Zauberwesen

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Er selbst ist es, der nach einigen Augenblicken den Kuss unterbricht und sich hörbar atmend aus der Enge zwischen meinem Körper und der Wand  befreit. Nur für einen Augenblick macht sich Verwunderung in mir breit, doch schon hat er sich überraschend vor mir herabgebeugt und begonnen, meine Schnürsenkel zu lockern. Ich steige aus den Schuhen heraus, beobachte gebannt, wie er aus der Hocke zu mir heraufsieht und sich langsam wieder aufrichtet. Einen winzigen Moment gönne ich mir, in dem ich erneut seinen Anblick in mir aufnehme. Seine Augen, die feinen Strukturen von Brauen, Wangenknochen, Nase, Kiefer, die weichen Lippen und sein freundliches Kinn. Schon im nächsten krallt sich meine Hand in  seine Locken und zieht genau diese weichen Lippen zurück auf meine, während die andere ihn an der Hüfte näher zieht.

Noch immer haben wir uns nicht aus dem Flur wegbewegt, noch immer tragen wir all unsere Kleidungsstücke, bis auf die Schuhe. Wir haben es nicht eilig, und doch sind die Berührungen hektisch, heftig, überladen, als müsse so viel Erleben wie möglich in jeden Moment passen.

"Zeig mir den Drachen.", verlange ich keuchend. Erst den Dachen, denke ich, denn ich weiß, wo er sich befindet und ich kenne die  Geschichte dazu. Mo grinst mich verschmitzt an, ein Anblick, der mir neu ist und das Feuer in meinem Inneren weiter nährt. "Zeig mir dein Zimmer.", gibt er zurück und ich muss lachen.

Ich ziehe ihn an seiner Hand hinter mir her, lasse ihn erst los, als ich mich sitzend auf die Matratze meines Bettes fallen lasse und er  davor stehen bleibt. Die Tür mischt sich mit einem leisen Knarzen in das Gespräch unserer Blicke, als sie es mit dem leichten Schwung, den wir ihr versetzt haben, nicht ganz in den Rahmen schafft. "Zeig mir den Drachen.", wiederhole ich mich.

Mo packt mit vor der Brust überkreuzten Armen den Saum seines Shirts und schält es sich mit einer Aufwärtsbewegung der Hände elegant vom Körper. So machen sie es auch in Filmen, denke ich kurz mit dem  unbeeindruckt wachen Teil meines Gehirns, und dass ich meine Oberteile noch immer auf die gleiche Weise ausziehe, wie ich es mit vier, fünf Jahren gelernt habe. Dann fesselt der Anblick seiner nackten Brust meine gesamte Aufmerksamkeit. Schon im Krankenhaus habe ich sie aus der Nähe gesehen, war jedoch viel zu abgelenkt von der Entdeckung, dass Mo nicht Jannik ist. Jetzt kann ich sie eingehend betrachten, bin augenblicklich gefangen in Staunen. Es ist tatsächlich alles perfekt an ihm. Ich werde nicht müde, das zu bemerken. Nicht zu stark zeichnen sich seine Rippen unter der Haut ab, die passend zum Ton seiner Haare und Augen etwas dunkler ist als meine. Dafür prägen die Muskeln ein Raster auf seinen  Bauch - so dünn wie er ist, verwundert es nicht, wie nah sie unter der Haut liegen.

Automatisch fahren meine Hände die Spur nach, die ich mit Blicken male, abwärts, aufwärts, rechts herüber, wieder hinauf, tasten nach der stärker pigmentierten, winzige Unebenheiten werfenden Haut an einer seiner Brustwarzen. Ich spüre seine Erregung deutlich unter meinen Fingern.

Vorsichtig umfasse ich seinen Körper oberhalb der Hüftknochen, helfe ihm in eine Drehung nach links, schiebe seinen herabhängenden rechten Arm zur Seite, der wie ein schwerer Vorhang die Zeichnung verdeckt. Das Bild verwundert mich, ist es doch viel stilisierter als gedacht. Ich erinnere mich, dass es nach dem Vorbild eines Kettenanhängers entstanden ist. Und gleichzeitig zwingt der Anblick ein Strahlen auf mein Gesicht.

Es nicht auf seiner Brust entdeckt zu haben, war mein Anhaltspunkt, ihm nicht zu glauben, dass er Mo sein kann. Doch nun ist es mehr als  offensichtlich zu erkennen. Er ist es. Jetzt gibt es keine Zweifel mehr.

Ich erhebe mich, bleibe dicht vor ihm stehen und merke aus der Nähe umso deutlicher, dass er mich um einige Zentimeter überragt. Ungefragt tasten sich meine Finger auch über diese Stelle seiner Haut, machen sich mit dem kleinen Zauberwesen bekannt, von dem sie schon so viel gehört haben.

Second Sight - Verliebt in eine PhantasieWhere stories live. Discover now