gefühlskalt

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An diesem Morgen war ich bereits sehr früh aufgewacht. Die Präsenz des noch im Tiefschlaf ruhenden Frauenkörpers neben mir katapultierte mich nach Aufschlag meiner Wimpern sofortig in die eiskalte Realität zurück. Zusammengerollt fand ich mich mit Sam zusammen in einem Bett wieder. Sie stelle in jenem Moment einen unglaublichen Ruhepol dar, welcher meine Schmerzen sofortig vergessen ließ. Ich schob diese ganz einfach in den Hintergrund meiner Wahrnehmung, und betrachtete alleinig mit voller Konzentration das liebliche Gesicht Sam's. Wie ein Engel lag sie in diesen Kissen und entspannte ihre Gesichtszüge vollkommen.

Ein kurzer Seitenblick auf die Uhr verriet mir, dass ich gewiss noch weiter schlafen sollte. Doch bevor das passieren würde, musste ich dringend zu den Schmerztabletten greifen. Meine Kehle wirkte wie zugeschnürt - von Innen austrocknend wie ein verkommender Wüstenbusch, von außen rau geflickt und geklebt. Ich selbst fühlte mich soeben wie das Schulprojekt eines Kindes, welches hier und dort ein bisschen Hand angelegt hatte. Ähnlich einer Puppe war ich verletzt worden, und wie eine Mumie dem Sterben zurückgelassen - die versuchte Rettung durch Verband gescheitert, da die Schmerzen ihren eigenen Wert kannten.

Etliche Bandagen schmückten Prellungen und offene Wunden meiner Haut. Ich konnte den Krankenhausschwestern nicht verübeln, dass Teile meines Körpers nun aussahen wie in Klopapier eingewickelt, doch gewiss hatten sie es mit Verbänden ein wenig übertrieben. Davor hatte ich jene Verletzungen ja auch überlebt, ohne jegliche Hilfe.

Mit müdem Blick schlich ich auf Zehenspitzen in die Küche hinaus und nahm dort gleich zwei Tabletten gegen meine Schmerzen ein. Mein Körper entspannte sich etwas und eifrig wartete mein Geist auf die vollkommene Wirkung jener Medizin.

Erschöpft legte ich mich zurück neben Sam in das Bett und schlief bald erneut ein, ohne auf die Zeit zu achten.

Es krachte.

Mein Körper schreckte urplötzlich auf, als dieser disharmonische Klang an mein Ohr gelangte. Mit schleierhaft verzerrter Wahrnehmung richtete ich meinen Körper aus dem Bett auf und trat in dieser Morgenfrühe mit blankem Fuß auf den kalten Boden. Eine Welle an umzudeutender Frische durchzuckte meine Gliedmaßen und ließ meinen Kopf für einige Sekunden summen und die Haare an Arm und Bein zu Berge stehen. Es erforderte viel Konzentration, aufgrund meines schwächelnden Kreislaufes nicht sofortig umzuklappen.

Als ich meinen Blick von dem braunen Boden hob, nachdem ich bereits einige Schritte durch die Wohnung getaumelt war, durchbrach ich ein atemraubendes Spektakel in seinem unaufhaltsamen Strom, ohne von den zwei Protagonisten wahrgenommen zu werden. Wie ein Film spielte sich die Handlung ab, kaum glaubwürdig in meinen Kopf projiziert.

In jenem Raum fanden sich Mike und Sam wieder. Unter deren Füßen blitzen einige Scherben sowie brauner Kaffee, welcher sich seinen Weg suchte und fortschreitend über den Boden verbreitete. Sie schienen sich erneut zu streiten, denn Mike erhob seine Stimme und jegliche Mimik seinerseits war auf eine Höllengeburt zu deuten. Es schien mir, als würde sein wahres Gesicht zum Vorschein kommen.

Tatsächlich hatte er in diesem Moment eine sehr einschüchternde Wirkung, selbst auf mich als Außenstehende - obwohl ich wahrscheinlich der Grund war, weshalb sich die zwei stritten. Ich konnte mir dieses quälende Geschrei sowie die Erniedrigung Sam's nicht länger geben, weshalb ich entrüstet nach vorne stützte.

Doch verdutzt machte ich in meiner Bewegung halt, da Sam mir zuvor gekommen war. Ihre Gefühlswelt war ein einziger Trugschein gewesen. Keinesfalls ließ sie sich von ihm die Stirn bieten, sich geschweige denn ausnutzen oder beschuldigen. Ihre Hand war in schneller Bewegung an seine Wange gewandert, wo nun ein roter brennender Fleck seinen Ursprung fand und freudig vor sich hin flammte. Ich musste verblüfft schlucken, über jenes Ereignis welches soeben geschehen war.

