lebendig

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Einige Tage später wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Sam hatte ich die Zeit über nicht mehr gesehen.

Meistens verkroch ich mich in meinem Zimmer und dachte nach, schlief oder weinte heimlich. Ich hatte Angst, ihr mit solch verweintem Gesicht unter die Augen zu treten; aber auch die Befürchtung, dass Jordan noch irgendwo in diesem Krankenhaus lauern, meinen Bezug zu Sam herausfinden und schließlich uns beiden damit schaden könnte. Das versuchte ich mit aller Macht zu verhindern. Nicht auch noch Sam sollte ein Opfer des brutalen Geschehens werden und in ausgangsloser Gefahr schweben.

Der Himmel war an diesem Tag blau und recht heiter. Nur wenige Wolken bedeckten ihn. Ich stand in meiner laschen Jogginghose im Eingang des Krankenhauses und atmete erst einmal tief die frische Luft ein.

Nun war ich an dem Punkt angekommen, an dem nichts mehr so werden würde wie früher. Würde ich diesen Schritt wagen, hinaus aus dem großen Gebäude, dann würden sich die Geschehnisse nur noch mehr überschlagen.

Ich war in freier Wildbahn.

Auf einmal rief jemand meinen Namen. Ich nahm es kaum wahr, doch als ich intuitiv aufsah, erblickte ich Adam einige Meter von mir entfernt. Ich hatte nicht erwartet, dass mich jemand abholen würde. Auch verlangt hatte ich es nicht, lediglich die nötigen Informationen getextet um mögliche Sorgen Adams oder meiner Mutter in Zaum halten zu können. Niemals hätte ich daran gedacht, dass vor dem Krankenhaus jemand auf mich warten würde.

Und da stand er nun, mit einem breiten Grinsen in seinem Gesicht und wartete auf mich, mit ausgebreiteten Armen. Ich konnte es nicht mehr abwarten, in seine beschützenden Arme zu fallen, und so war mit Adam an meiner Seite das übertreten der bedeutenden Schwelle kein Problem mehr. Ich flog darüber hinweg und direkt in eine herzliche Umarmung meines Bruders. Ich hatte ihn so vermisst. Er war es, welcher mir Halt gab.

»Danke«, flüsterte ich und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Den etwas kühlen Wind bemerkte ich nun kaum mehr, da sich Adams Körperwärme wie ein großes, schützendes Schild um mich gelegt hatte und für den Moment festhielt.

Heimwärts liefen wir still nebeneinander her. Der graue Bordstein streckte sich karg die lange Straße entlang. Trüb hielt ich den Blick gen Boden gesenkt und dachte über das vergangene Treffen mit Jordan nach.

Auf einmal unterbrach Adam die Stille.

»Allie, ich muss mit dir über etwas reden«, begann er zögerlich.

Ich schaute ihn erwartungsvoll an und machte ein zustimmendes Geräusch, sodass er wusste, er hatte meine Aufmerksamkeit.

»Ich habe jemanden kennen gelernt.«

Meine Mundwinkel wanderten nach oben. Ich freute mich wirklich für ihn. Insgeheim wusste ich es natürlich schon, doch das würde ich ihm nicht sagen. Tatsächlich schien das Mädchen, mit welchem ich ihn neulich gesehen hatte, etwas mehr als nur eine Freundschaft für ihn sein.

»Na ist doch super.«, sagte ich, ein breites Grinsen unterdrückend.
»Aber was sollte dieser zögerliche Unterton?«

»Ummm naja.«, begann er, schon wieder ein wenig unsicher wirkend.

Ich machte mir Sorgen und mein Blick durchbohrte ihn förmlich, mit aller Macht versuchend die folgenden Informationen ein wenig schneller aus ihm heraus zu locken.

»Ich werde umziehen, weg von dir und Mum. Ich will euch nicht im Stich lassen, jedoch muss ich langsam mal mein eigenes Leben beginnen, so wie du es auch immer sagst.«

Nun war es Adam, welcher betrübt und fast schon ein wenig beschämt zu Boden blickte. Diese Nachricht brachte mich ins Schwanken. Ich wollte Adam nicht verlieren. Natürlich würde ich ihn durch einen Umzug nicht aus den Augen verlieren, doch er würde mir ferner denn je sein - fast unerreichbar. Ich brauchte ihn doch.

Aber gleichzeitig wollte ich ihm nicht im Weg stehen, sein Leben endlich so richtig zu beginnen. Und auch wie er bereits sagte, ich hackte tatsächlich oft auf ihm herum und drängte ihn zu einem Auszug, um seines Willen. Doch meinte ich es die Jahre wirklich immer ernst, dass er ausziehen sollte? Ja, ich will wahrlich nur das Beste für ihn. Doch verlieren, nein, das will ich ihn nicht.

Einige Zeit lang hatte ich nun schon nichts zu seiner Beichte gesagt, und wir liefen noch immer schweigend nebeneinander her. Er war sichtlich nervös über meine folgende Reaktion. Dann blieb ich stehen. Erst bemerkte er es nicht, doch nach ein paar weiteren Schritten seinerseits drehte er sich zu mir um und wartete geduldig auf meine Rede.

»Ich liebe dich, Adam. Du hast wirklich immer zu mir gehalten, und wenn du denkst, dass ich mit deiner jetzigen Entscheidung nicht einverstanden bin und diese nicht akzeptieren kann, dann hast du dich gewaltig geirrt. Beginne endlich dein Leben, hopp! Hast lang genug daheim rum gesessen. Werde dich bei allem unterstützen!«

Mit diesen Worten strich ich lächelnd durch seine Nackenhaare, da ich sein lockiges Haar kaum erreichte, während sich das Geschwür in meinem Magen noch an den Gedanken gewöhnen musste, Adam gehen zu lassen. Überwiegend war ich jedoch glücklich, solange er es war.

Die letzten Meter zu unserem Haus legten wir beide mit einem Lächeln zurück.

Ich hatte mir überlegt, mal wieder etwas Gutes für unsere Familie zu tun. Wir sollten diese letzten Momente als Familie beisammen noch einmal genießen, bevor alles auseinander gehen würde. Also beschloss ich, einkaufen zu gehen und etwas zu kochen. Es jedenfalls zu versuchen. Ich war wirklich eine Niete im Kochen. Naja, anderes Thema.

Bevor ich mich auf den Weg machte zum Supermarkt, blickte ich noch einmal auf mein Handy. Sam's Kontakt sprang mir ins Sichtfeld und ich saß minutenlang nichts tuend da, mit starrem Blick auf das leuchtende Display.

Für einen kurzen Moment kam mir die Idee in den Sinn, sie zu mir einzuladen, dass wir zusammen kochen konnten. Doch sicher würde sie nicht zusagen.

Von mir selbst entmutigt schaltete ich mein Handy wieder aus, nachdem ich ein-zweimal versucht hatte, eine Textnachricht passend zu formulieren. Doch ich scheiterte immer an dem kleinen Feld des Absendeknopfes, welches ungeduldig auf meinen Finger wartete. Sicher wollte sie momentan nichts von mir hören, sonst hätte sie sich vielleicht schon gemeldet.

Seufzend blickte ich kurzzeitig an meine Decke des Zimmers über dem Bett. Meine Zeichnung befand sich dort noch immer. Irgendwie gab sie mir Mut.

Gedankenlos wählte ich die Nummer Sam's und das nervige Hupen während der Wartezeit ertönte.

★? Danke!

roses are slowly dyingDär berättelser lever. Upptäck nu