Pause.

Ich saß noch immer geschockt und erstarrt für den Moment da und konnte nichts erwidern. Wenn dieser Mann sprach, dann hörte man ihm zu, ohne auch nur einen Mucks zu machen - so war es schon immer gewesen. Selbst wenn ich meinen Körper zu einer Reaktion zwingen würde, könnte dies keinen einzigen Funken Unheil von mir abwenden.

Jordan kam mir gefährlich nahe und flüsterte dann eine erschreckende Nachricht an mein Ohr.

»Widerstand ist zwecklos. Du weißt, dass ich immer das bekomme, was ich will. Und in diesem Moment, will ich dich.«

Als ich diese Information registriert hatte, rückte ich angewidert von ihm ab. Ihm jedoch war es nicht recht und so packte er geschwind mein rechtes Handgelenk und hielt mich somit unter Kontrolle und ebenfalls in seiner unmittelbaren Nähe. Aus dem Bächlein des Angstschweißes war inzwischen ein großer See entstanden, und auch der Begriff eines Meeres direkt an meinem Rücken lag nicht mehr weit.

»Wenn du nicht freiwillig kommst, dann hole ich mir eben deine Liebsten, so lange, bis schlussendlich du Selbst nachgibst.«

Diese Worte flüsterte er, als wäre es ein gut zu behütendes Geheimnis.

Ich zitterte und mir war schrecklich kalt. Noch immer war ich gänzlich überfordert mit der Situation.

Nachdem er diese Worte an mich gerichtet hatte, ging er selbstgefällig aus dem Raum.

Zwar schwand mit dem hinfort eilen Jordans der Schmerz an meinem Handgelenk, doch jeglicher weitere Schmerz und Druck in meinem Inneren blieb bestehen und ließ mich fast zerbrechen.

Ich konnte es nicht mehr länger aushalten, schlang mich zu einem kleinen Häufchen zusammen und gewehrte meinen schmerzenden Augen den Ausfluss der Tränen.

Das Weiß wurde getränkt.

★? Danke!

roses are slowly dyingWhere stories live. Discover now