Unter dem Bett

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Im Nachhinein fällt es mir schwer, zu rekonstruieren, wie lange der Moment war, in dem wir beide die kleine Zeichnung auf seinem rechten Hüftknochen betrachtet haben. Oder was mir dabei durch den Kopf ging. Nur, dass es ein im ganzen Körper kitzelndes Glücksgefühl durch meine Adern geschickt hat, was ich gesehen habe.

Alles, was ich jetzt noch weiß, ist Moritz Körper über meinem. Ich habe ihn mit mir aufs Bett gezogen und er hat mich gewähren lassen. Bei der Berührung seiner nackten Haut an meiner, waren meine unteren Regionen bereits wieder funktionsfähig, nun genießen sie die sanfte Reibung, mit der Mo sein Becken gegen meines rollt. Immer wieder rutscht die Unterseite seines Glieds über meines, reibt die kleine Erhebung seiner Eichel über meine Spitze, bleibt an selbiger Stelle in meiner Anatomie kurz hängen, um sich dann darüber hinweg zu heben.

Wange an Wange hat er sein Gesicht vor mir verborgen, sein Keuchen gleitet an meinem Ohr vorbei. Seine Hände sind tatenlos neben meinem Oberkörper aufgestützt, während sein unterer Leib die ganze Arbeit verrichtet und meine Finger orientierungslos über seinen Rücken taumeln. Ich war schon erregt vom Anblick seines nackten Körpers, doch die Entdeckung des fünften Bildes auf seiner Haut hat ihr übriges getan. Es ist noch ganz frisch und es sagt so viel mehr, als Worte es hergeben könnten.

Deswegen ist es nicht nur sein Körper oder die Aussicht auf das, was noch alles geschehen könnte, die mir dieses pastellig weiche Gefühl im Inneren bescheren. Es ist die Tatsache, dass ich ihn in meinen Armen halte, Mo. Und dass ich es gar nicht mehr übers Herz bringen würde, ihn wegzuschicken, ihn nicht mehr wiederzusehen. Ganz egal, was er mir über die Lüge noch offenbart. Denn es kann keine böse Absicht dahinter stecken. Nicht bei ihm, das ist einfach nicht möglich.

Obwohl das hier erst der Anfang ist, jede Berührung noch neu und ungekannt mit ihm, fühlt es sich wie Erinnern an. Als sei ich schon einmal hier gewesen, in einer vielfach traumwandlerisch antizipierten Zukunft, in meinen als irrational abgetanen Hoffnungen auf jemanden, mit dem ich glücklich und ich sein kann. Es ist leicht, ihm durch die Haare zu streicheln und sein Gesicht zu lotsen, sodass ich ihn ansehen kann. Es ist leicht, ihn wieder zu küssen und mir auszumalen, es mein Leben lang zu tun.

Ein feines Zittern geht durch seine Glieder, versetzt meinen Körper in eine geringfügige Schwingung. "Jonathan." Ich lächle ihm entgegen, er unterbricht die Reibung zwischen unseren Leibern, schaut mich mit festem Blick an. "Bitte, mach irgendwas."

Kaum, dass seine Worte meinen inneren Motor anknipsen, drehe ich uns schwungvoll herum, lasse mich vorsichtig auf seiner Hüfte nieder und lehne mich vor zur Nachttischschublade. Seine Lippen umfangen meine Brustwarze zielgenau, als mein Oberkörper über ihm schwebt, meine Hand in dem Holzkästchen herumsucht. Sie kriegt ein kleines foliertes Päckchen mit scharfen Kanten zu fassen und eine Tube, die noch versucht, kullernd zu entkommen. Beides landet auf der Bettdecke neben uns, gespannt verfolgt von Mos Blick. Schmunzelnd beuge ich mich herab, will den Abstand zwischen unseren Lippen nicht zu lange aushalten müssen, als ich etwas in seinen Augen entdecke.

Er hat Angst. Oder vielleicht ist es keine Angst, die ihm ins Gesicht geschrieben steht, nur ein wenig Respekt oder Unsicherheit, aber es genügt, um mich daran zu erinnern, dass das alles hier für ihn neu ist. Dass er das noch nie erlebt hat.

Ich schwinge mich von seinem Schoß und bleibe mit vor meiner dringlich pochenden Mitte aufgestellten Beinen an die Wand gelehnt sitzen. "Was-?" Seine schönen Augen weiten sich noch stärker, die Unsicherheit wächst. "Willst du nicht...?" Ich schüttele den Kopf, presse die Lippen zusammen. Doch, natürlich will ich. Aber doch nicht so. Ich kann ihn nicht einfach dieser Erfahrung berauben, im Moment der Ungewissheit, was danach folgen wird. Wir sind kein Paar und bis vor ein paar Stunden wusste ich nicht einmal, welcher sein Name ist. Es ist nicht der richtige Augenblick, egal, wie sehr unsere Körper davon auch überzeugt sein mögen.

Mo schluckt, dann rollt er sich vom Bett und sammelt ein paar Klammotten zusammen. Den Rücken zu mir gedreht zieht er dunklen Stoff über seine Schenkel empor, vergönnt mir nicht noch einmal den Blick auf die Liebeserklärung an seinem Hüftknochen. Als nächstes folgt ein Shirt, das ebenso elegant über seine Arme und den Kopf gleitet, wie beim Ausziehen. Hastig suchend schaut er sich um. Ich kann ihn nur beobachten und weiß nicht, was ich sagen soll. Dass er sich nicht anziehen muss? Immerhin ist es vermutlich das Beste, damit wir einen klaren Kopf bewahren. "Mo..." Nur sein Name kommt mir über die Lippen.

Als er zu mir herumfährt, trifft mich ein stechender Blick. Schon sucht er weiter nach seiner Kleidung, findet zwei verschiedenfarbige Socken, von denen eine mir gehören muss, und schlüpft hinein. Unter dem Bett angelt er nach seiner Hose und zieht außer ihr noch etwas anderes hervor.

Erst auf den zweiten Blick erkenne ich das umgefaltene Foto, das mir am Vormittag zu Boden gesegelt ist. Seine Brauen schießen in die Höhe, der überraschte Ausdruck trägt eine deutlich empörte Note. Von der Rückseite blickt er selbst mir entgegen, etwas jünger mag er sein, wesentlich fröhlicher als im aktuellen Moment. Ich weiß genau, was er auf der anderen Seite erblickt, auch wenn ich ihr weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt habe. Und ich erinnere mich an meine eigenen dummen Worte, ich würde das Bild ausdrucken und umknicken und mir an die Wand heften. Ich habe sie sogar zurückgenommen, gedacht, er müsse ja nie davon erfahren. Nun erfährt er es doch, allerdings sieht er es ganz falsch.

"Ich hab es doch gewusst.", höre ich ihn murmeln. Auch wenn er noch wütend aussieht, klingen die Worte vielmehr enttäuscht. Aufgeregt rutsche ich auf der Matratze herum, entschließe mich dann, mich zu erheben und zu ihm zu treten. "Nein, das ist nicht...", setze ich an, behalte genau im Blick, wie er das Papier auffaltet, sodass die beiden jungen Männer wieder nebeneinander zu sehen sind.

Sein Finger fährt über die leicht angeraute Stelle, an der sich sein Gesicht befindet, als ahme er wissend meine Berührung nach. Doch keine Erleichterung zeichnet sich auf dem Gesicht vor mir ab. Stattdessen quillt eine Träne hervor. Die Hose noch in der Hand lässt er mich nackt im Schlafzimmer stehen und zieht kurz darauf lautstark die Wohnungstür zu.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWhere stories live. Discover now