eins.

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Seokjin.

Es regnet.

Gedankenverloren blickte ich durch die Panoramafenster nach draußen. Es war stockfinster, nur das Licht der Lampen in dem Café, in dem ich mich gerade befand, und das der Laternen draußen erleuchtete die Straße, die von dicken Regentropfen heimgesucht wurde. Laut klopften sie gegen die Scheiben und liefen in unwillkürlichen Bahnen hinab, bis sie sich mit weiteren Spuren verbanden oder ganz unten angekommen waren.

Ich liebte Regen. Es hatte immer etwas Gemütliches, wenn man drinnen saß, eingekuschelt unter einer dicken Decke und einer heißen Tasse Kakao, und der Musik des Regens lauschte. Zwar müsste ich, da ich keinen Führerschein und somit auch kein Auto besaß, gleich zu Fuß nach Hause gehen und würde dabei sicherlich von allen Seiten komplett durchnässt werden, doch das störte mich nicht. Umso erfrischender wäre die warme Dusche in meiner kleinen Wohnung, die ich mir nach dem langen Arbeitstag mehr als verdient hätte.

Zurzeit war ich, abgesehen von meinem Kollegen und guten Freund, Taehyung, der in diesem Moment die Küche saubermachen musste, der Einzige in dem kleinen Café und kümmerte mich darum, die Tassen und Gläser aus dem letzten Spülgang des Tages in die Schränke einzuräumen. Zuvor hatte ich bereits die Tische gewischt und die Stühle herangeschoben. Nicht mehr lange, dann würde ich auch mit dem Einordnen fertig sein und könnte mich nach Hause begeben.

Ich arbeitete hier, seit ich sechzehn Jahre alt war. Das war mittlerweile etwas mehr als fünf Jahre her und manchmal erschreckte es mich, dass dieser so ereignisreiche Tag inzwischen so weit zurücklag.

Es war aus reiner Not gewesen, dass ich hier angefangen hatte, doch ich könnte nicht dankbarer sein, diesen Ort, der für mich ein zweites Zuhause geworden war, gefunden zu haben.

Ich erinnerte mich nicht gerne an den Tag vor fünf Jahren zurück. An dem Abend zuvor hatte ich mit ein paar "Freunden" Drogen genommen, keine Ahnung, was, sie hatten sich irgendeinen Scheiß reingepfiffen und ich hatte aus Gruppenzwang mitgemacht. Dieser eine dumme Fehler kostete mir das Leben, denn seit ich auf der Welt war, hatte ich mit einem Herzfehler zu kämpfen.

In meiner Kindheit hatte ich mehrere Operationen durchführen müssen, monatelang hatte ich in der Reha gehockt, nur um letztendlich gesagt zu bekommen, dass ich ohne Spenderherz niemals älter als fünfundzwanzig werden würde. Tja, und dadurch, dass ich ein einziges Mal Drogen genommen hatte und wir dabei auch noch von der Polizei erwischt worden waren, war ich auf der Liste der Empfänger ganz weit nach unten gerutscht und meine Chancen, ein Herz zu bekommen, lagen seitdem bei Null.

Meine Eltern waren entsetzt und unglaublich enttäuscht von mir gewesen, aber, ehrlich gesagt, ich war mir sicher, dass sie nur auf den Tag gewartet hatten, an dem sie endlich einen Grund haben würden, mich von Zuhause rauszuschmeißen.

Konnte man es ihnen verübeln? Vermutlich, ja. Andererseits, welches Elternteil glaubte schon ernsthaft daran, dass man ein Kind mit irgendeiner schweren Krankheit bekommen würde? Und dann war es da, nicht das Kind, das man sich immer gewünscht hatte. Mit dem man nicht spielen konnte, weil es bei zu viel Bewegung umkippen würde, mit dem man in der Freizeit nicht irgendwohin fahren konnte, weil immer irgendwelche ärztlichen Termine im Weg ständen, mit dem man nicht vor den anderen Eltern angeben konnte, weil es nichts weiter war, als ein Mensch, der bloß lebte, um zu sterben.

Was hatte ich meinen Eltern schon geben können, außer Arztrechnungen und vergeudete Zeit? Gar nichts. Und so war es auch kein Wunder, dass sie sich seit meinem Rauswurf nicht einmal bei mir gemeldet hatten. Wofür auch? Ich hatte eine jüngere Schwester, die kerngesund war, wunderschön und die Beste in der Schule, das perfekte Kind. Da geriet der todkranke Erstgeborene gerne mal in Vergessenheit.

𝐑𝐄𝐌𝐈𝐍𝐈𝐒𝐂𝐄𝐍𝐂𝐄 | NAMJINWhere stories live. Discover now