schimmergefühl

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»Es muss aufhören, dass Jordan dein Leben kontrolliert, und du stetig mit der Angst leben musst, er könnte dich nachts brutal aus dem Schlaf reißen und mit sich zerren. Das will ich nicht - ich mache mir Sorgen!«

Diese Worte waren ehrlicher denn je. Sam blickte mich tiefgründig an, ein undefinierbarer Ausdruck auf ihrem Gesicht. Die Lippen glänzten leicht, angestrahlt von der mageren Deckenbeleuchtung dieses Zimmers.

Versteinert stand ich da und wartete auf weitere Worte Sam's. Ich war der festen Überzeugung gewesen, dass sie mich verlassen wollte. Wenn dies wirklich der Fall wäre, dann sollte sie mir das verdammt nochmal sagen, und nicht lange um den heißen Brei reden. Sie hatte mich mit ihrer Aussage sehr erschreckt. So oft schon konnten wir uns nicht deutlich entscheiden, für oder gegen ein Zusammenleben unserer zwei Seelen - für immer. Doch nun stand all dem nichts mehr im Weg, was Sam noch hätte bremsen können, in ihren Absichten, ein glückliches Leben zu führen.

So gern würde ich einmal durch ihre Augen blicken, und die Gedanken ihrerseits meinen Kopf durchfluten lassen. All die Gefühle sowie die pure Wahrheit, im Bezug auf mich; und uns.

Doch so sehr ich auch davon träumte, die Gedanken der Menschen lesen zu können, sodass ich entsprechend darauf reagieren konnte, so surreal war jene Vorstellung ebenfalls. Ich war mir im Klaren darüber, dass solch abnormales Verhalten niemals eintreten würde.

Schade eigentlich.

Dann musste ich mich selber bemühen, die geforderten Informationen aus Sam heraus zu kitzeln. Deshalb zerschnitt ich die Stille, in welcher wir uns lediglich nachdenklich betrachtet hatten.

»Ich verstehe, aber ich kann nun mal nichts daran ändern.«

Dies waren wahrscheinlich nicht die besten Worte, welche jemandem entgegenzubringen waren, nachdem dieser einem mitgeteilt hatte, dass er sich um einen sorgte. Doch ich wusste nicht so recht, was ich hätte entgegnen sollen. Vielleicht wäre es angebracht gewesen, ihr zu versichern, dass alles okay werde würde. Aber wer wusste das schon so genau? Ich wollte wirklich keine unwahren Worte in den Mund nehmen, allein um die Situation zu verharmlosen.

Sam's Augen färbten sich marineblau und es war, als könnte ich den blauen Planeten in ihnen erblicken. Diese kleine Welt, welche so viele Makel aufwies, doch gleichzeitig niemals aufhörte, sich zu drehen. Als sich nun eine kleine Träne ihre Wange entlang bahnte, begann sich mein Inneres leer anzufühlen.

Von jetzt auf gleich waren unaufhaltsame Emotionen erblüht, und zurück blieb das aufatmende Pochen in meiner Brust, ausgehend von meinem Herzen. Es schrie und fluchte wild, da es das süßeste doch zugleich schmerzhafteste auf der Welt war, Sam weinen zu sehen, doch der Schmerz fand keinen Weg aus mir hinaus, sondern verweilte als Stich in meinem zarten Fleisch, sich quälend langsam über den gesamten Körper ausbreitend.

»Sam!«, keuchte ich fassungslos zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Als sie mich nicht anblickte, sondern lediglich starr den Boden inspizierte, legte ich meine Hand an ihr Kinn und zwang somit ihren Kopf in die Höhe. Unsere Augen trafen sich, beide geschwemmt von glitzernden Emotionen, welche kurz vor dem vollkommenen Ausbruch standen und diese Küche in eine einzige Wasserlandschaft tauchen würden.

»Ich habe Angst um dich und es macht mich fucking fertig, jeden Tag an deiner Seite zu sein, und nur auf den Tag zu warten, an dem mir ...«

Sie schluckte angespannt.

Ich lauschte leidend.

»... das Wichtigste auf der Welt erneut geraubt wird.«

Gänsehaut.

Sam's Tränenfluss verebbte langsam, nachdem ihr diese Worte vollkommen von den Lippen gekommen waren, doch wie auf Kommando lösten sich nun jene Perlen von meiner farbigen Pupille und begannen, den Raum einzutränken.

Farbflecken.

An der Wand; und auf dem Boden. Selbst an der Decke fand ich diese wieder. Überall Farbflecken. Vor meinem inneren Geiste blitzten sie auf und tanzten wild und ohne Scheu durch die Dunkelheit.

