Süßkartoffel

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Nachdem ich ohne das angebotene Frühstück am Sonntagmorgen aufgebrochen und auf direktem Weg zu Sandra marschiert bin, habe ich nichts mehr von Moritz oder Jannik gehört.

Natürlich nicht, denn nach der Abfuhr bin ich wohl an der Reihe, mich bei Moritz zu melden und mit Jannik habe ich nie Nummern getauscht.
Ich weiß, dass ich die Situation irgendwie geradebiegen muss. Zumindest Moritz gegenüber sollte ich ehrlich sein - bezüglich der Aspekte, die ihn direkt betreffen: Dass ich ihn mag, aber nicht mit ihm zusammensein möchte. Was mit Jannik vorgefallen ist - die Dinge in meinem Kopf und das Ding nach dem Aufwachen -, würde ich nicht erwähnen.

Dennoch kann ich mich nicht dazu aufraffen, mich wieder bei ihm zu melden. Ich müsste ja nur einen Termin festsetzen, auf das Gespräch vorbereiten könnte ich mich dann immer noch, doch selbst dazu fehlt mir die Kraft. Irgendwie will ich ihn noch nicht gehen lassen, denn ich weiß, dann muss ich mich auch von der Phantasie verabschieden. Von dem perfekten Mo, wie er in meinem Kopf war, bevor ich ihm begegnet bin.

Also habe ich die Nachricht auf Montag verschoben und schließlich immer weiter vertagt. Es ist bereits Donnerstag, abgelenkt habe ich mich mit der Arbeit und exzessivem Training direkt nach Feierabend. Ich habe mir mehr Zeit fürs Kochen genommen, bin früher schlafen gegangen. Habe endlich die Fußleisten in der Küche angebracht, die seit einem halben Jahr auf die Montur warten. Eigentlich eine gesunde Tagesplanung, wäre da nicht die rigorose Abschottung von sozialen Kontakten.

Mir war schon früh klar, dass ich nicht der geselligste Mensch bin, aber erst jetzt wird mir bewusst, dass ich außer meinen Kollegen, meiner Familie und gelegentlichen Treffen mit einer gewissen Nachbarin kaum andere Leute treffe. Dabei habe ich kein Problem, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, verstehe mich mit den meisten Personen gut und streite mich selten. Aber irgendwie hatte ich nie ein großes Bedürfnis nach mehr sozialem Austausch. Oder zumindest nicht nach dem Austausch, den der Durchschnitts-Sozialkontakt mir bieten würde. Ich diskutiere gerne über ein gutes Buch, und das fehlt mir gewissermaßen ab und zu, aber noch lieber sitze ich in meinem Wohnzimmer und lese besagte gute Bücher. Denn der Austausch, der mir bisher geboten wurde, hat mich bislang immer enttäuscht. So wie Markus, der am Ende doch nicht auf tiefsinnige Gespräche aus war, sondern nur auf Sex.

Dieses Mal bekommt mir die Isolation nicht. Auch meine Familie meide ich - sie würden ja doch nur wieder nach meinem Liebesleben fragen und Sandra weiß ganz einfach zu viel. Sie würde mit kritisch erhobener Augenbraue ganz explizit nicht danach fragen, weshalb ich noch keinen reinen Tisch mit den beiden Jungs gemacht habe. Und dieser Gesichtsausdruck setzt mich schon in meiner Vorstellung ausreichend unter Druck.

Ich sortiere meine Zutaten auf der Anrichte: Die Lasagneblätter ganz nach hinten, denn zuerst sind die Soßen an der Reihe. Das Gericht dauert schön lange und in der Zeit, in der es im Ofen backt, kann ich ausgiebig duschen gehen, und schon ist der Abend fast geschafft. Es ist eine abgewandelte Lasagne, statt der Bolognese eine Gemüsesose mit Spinat und Süßkartoffeln. Nicht ganz saisonal, aber eines meiner liebsten Gerichte.
Den frischen Spinat brauche ich auch erst später, dennoch hole ich ihn schon hervor und brause ihn unter lauwarmem Wasser ab. Irgendwie lässt Spinat mich an Mo denken. Es ist irgendeine abstruse, nicht ganz bewusste Gedankenkette, die mich dazu bringt, wieder einmal sein Gesicht - ich bemerke schon kaum noch, dass es nicht wirklich seines ist - vor mir zu sehen und mein Handy hervorzuholen. Es wird Zeit.

Können wir uns sehen? Ich würde gerne mit dir reden.

Mit zitternden Fingern schicke ich die mehr als deutliche Nachricht ab und lege das Gerät weit von mir weg. Ich will nicht die ganze Zeit prüfend darauf starren, um zu sehen, ob er geantwortet hat. Schon als ich die Mehlschwitze ansetze, erklingt allerdings der Nachrichtenton und ich werde doch abgelenkt.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWhere stories live. Discover now