wüstenbrand

743 92 18
                                    

Wenn ich nun auf Mike traf, welcher mir die Tür öffnen und einen verächtlichen Blick sowie Tritt über seine Schwelle hinaus auf die Straße bescheren würde, dann wüsste ich wirklich nichts mehr mit meinem Leben anzufangen. Zwar hatte Sam sehr abweisend auf mich gewirkt, als sie an Seiten „ihres" Mannes gestanden hatte, doch würde ich ihr in jener Situation gegenüber treten, dann schienen meine Chancen etwas besser, hereingelassen zu werden. Vor allem nachdem ich sie in vergangener Nacht so verzweifelt davon abhalten musste, mir zu nahe zu kommen. Sicherlich war noch eine ganze Menge Lust mit im Spiel, doch ob ebenfalls ein Funke an Gefühlen ihrerseits mitmischte, konnte ich mir wirklich nicht ausmalen.

Es war bereits dunkel geworden, so lange hatte ich mich nach meinem Gefühlsausbruch und dem Rauswurf aus der Wohnung draußen herum getrieben. Noch immer regnete es unersättlich aus den dunklen Wolken der schwarzen Nacht hinunter auf die durchnässte Erde samt deren verloren geglaubten Bewohnern.

Mein Körper zitterte und mir war es kaum möglich, ihn unter Kontrolle zu halten. Eine unangenehme Gänsehaut überzog meine nackten Arme, auf welche im Sekundentakt das kalte Wasser tropfte und meine Seele unter jenen Stromschlägen erschüttern ließ.

Noch immer stand ich verlassen vor der Tür, und blickte lediglich mit gesenktem Kopf hinunter zu meinen Füßen, welche in alten Turnschuhen steckten und dort in einer großen Pfütze verweilten. Ein undefinierbarer Instinkt ließ mich aufschrecken und aus der komatös erscheinenden Haltung erwachen.

Mein Finger schnellte zu der Klingel, und ohne lange zu zögern fand das Gewicht den Knopf und ein leiser Ton ertönte hinter jener Tür. In diesem Moment hätte ich höchst wahrscheinlich Stoßgebete gen Himmel gesendet, wenn ich kein Atheist gewesen wäre. Doch allgemein glaubte ich, dass mir ein Gott in dieser Situation auch nicht gänzlich geholfen hätte.

Nach einigen Minuten meines stillen Leidens und Hoffens wurde die Türe geöffnet.

Gottseidank.

Sam stand in der Tür und beäugte mich kritisch. An ihrem Körper trug sie eine Jogginghose und ein dünnes Top, weshalb ihre Arme urplötzlich von einer Gänsehaut überzogen wurden, als die kalte Front auf sie traf.

Ihre Aura wirkte emotionslos und abweisend, auch hinterfragte sie allem Anschein nach die Situation, weshalb ich es kaum wagte, ihr in die Augen zu blicken. Deren Starren versuchte mich, wie so oft bereits, als ein offenes Buch zu lesen, und verkrampft kämpfte ich dagegen an, ihr meine Schwächen vorzulegen.

Mein Hals wurde abgeschnürt von der aufkeimenden Nervosität meinerseits. Hätte ich mir nicht vorher einen Sprechertext zurecht legen können? Aber nun stand ich dort, grenzenlos überfordert mit dem Moment, verzweifelt um meine Sprache und das letzte Stück meines Stolzes ringend. Die Zeit hatte sich verlangsamt, weshalb es mir so vorkam, als würden wir uns bereits Minuten gegenüber stehen, ohne ein Wort zu tauschen oder eine Bewegung zuzulassen. In der Realität mögen dies nur unangenehme Sekunden gewesen sein, doch deren schleichendes Fortschreiten ließ mich von innen heraus zerreißen. Meine Gestalt verloren. Das Gesicht verzogen zu einer unansehnlichen Grimasse. Die Gliedmaßen verschränkt vor meinem Körper. Der Geist des Guten eingesperrt in einer schwarzen Hülle. Verzweifelt.

Auf einmal erfolgte eine Bewegung Sam's, welche mich kurzzeitig zurück schrecken ließ. Sie hatte ihre Arme ausgebreitet, die Augen geweitet und ihre Aura urplötzlich umgeschwenkt. Es war unentzifferbar, doch allem Anschein nach lud sie mich ein. Sie forderte eine Umarmung, um Begegnung mit meiner Verzweiflung zu machen und sie zu vertreiben.

Meine Emotionen hatten so sehr überhandgenommen, dass ich Sam's Ausdruck wahrscheinlich die gesamte Zeit falsch gedeutet hatte.

Da ich keine Bewegung zeigte, zu sehr überfordert mit dem Moment, da sie sich mir gegenüber noch immer herzlich zeigte, kam sie mir einen Schritt entgegen in die Kälte der Nacht und den prasselnden Regen. Ihre Arme legten sich um mich, um mir mit diesen Trost und zugleich Schutz zu spenden, vor der grausamen Härte meiner Emotionen. Allein für mich hatte sie den Schritt gewagt, ohne auf ihr eigenes Wohl zu achten, mir in diese Welt entgegenzutreten um mich aufzuwecken.

