Emilia

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Zwei Tage später kommt die Sprache wieder auf das anstehende Kino-Date.

Ich habe jemanden gefunden, sie kommt mit ins Kino, wie besprochen ;)

Ähm... Wen denn?

Na die Überraschung für Jannik, damit er sich nicht wie das fünfte Rad am Wagen fühlt.

Achso.

Soll ich ihr wieder absagen? Ich meine, du hattest die Idee, aber wenn du lieber zu dritt gehen magst, oder zu zweit, ist das ok.

Nein, ist schon in Ordnung. Ich hoffe nur, er kennt sie noch nicht...

Oho! Du klingst, als hätte er schon mit der Hälfte aller Frauen in dieser Stadt geschlafen!

Ich habe Jannik vor Augen, den schönen, charmanten Jannik, der erst vor zwei Tagen in meiner Vorstellung meinen Körper erkundet hat. Jannik, bei dem Mo offensichtlich Sorge hat, er könne mich für sich beanspruchen.
Aber müsste dann das Date für seinen besten Freund nicht eine gute Idee sein, um deutlich zu machen, dass ich vor Allem ihn näher kennenlernen will?

Ich würde es auf ein gewisses Alter eingrenzen, bevor ich Behauptungen über den Anteil aufstelle.

Aber du übertreibst nur.

Ich weiß nicht, wie viele Frauen in unserem Alter leben in dieser Stadt? Das ist doch nicht schlimm, solange die wissen, woran sie sind.

Nicht schlimm? Ich schlucke. Wieso finde ich das schlimm? Offensichtlich geht es mir nicht um die Frauen, die er mit nach Hause nimmt. Ist es, weil die Vorstellung das Bild kaputt macht von dem Jannik, den ich kennengelernt habe, den ich beim Lesen mit Moritz Nachrichten verknüpfe? Noch immer - und noch mehr seit der Nacht auf den Montag, als zum ersten Mal diese Sache passiert ist...
Oder liegt es daran, dass es mich stört, wie Moritz über ihn schreibt, wie ich seine unterschwellige Verachtung herauszulesen meine?

Dann müssen wir uns wohl überraschen lassen!

Und das tun wir. Emilia war leicht zu überreden. Mit ihrer offenen, neugierigen Art lässt sie sich gerne auf Begegnungen mit fremden Menschen ein. Der Aspekt, dass sie nicht auf der Suche nach einer Partnerschaft ist, sondern dieses Date für sie lediglich ein lustiger Abend zum Flirten zu werden verspricht, tut sein übriges. In einem knappen, weit ausgeschnittenen Sommerkleid lehnt sie lasziv an der Außenverkleidung des Gebäudes, spielt am Gurt ihrer winzigen Handtasche herum, der quer über ihr üppiges Dekolleté verläuft.

„Also, wie sieht er aus?" Natürlich war sie neugierig, doch sie hat von sich aus darauf bestanden, dass das ein Geheimnis bleibt, bis wir den beiden begegnen. Das passte mit meiner Sorge, dass sie Jannik bereits begegnet sein könnte, ganz gut zusammen: So würde sie nicht im Vorhinein deswegen absagen.
Ich ziehe mein Handy hervor, lese die kurze Nachricht, dass die beiden gleich aus der Bahn steigen und bei uns sein werden, und öffne für Emilia das Foto von den beiden.

„Hmm, lecker.", verkündet sie und lacht auf. „Aber welcher von beiden ist für mich?"
Ich schüttele den Kopf darüber, dass sie klingt, als spreche sie über eine Dessertauswahl, steige allerdings in ihr Lachen mit ein.
„Naja, ein bisschen Überraschung lasse ich dir. Einer von beiden ist schwul, das findest du schon heraus. Damit hast du ja Erfahrung." Kichernd boxt sie mich auf den Oberarm, erinnert sich genau wie ich daran, wie sie mit allen Kräften versucht hat, mit mir zu flirten, bis sie mir geglaubt hat, dass ich nicht an Frauen interessiert bin.

„Hey, entschuldigt die Verspätung, die Bahn war so proppenvoll." Überrascht lasse ich mich von Moritz in eine Umarmung ziehen, der sich kurz darauf schon Emilia zuwendet. „Und du musst die Überraschung sein. Du hast nicht zu viel versprochen, Jonathan." Kurz gleitet sein Blick an ihr hinab und wieder empor zu ihrem Gesicht. Emilia kichert über das, was den meisten anderen Frauen wohl unangenehm wäre.
Moritz sieht gut aus, ganz lässig mit heller, zerschlissener Jeans und rot kariertem Hemd, unter dem seine Oberarmmuskeln deutlich werden. Eigentlich ist er ein richtiger Hingucker.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWhere stories live. Discover now