Diese wunderschönen - vom Leben durchströmten - Augen richteten sich durch das dunkle Licht hindurch auf mein Haupt, und durchbohrten mich mit ungewisser Fürsorge und Ungewissheit, die sie düster ausstrahlten.

Die Kleidung eng an ihrem wohl geformten Körper, und ihre Wangen noch immer leicht gerötet, von der Aufregung und den letzten Stunden, stand sie ruhig vor mir, mich abwartend beäugend und auf ein paar Worte meinerseits wartend.

Es fühlte sich in jenem Moment so an, als würden all die Sorgen nun ein Ende haben. Ich hatte mich schon vor langer Zeit klar und deutlich entschieden, und dies für Sam.

Wenn es wirklich nicht sein sollte, dass wir ein gemeinsames zukünftiges Leben teilten, dann würde der Teufel in Gestalt von Jordan mich bestrafen - für die Wahl des Glückes. Die Unterwelt war auch nur ein weiterer verlassener Ort, vergleichbar mit jenem Alltag dieser Welt. Wenn mich der vollkommene Antrieb zum Kämpfen verlassen, oder ich Sam niemals wieder getroffen hätte, dann hätte ich mich wahrlich selbst in diese Verlassenheit manövriert. Kein Tag wäre vergangen, an welchem ich nicht voller Wehleid in meine Gedanken an jene Gefühle abgedriftet wäre, die ich einmal hegte.

Tatsächlich konnte ich ebenfalls nicht richtig abschätzen, inwiefern eine Harmonie wirklich gegeben wäre, stetig mit dem Hintergedanken, dass ein Mann mir etwas antuen könnte, aufgrund seiner verschobenen Weltanschauung und der skrupellosen, dümmlichen Art.

Aber ich hoffte wirklich, dass ich verschont bleiben würde von der Gewalt und dem Kummer, welcher irgendwo auf mich lauerte doch noch nicht zum finalen Sprung angesetzt hatte. Wie tief würde das Loch sein, in welches ich irgendwann fallen würde? Und noch schlimmer, wie tief würde ich Sam mit hinunter reißen? Ich wollte sie ebenso beschützen und konnte es keinesfalls verantworten, sie in Gefahr zu bringen.

Doch ich musste mir wirklich einmal eingestehen, dass ich Sam in manchen Dingen unterschätzte. Die Erinnerungen der Jugend trugen sehr dazu bei, in welchen sie so anders als jetzt wirkte. Ganz klar hatte sie sich weiterentwickelt, zu dieser unglaublich starken Persönlichkeit, welche sie nun war. Kurzzeitig dachte ich an die Zukunft, und an all die Dinge, welche ich noch von Sam lernen würde.

Die Dominanz ihrer Beschützerrolle machte mich doch sehr an, und zugleich verärgerte diese mich, da ich mich eigentlich nicht allzu gern dominieren ließ - außer von ihr natürlich.

Selbst wenn ich ihr sagen würde, dass sie sich von mir fern halten sollte, so dürfte sie nicht einmal das, wenn sie denn wollen würde, aufgrund jener Beschlüsse des Gerichtes, sie solle auf mich aufpassen.

Eine innere Stimme drängte mich dazu, einfach das Beste aus der Situation zu machen. Eindeutig war ich ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben, so wie sie mir das vor einigen Sekunden mündlich überliefert hatte.

Die Stimmen vervielfachten sich und spannten ein Netz aus chaotischen Wortfetzen.

Ich verstand meine Gedanken nicht mehr, welche in maximaler Lautstärke meinen Kopf durchfluteten. Mein eigener Geist schien mir fremd doch so ehrlich zugleich. Wieso hatte ich so lange Zeit gezweifelt, an meiner Person, sowie den Taten, welche ich durch eigenes Handeln vollbringen konnte?

Gezweifelt an der Tatsache, dass ich nicht allein war. Denn das war ich niemals gewesen. Ich selbst hatte mich isoliert, und all die Hoffnung ausgeblendet. All die Jahre waren jene Gitterstäbe von mir selbst geschaffen, die mich eingeengt und verängstigt hatten. Meine stetige Starre durch die äußerliche Eiseskälte meiner Einflüsse leitete mich zu diesem Moment, in welchem es Ausweglos erschien, vor den Schatten meiner Vergangenheit zu fliehen.

Sam rührte sich ungeduldig.

Ich starr.

Nachdenklich.

»Küss mich«, flüsterte ich mit bitterlicher Süße und der Lautstärke eines Regentropfens in den finsteren Raum, als dass ihre Ohren sich daran erfreuen mögen, oder auch nicht.

★? Danke!

roses are slowly dyingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt