imaginationsdenken

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Den Blick konnte ich nur mit Mühen von ihrer Person abwenden. Auch wenn das Licht bereits erloschen war, so war es mir möglich, noch immer klare Umrisse ihrer perfekten Gesichtszüge zu erkennen. So lange ich nur konnte, versuchte ich mir dieses Bild ihrer Gestalt einzuprägen, sodass ich sie selbst noch in meinem Geiste finden würde, nachdem ich früher oder später aufgewacht wäre.

»Allie.«

Ich zuckte zusammen. Dieses Geräusch ihrer Stimme klang unfassbar nah an meinem Bewusstsein. Träumte ich denn wirklich, oder war es vielleicht möglich, dass sie sich als einsamer Schutzengel in diese Gasse meines niemals endenden Grauens begeben hatte, um mir die Schwärze zu rauben?

Ungläubig starrte ich ihre Gestalt in meiner unmittelbaren Nähe an.

Langsam richtete ich mich schließlich auf, sodass ich auf gleicher Höhe mit dem Trugbild Sams saß. Das Verlangen war groß, mich in ihre Arme zu begeben und dort nach Schutz und Zuneigung zu suchen.

Allein ihre Haut für einen kleinen Moment zu berühren, hätte mir wahrscheinlich Trost für einige Tage der Dunkelheit gespendet.

So setzte ich mich neben die Wunschvorstellung meines wundervollen Traumes, nicht damit rechnend, dass sich die folgende Berührung so real anfühlen würde.

Unsere Arme berührten sich intensiv.

Sie trug zwar eine Jacke, doch klar und deutlich konnte ich die Hitze in mir aufsteigen spüren, welche durch unsere Kleidungsstücke hindurch kroch um verächtlich an meinem Herzen zu lecken.

Sam saß still da und blickte ohne ein gewisses Ziel vor Augen zu haben in die Schatten der nächtlichen Gasse. Die Zigarette qualmte noch immer mit feurig roter Glut in ihrer Hand.

Ohne zu zögern griff ich nach ihr, um dem Verlangen ein Ende zu bereiten, und somit den Duft der Freiheit erneut in meine Lungen eindringen zu lassen. Als sich unsere Fingerspitzen berührten durchzuckte mich abermals eine vertraute Wärme, doch verzweifelt versuchte ich das Hirngespinst aus meinem Kopf zu verbannen, der Illusion meines Traumes zu verfallen.

Am liebsten hätte ich Sam's Hand gehalten, doch aufgrund meiner personellen Erniedrigung in diesem surrealen Moment, traute ich mich weder im Traum, noch hätte ich es in der reellen Welt getan, nach dieser Zweisamkeit zu streben. Dies würde ihr nur meine Verletzlichkeit offenlegen.

Als Sam's Zigarette von mir gierig aufgeraucht worden war, nachdem ich sie ihr etwas dreist einfach aus der Hand genommen hatte, bemerkte ich, dass ihre Augen mich bereits eine ganze Weile musterten.

Ich war versunken in meiner Gedankenwelt gewesen, weshalb ich diese Geste ihrerseits nicht wahrgenommen hatte.

Als ich meinen Blick an ihrem Körper entlang gleiten ließ, verweilten meine müden Augenhöhlen auf ihrer Hand, welche auf seltsame Art und Weise verschlungen mit einer zweiten Hand in meinem Schoß verweilte. Mit geweiteten Augen blickte ich Sam an, welche nun kurzzeitig schmunzeln musste.

Meine Gedanken hatten mich tatsächlich dazu getrieben, das so sehr herbei gesehnte doch gleichzeitig stark bestrittene Handeln, ihre Hand zu ergreifen, in die Wirklichkeit umzusetzen.

In diesem Moment war ich mir nicht mehr sicher, was ich glauben sollte. Klar und deutlich spürte ich die Wärme ihrer weichen Hand in meiner verweilen. Das Zittern meines Körpers war auf magische Weise verebbt und auch die Selbstzweifel rückten urplötzlich in den Hintergrund.

Konnte es denn sein, dass ich gar nicht träumte, sondern, dass Sam mit Leib und Seele neben mir saß und tröstend meine karge Hand hielt. Nie im Leben konnte ein Traum oder eine Imagination so lebendig wirken, wie es dieser Moment tat. Und noch seltsamer erschien, dass sie an meiner Seite blieb, ohne mich abzuweisen oder ihre Hand meinem Griff zu entziehen.

Diese Aneinanderreihung positiver Geschehnisse trieb mit kurze Zeit die Röte ins Gesicht, da ich gänzlich überfordert mit den momentanen Ereignissen war.

»Fuck..«, murmelte Sam, und fasste sich kurzzeitig an den Kopf. Nach kurzer Stille und meinen Überlegungen, ob ich etwas erwidern sollte, ergänzte sie ihrem Ausruf folgende Aussage.

»Deine Hand ist noch immer so weich wie damals.«

Ihren Blick neigte sie zu Boden, fast schon sehnsüchtig den alten Tagen nachtrauernd. Ein leichter Alkoholatem stieg mir in die Nase, welcher von Sam auszugehen schien. Allem Anschein nach hatte sie an diesem Abend etwas mit Freunden getrunken, und war in später Nacht hier auf mich gestoßen, das kleine Häufchen Elend am Straßenrand.

Ich blickte nachdenklich ihre perfekten Gesichtszüge an. Sicherlich war ich geschmeichelt von ihrem Kompliment, doch ebenso verwirrte mich dieses Lob ihrerseits.

War nicht sie es gewesen, welche verzweifelt nach Abstand zu mir gesucht hatte? Ich war mir außerdem unsicher, ob sie dieselbe Meinung vertreten würde, wenn sie am Morgen nüchtern in ihrem Bett aufwachen würde. Sie war wirklich angetrunken, und dies führte oftmals zu ungewollten Handlungen.

Deshalb formulierte ich meine Erwiderung auf sachlicher Ebene, ohne mir anmerken zu lassen, dass die Glückshormone in meinem Körper gerade Achterbahn fuhren.

»Hrm, das wäre dann wohl das einzige, welches ansatzweise gleich geblieben ist.«

Stille.

Dann folgt die Antwort Sam's auf meine doch recht verwirrend gewählten Worte.

»Blablabla, du hast dich verändert, ist klar. Aber hast du einen Moment mal an mich gedacht?«

»So oft ich nur konnte.«

Ich durchschnitt die Luft sowie ihre Worte mit meiner Antwort, über die ich nicht lange nachdenken musste.

Abermals folgte ein Moment der Stille, obwohl Sam noch nicht fertig mit ihrer Predigt gewesen war.

Anscheinend wollte sie das Thema an diesem Abend und in dieser Umgebung sowie Situation nicht weiter vertiefen, denn sie ließ meine Hand los, was mir im Geiste einen Teil meiner Seele raubte und die Stimmen verzweifelt nach ihrer Nähe schreien ließen, stand auf und blickte mich von oben herab an.

»Hier kannst du nicht bleiben. Komm schnell mit, bevor ich es mir anders überlege.«

Daraufhin lief sie los, ohne jegliche Anstalten zu machen, auf mich zu warten. Eilig packte ich mein kleines Nachtlager in Windeseile zusammen und folgte ihr.

Dieses Angebot auf einen sicheren Unterschlupf ließ ich mir nicht entgehen. Doch ob es wirklich so eine gute Idee war, mit Sam diesen Ort zu teilen, wusste ich nicht genau.

Wahrscheinlich wäre ich sicherer bei einem Drogenboss gewesen, denn Sam war unberechenbar, und unsere zwischenmenschliche Beziehung die gesamte Zeit schon maximal toxic. Yay.

★? Danke!

roses are slowly dyingWhere stories live. Discover now