Lügen

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"Wer von euch beiden hat mir die Nachrichten geschrieben?" Misstrauisch über Moritz plötzlichen Mut, mit mir zu flirten, muss ich jetzt einfach nachfragen.

Er senkt den Blick auf seine Schuhe. "Das war ich." Ein wenig erleichtert hake ich trotzdem weiter nach. "Alle?" Er scheint zu wissen, auf welche ich anspiele, denn erneut strömt vermehrt Blut in seine Wangen. Er nickt, führt seine Hände vor dem Körper zusammen und beginnt, mit den Fingern der linken am Nagelbett des rechten Zeigefingers zu kratzen. "Tut... Tut mir leid, dass ich die Situation ausgenutzt habe.", platzt er heraus.

Ich lache überrascht auf. Denn er kann ja nicht wissen, dass ich ihm nicht böse bin, nicht dafür. Denn im gleichen Moment habe ich an ihn gedacht. Wie ironisch, dass er tatsächlich auf der anderen Seite saß. Und dann: Will er sich wirklich dafür entschuldigen? Was ist mit dem ganzen Rest?

Moritz hebt verwundert den Blick, betrachtet mich neugierig. Mit meiner freudlosen Reaktion kann er nichts anfangen. Mir stellt sich zunehmend die Frage, wie dieser arglose, viel zu liebe Junge mich so hat betrügen können. Wie hat er das ausgehalten?

"Ich hab'..." Eilig hat er den Satz begonnen, wie um mir bei einer möglichen Äußerung zuvorzukommen, doch dann unterbricht er sich selbst, überdenkt wohl noch einmal seine Herangehensweise an dieses Geständnis. "Ich habe nur in dieser einen Sache gelogen.", flüstert er schließlich. "Als ich gesagt habe, ich sei Jannik und er sei ich. Alles andere war die Wahrheit."

Verwundert schüttele ich den Kopf. "Du hast gesagt, du studierst Maschinenbau." Er nickt. "Ja, das gehörte dazu, Jannik zu sein. Genauso, wie ich Anja und Robert meine Eltern genannt habe." Ich erinnere mich an die freundliche Begegnung und bin umso verwunderter, dass die beiden mitgespielt haben. "Wissen sie hiervon?" Er wiegt unschlüssig den Kopf hin und her. "Als ich dich bei Rosie gesehen habe, habe ich sie darum gebeten, mich nicht beim Namen zu nennen. Sie wissen nicht wieso und haben nicht danach gefragt. Sie vertrauen mir."

"Sie lieben dich.", setze ich nach, was ich aus seinen Erzählungen herausgehört habe. Er lächelt zaghaft und nickt. "Ich weiß."

"Du hast noch mehr Sachen gesagt, die nicht wahr sind, oder?" Irgendwie traue ich mich noch nicht, ihm zu glauben. Denn wenn ich das tue, dann bedeutet das, dass ich wirklich Mo vor mir habe, genau den zusammenphantasierten Mo, von dem ich fast von Beginn an überzeugt war, dass es ihn nicht gibt. Die Traumphantasie eines Mannes, wegen der ich ein so schlechtes Gewissen hatte, dass ich den Kontakt zu ihm abbrechen wollte. Ich habe das nicht verdient, dass es ihn gibt.

Langsam schwenkt sein Kopf hin und her. "Nein, ich..." Er stockt, überlegt krampfhaft. "Ich habe ein paar Dinge bewusst so formuliert, dass du etwas denkst, das nicht wahr ist. Aber ich habe nicht gelogen." Ich runzle missmutig die Stirn, presse die Lippen aufeinander. Natürlich lügt man so wenig wie möglich, wenn man jemanden hereinlegt, man manipuliert ihn stattdessen. Wieso mache ich mir denn immer noch Hoffnungen, dass das hier nicht so schlimm und verquer ist, wie es mir zu Beginn ganz deutlich erschienen ist? Wieso glaube ich immer noch, ich könne ihn haben? So, wie er in meiner Vorstellung war.

"Zum Beispiel?", fordere ich eine Erklärung ein. Moritz schluckt. "Als... Als du Jannik in der Bar begegnet bist und er gesagt hat, Jannik habe ihm das Shampoo besorgt, da hatte ich ihm das Shampoo besorgt. Und du hast mir geschrieben, gefragt, ob das wohl Absicht von Jannik gewesen sei, damit du Moritz nicht riechen könnest. Und ich habe geantwortet, dass sowas durchaus nach Jannik klingt." Ich erinnere mich genau daran. Nun wundert es mich nicht mehr, dass mir bei dem Kuss so mulmig war. Es war eben nicht Mo und es fiel meinem ganzen Körper schwer, sich das dennoch einzureden. "Und das war nicht gelogen, weil Jannik sowas ganz bestimmt machen würde. Aber in Wahrheit habe ich ja das Kokosshampoo besorgt, damit du ihm nicht zu nah kommen willst. Weil ich dich für mich wollte."

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt