Kein Date

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Ein wenig unschlüssig starre ich auf den bislang eher kurzen Gesprächsverlauf auf meinem Handy. Die meisten Nachrichten gingen noch in der Dating-App hin und her, hier aber steht noch nicht viel.

Ich bin ja wirklich gewillt, ihm ohne Umschweife von meiner Begegnung mit seinem besten Freund zu berichten. Aber wie, ohne ihn zu verunsichern? Lange genug lenke ich mich damit ab, endlich ein paar Fotos in der Wohnung aufzuhängen, bevor ich mich zwinge, mich wieder mit dem Gedanken zu befassen.
So schüchtern wie er ist, wird er das sicher als Anlass nehmen, sich zurückzuziehen. Er wollte nicht, dass ich etwas über ihn weiß, ehe wir einander begegnen, schon das Foto hat ihn Überwindung gekostet. Was bedeutet es für ihn, dass ich eine wichtige Person aus seinem Leben getroffen habe? Vielleicht eine der wichtigsten? Und mache ich mir diese Sorgen bloß, weil ich finde, dass seine Verunsicherung  berechtigt wäre?

Ich erinnere mich an den Moment in der Wiese, meine Finger an Janniks Unterarm. Die Berührung war mir fast unbeabsichtigt unterlaufen, aber unbemerkt geblieben ist sie nicht. Die weiche Haut, der intensive Blick.  Eigentlich bin doch ich der, der verunsichert ist wegen der Begegnung. Wegen der Gedanken, die mich schon seit davor beschäftigen. Meine beschämende Eskapade mit einem gewissen Foto.

Nur die Erinnerung an meine Erkenntnis - dass das für Jannik ganz sicher nichts Besonderes ist - beruhigt mich ein wenig. Denn ganz egal, ob und wie sehr ich mich körperlich zu ihm hingezogen fühle, ist das bloß ein Hauch gegen die Gefühle, die auf einer stabilen Grundlage für Moritz entstehen könnten. Die im Keim schon in mir verwurzelt sind. Unsere Begegnung wird entscheiden, ob sie Früchte tragen oder eingehen.

Was es für Zufälle gibt. Gerade bin ich deinem Jannik im Wald begegnet.

Ich lösche die Nachricht, bevor ich sie absende. Selbst ich kann meine Nervosität herauslesen. Ich tippe noch einige weitere Versuche,  doch keiner erscheint mir beiläufig aber sensibel genug. Und dann kommt mir Moritz unerwartet zuvor.

Ich wollte dir gerade schreiben, aber mein Handy zeigt an, dass du tippst. Ich dachte, ich warte, aber es kommt nichts. Muss ich mich auf eine lange Nachricht gefasst machen?

Erleichtert gehe ich auf die Möglichkeit ein, ehrlich zu sein.

Ein Glück, dass du schreibst! Ich habe überlegt, wie ich beiläufig erwähne, dass ich Jannik heute verletzt im Wald gefunden habe.

War doch gar nicht so schwer ;)

Wow. Ich hätte gedacht, das zieht ein Gespräch nach sich.

Was für ein Gespräch? Du kannst doch nichts dafür, wenn sich zufällig eure Wege kreuzen, oder doch?

Keine Absicht, versprochen!

Aber kann ich dich was fragen?

Jetzt mache ich mir Sorgen! Aber wenn ich nein sage, quält mich die Neugier, was die Frage gewesen wäre. Also los!

Ich atme tief durch und überlasse dann meinen Fingern die Kontrolle über die Buchstaben. Er scheint sich an der Begegnung nicht wirklich zu stören und auch nicht überrascht zu sein - ob Jannik ihm doch schon davon berichtet hat? - aber das ist kein Freifahrtschein, alle Hemmungen sozialer Konventionen über Bord zu werfen. Die eigentliche Frage verstecke ich hinter einer harmlosen, hoffe, dass er es irgendwie versteht oder mir mit der Antwort zumindest Hinweise liefert.

Wieso geht ihr nicht zusammen laufen?

Das ist die Frage, die Vorlauf brauchte? Sonst bist du direkter ;)
Ich habe beim Laufen gerne meine Ruhe, dann können sich meine Gedanken lautstark entfalten. Manchmal laufen wir zusammen, aber er ist nicht so  der Frühaufsteher und ich bin gerne in den Morgenstunden unterwegs.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWhere stories live. Discover now