In diesem Moment realisierte ich die Tat, legte meine Arme verzweifelt eng um ihren Körper und vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Ihr umwerfender Duft stieg in meine Nase, welchen ich versuchte mir intensiv einzuprägen. Langsam streichelte sie mir über den Rücken, um auch die letzten Zuckungen der Kälte aus meinem Körper zu verbannen.

Deutlich spürte ich wie auch ihre Kleidung sich langsam durchnässte. Der Stoff schmiegte sich an ihren Körper an, um die atemberaubend weiche Haut deutlich durchschimmern zu lassen. Noch immer hielt ich meine Arme um sie gelegt, mich etwas an ihrer Taille festkrallend. Langsam löste sie sich von mir und blickte mir in die Augen. Ihre Hand hob sich langsam an meine Wange, um eine dort nass verweilende Strähne hinter mein Ohr zu streichen.

Als Sam sich endgültig von mir löste, entfernte sich ebenfalls ein Glücksschimmer von meiner Seele, welchen ich sofortig vermisste. Sie lief hinein in die befremdliche Wohnung, welche sie sich mit ihrem Freund teilte, und steckte ihre Haare zu einem Dutt zusammen. Als sie merkte, dass ich mich noch immer kaum rühren konnte, beziehungsweise wollte, da ich mir nicht sicher war, ob ich Willkommen war, kam sie auf mich zu, packte mich leicht am T-Shirt und zog mich zu sich in die Wohnung. Daraufhin meinte Sam, sie würde Wechselkleidung holen und ließ mich allein im Flur stehen.

Langsam fand ich meine Sprache wieder, sowie meinen verloren geglaubten Stolz.

»Darf ich...«, setzte ich zu sprechen an.

In diesem Moment bog Sam um die Ecke, in ihren Händen Wechselklamotten und ein Handtuch. Sie blickte mich erwartungsvoll an.

»Darfst du was?«, fragte sie dann, nachdem ich noch immer überlegte, ob ich das wirklich wollte, was ich sie gleich fragen würde.

»Darf ich ein paar Tage hier bleiben?«

Sam schien zu überlegen, doch dann sprach sie mit Überzeugung.

»Ja das darfst du. Ich werde Mike später davon berichten. Das sollte eigentlich kein Problem sein, schließlich ist das meine Wohnung.«

Dann schwiegen wir einen Moment, in welchem ich die neu dazu gewonnenen Informationen erst einmal verarbeiten musste. Das war ihre Wohnung? Damn, sie hatte es wirklich geschafft, in ihrem Leben einiges zu erreichen, ganz im Gegenteil zu mir.

»Ich denke ihr hattet einen schlechten Start«, sprach sie nun mit entschuldigendem Blick und einem seufzenden Unterton.

»Hm.«, brummte ich lediglich, während ich meine Haare versuchte mit dem Handtuch zu trocknen. Auch ein guter Start hätte mich in hohem Strahl kotzen lassen, bei deren Anblick, wie sie sich gegenseitig die Zungen in den Hals steckten.

»Wo ist er denn eigentlich?«, sprach ich nun, meinen Blick direkt in Sam's Augen gerichtet. Klar, ich wollte nett wirken und wenigstens ein bisschen Interesse an dem liebesbezüglichen Bestandteil ihres Lebens zeigen, doch tatsächlich interessierte es mich wirklich, wo er sich herum trieb.

»Er arbeitet.«

Sam's Antwort war knapp. Anscheinend wollte sie gerade nicht wirklich darüber sprechen, weshalb auch immer.

Wir schwiegen uns eine Weile an; sie gedankenverloren in meine Richtung blickend, und ich sehnsüchtig ihren Körper inspizierend. Mir war es egal, ob sie merkte, dass mein Verlangen nach ihr noch sehr groß war. Dann spielte ich wenigstens mit offenen Karten, anstatt irgendetwas zu verheimlichen. Allgemein war ich ein sehr offener Mensch. Manchmal vielleicht ein bisschen zu offen - und direkt.

»Und seit wann stehst du auf Männer?«

Hatte ich nicht gerade noch davon geredet? Ich hatte einfach eine ungehaltene Zunge, verdammt.

Außerdem klang diese Bemerkung meinerseits wohl ein bisschen zu schroff und ungehalten, denn Sam traf diese Frage allem Anschein nach sehr. Sie wurde wütend; und somit - man könne ruhig einmal klatschen bei meinem Talent - hatte ich nach wenigen Minuten der verbundenen Zweisamkeit, blind die Samen gestreut, Benzin drüber geleert und die Suppe angezündet. Scheiße ist das.

Nächste Lektion: Wie bändigt man das Feuer?

★? Danke!

roses are slowly dyingWhere stories live. Discover now