Pampelmuse

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"Was..." Seine erhobene Hand unterbricht mich. Ich bin überrascht. Obwohl er derjenige ist, der mir doch ständig durch den Kopf geht, hätte ich eher mit einem völlig Fremden vor meiner Tür gerechnet. Seit dem Kinobesuch haben wir einander nicht gesehen und kaum miteinander geschrieben. Ich habe ihm den Kuss mit seinem besten Freund gestanden, er hat mir viel zu schnell verziehen, und dann stand etwas anderes im Raum. In dem Moment kam es mir so richtig vor, ihm Sex in Ausblick zu stellen, als hänge es nur davon ab, ob er bereit sei.

"Bitte lass mich kurz ausreden, ja?" Moritz sieht ernst aus, dennoch verschwinden seine Lachfältchen nicht aus den Augenwinkeln, verheißen noch immer etwas Schalkhaftes. Ernst steht ihm nicht besonders, es passt nicht zu seinem Gesicht. Er sollte die Dinge auf die leichte Schulter nehmen, lachen, komplizierte Situationen mit einem Scherz ausbügeln. Aber als er weiterspricht, wird mir klar, dass er wegen mir so ernst schaut. Um mir zu zeigen, dass er es ehrlich meint.

"Ich habe dich im Kino nicht genug beachtet und dann haben wir kaum noch Kontakt gehabt. Das tut mir leid. Ich weiß nicht so richtig, wie ich mit dir umgehen soll, wenn wir uns sehen." Ich muss lächeln über seinen erneuten Versuch einer Entschuldigung und darüber, dass er dafür extra hergekommen ist. Außerdem geht es mir ja genauso. "Es ist irgendwie viel leichter, zu schreiben, wenn man sich nicht sieht.", stimme ich ihm zu und er nickt abwesend, offenbar ganz konzentriert auf das, was er sich noch zu sagen vorgenommen hat.

"Das würde ich gerne wieder gut machen. Ich habe was gekocht und wir haben das Haus für uns alleine heute. Gibst du mir eine Chance?"

Mein Lächeln wird breiter. "Du kochst?" Ich finde mich dabei wieder, wie ich bereits in meine Schuhe schlüpfe und den Wohnungsschlüssel von der Kommode im Flur nehme. Ist das zu spontan? Ist der Herd ausgeschaltet? Ohne weiter darüber nachzudenken folge ich ihm ins Treppenhaus und schließe hinter mir ab. "Zum ersten Mal heute.", lacht er, klingt nervös dabei. "Was gibt es denn?" Er nimmt die ersten Treppenstufen hinab, sodass ich ihm folgend sein Gesicht nicht sehen kann. "Spaghetti mit Tomatensose?", murmelt er. Ein Grinsen spannt auf meinen Wangen. Um ganz ehrlich zu sein, ist es mir egal, was er gekocht hat. Alleine die Mühe, die er sich macht, extra für mich, ist es Wert, mit ihm zu gehen.

Wir weichen an die Seite aus, als uns von unten klackernde Schritte entgegen kommen. "Hey, Mo." Emilia erscheint im Blickfeld, zwinkert dem blonden jungen Mann zu, der vor mir stehen geblieben ist, um ihr Platz zu machen. Ist das ihr Ernst? Flirtet sie mit ihm, nachdem sie ihn sich schon bei unserem ersten Date unter den Nagel gerissen hat? Ich weiß ja, dass sie nichts anbrennen lässt, aber ein wenig Anstand hätte ich ihr doch zugetraut.

Moritz überrascht mich erneut innerhalb kurzer Zeit, als er seine Finger demonstrativ mit meinen verflicht. "Hallo Emilia.", grüßt er freundlich zurück, dann zieht er mich weiter, bevor sie ihn in ein Gespräch verwickeln kann.

"Ich hoffe, die Nudeln sind nicht zu kalt." Wieder schlägt mir dieser Duft entgegen, als er mich eintreten lässt. Zuerst muss ich dieses Mal an Jannik denken. Jannik auf der Lichtung im Wald zwischen den wildwuchernden Blüten. Jannik unter der Linde. Jannik neben mir im Park. Moritz geht an mir vorbei in den Wohnraum und zieht mir galant einen Stuhl zurück, was mich auflachen lässt. Ich kenne diese Gesten noch von Markus und fühle mich nicht gänzlich wohl dabei, aber Moritz hat sich wirklich Mühe gegeben mit dem, was er geplant hat, und so lasse ich ihn gewähren.

Mit einer Entschuldigung verschwindet er durch eine Tür, lässt Geklapper und leises Fluchen erklingen. Es rauscht, als würde er Wasser abgießen. Hatte er die Nudeln bis eben im Topf?
Schmunzelnd trete ich zu ihm in die Küche und beobachte ihn dabei, wie er die sich windenden Spaghetti mit der Nudelzange einzufangen versucht. "Kann ich helfen?" Moritz zuckt zusammen, starrt mich einen Augenblick nur an, bis er mir auffordernd das Greifwerkzeug hinhält. Mit zwei Bewegungen sind die Nudeln auf die Teller verteilt, ein kleiner Schwung vorm Loslassen und sie liegen leicht eingedreht da. Automatisch verschaffe ich mir einen Überblick, greife auch nach dem Kochlöffel, der bis eben in der Sose stand, und koste die rötliche, leicht pampig gewordene Flüssigkeit. Lieber so als zu dünn, denke ich, schaue mich nach Gewürzen um. "Oregano?" Eilig zieht Moritz eine Schublade auf und sucht einen Moment. "Ich mache immer gerne ein bisschen Zimt dran, aber das muss man mögen.", verrate ich ihm meinen Geheimtipp. Er nimmt das Gewürzdöschen wieder entgegen und hält mir auch den Zimt hin, vertraut mir.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWhere stories live. Discover now