Ja, Sam war dominant, und in meinem Inneren hatte ich gewusst, dass sie sich solch eine Unverschämtheit nicht gefallen lassen würde, doch dass sie tatsächlich nach so kurzer Zeit die Fassung verlor, war mir neu. Wahrscheinlich hatte sie die letzten Tage mehr Stress gehabt, als ich es jemals hätte ahnen können.

Mike war ebenso verblüfft wie ich und stand nun verloren und stillschweigend vor ihr.

»Ich lasse mir von dir nicht sagen, wo ich zu schlafen habe!«, knurrte Sam bedrohlich.

»Vor allem nicht in solch einer Lautstärke. Ich habe nichts falsch gemacht, und wenn du ein Problem damit hast, dass deine Freundin eine verfickte Nacht nicht bei dir schläft: DORT ist die Tür.«

Erwartungsvoll zeigte sie auf die Haustüre, welche den Weg nach draußen leitete. In meinem Inneren wünschte ich mir, dass er diese Wohnung verlassen würde, doch als so dumm schätzte ich ihn nicht ein, dass er eine Beziehung einfach so weg warf.

Ebenfalls verwirrten mich Sam's Worte kurzzeitig. Seine Freundin? Ich wusste, dass die zwei in einer Beziehung waren, doch ich hatte immer stark angenommen, dass sie bereits verlobt oder verheiratet waren. Schließlich war nicht gerade wenig Zeit in meiner Abwesenheit vergangen. Nun ja, Sam war schon immer ein Mensch gewesen, welcher sich ungern an einen Menschen band und dadurch gewissermaßen einschränkte, sowie teils abhängig machte. Das muss wohl der Grund sein, weshalb die zwei bisher noch kein Eheversprechen einigte.

Dies war das erste Mal, dass eine eher schlecht erscheinende Eigenschaft Sam's sich als wirklich gut erwies. Fuck nein, ich wollte ganz sicher nicht zu deren Hochzeit gehen und die erfreute Bekannte spielen, während sich meine Traumfrau mit einem Idioten traute. But okay.

Mike trat einen Schritt zurück, aus der Kaffeelaache sowie den Scherben hinaus auf einen weißen Teppich. Dort hinterließ er braune Spuren, als er sich noch weiter von Sam entfernte. Mich schienen die zwei noch immer nicht so ganz bemerkt zu haben, zu angespannt war die momentane Situation.

»Ich werde zu meinen Eltern gehen.«, spottete er mit verzogener Miene.

Sam rührte sich kein Stück, und auch aus ihrem Gesichtsausdruck war nur sehr schwer etwas heraus zu lesen.

»Mit dem ganzen Scheiß will ich nichts mehr zu tun haben. Hätte nicht gedacht, dass ich das eines Tages sagen würde, aber ich bereue es, mich auf solch eine zum Scheitern verurteilte Beziehung eingelassen zu haben. Ich hätte wissen müssen, dass du dich so schnell beeinflussen lässt, und jetzt selbst noch zu einer Schlampe mutierst.«

Ich hatte tatsächlich gedacht, der Moment wäre bereits maximal unangenehm gewesen. Aber nein, natürlich musste solch eine schmerzhafte Bemerkung folgen. Klar, dieser egoistische und protzige Mann wollte das letzte Wort haben. Wie sollte es anders auch sein. Und dieses nutze er sehr unklug.

In Sam's Ausdruck war ein unzubändigendes Feuer entfacht. Ich sah, wie sie mit ihrer eigenen Kontrolle kämpfte, um somit nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren. Ihre Muskeln verkrampften sich, aufgrund des Schmerzes, welchen ihr Mike soeben zugefügt hatte. Einige Zeit war vergangen, welche sie an seiner Seite verbracht hatte, und diese schmiss er nun ohne weiteres weg. Und das alles nur wegen mir.

Wieso war ich nur so gut darin, anderer Menschen Leben zu zerstören?

I am sorry.

Nicht wirklich.

Aber ein Funken schlechtes Gewissen suchte mich doch heim. Ich konnte es kaum mit ansehen, Sam so zerbrechen zu sehen. Zwar zeigte sie keinerlei Schmerz nach Außen, doch ihre Gefühlswelt war deutlich in ihren Augen abzulesen. Diese bluteten förmlich, und dies noch deutlicher, als sie mich nun im Türrahmen stehen sah.

★? Danke!

roses are slowly dyingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt