Aus den Gedanken eines Fremden (5)

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Mein Herz klopft aufdringlich gegen meinen Kehlkopf. Irgendwie hat es den Weg aus meiner Brust gefunden, um wie ein heliumgefüllter Ballon aufzusteigen. Etwas in meinem Hals versperrt ihm den Weg. Ich versuche, es herunter zu schlucken, aber es lässt sich kaum beirren, wird kurz herunter gedrückt und schnellt dann wieder empor, als versuche ich, es unter Wasser zu tunken.

Ich werde es tun.
Es ist nicht der passende Moment, aber ich kann mich nicht davon abhalten. Schon bevor wir uns zum ersten Mal begegnet sind, wusste ich, dass ich ihm nah sein will. Und seit ich ihn gesehen habe, will ich das hier tun. Ohne einen Plan besteht dieser Moment bereits seit einigen Tagen in meinen Gedanken. Immer wieder läuft er in meiner Vorstellung ab. Was ich tun werde, wie er reagieren könnte. Was mache ich mit meinen Händen, meinen Lippen? Was sage ich, wenn er sich wundert?

Ist das also spontan, wenn zwar erst in dem konkreten Moment, gerade jetzt, in mir die Dringlichkeit hochkocht, aber die Ausführung von langer Hand geplant ist? Bin ich in der Lage, intuitiv zu reagieren, wenn ich doch alle möglichen Erwiderungen seinerseits bereits im Voraus durchdacht habe?

Natürlich kann ich nicht darauf gefasst sein. Darauf, dass es sich so anfühlt.

In meiner Vorstellung war es schön, süß und süchtig machend. Weiche Lippen, ein sachtes Streicheln, eine neckende Zunge. Aber da ist so viel mehr: Sein Geruch, das Prickeln seiner Haut an meiner, wo immer er mich berührt, und wenn es nur seine Fingerspitzen an meiner Seite sind, durch den Stoff meines Oberteils hindurch. Der Klang seines aus dem Takt geratenen Atems, das Wissen, dass ich das verursacht habe. Der Wunsch, nie wieder hiermit aufzuhören.

Auch noch in den Momenten danach klopft mein Herz viel zu laut, und gar nicht da, wo es hingehört. Als habe es seinen eigenen Kopf. Oder vielleicht ist es gerade das Kopflose, das es mich so schwer verstehen lässt.

Jonathan sagt irgendetwas, aber es dringt nicht gleich zu mir durch. Mein Herz ist zu laut. Die Erinnerung an das Gefühl an sämtlichen Stellen meines Körpers klingelt und kribbelt ohrenbetäubend.

Fühlt sich jeder Kuss so an? Oder nur der Erste?

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWhere stories live. Discover now