Kapitel 95

307 46 0
                                    

Plötzlich ist ein lauter Schrei zu hören und dass ein Kind weint. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass es der kleine Junge ist, den ich gerade beobachtet hatte. Schnell laufe ich zu ihm und knie mich neben ihn auf den Boden. Er umklammert sein linkes Bein und weint stark. "Aua auaa!", brüllt er.

"Hey, kannst du mir sagen was passiert ist?", frage ich sanft und versuche die Aufmerksamkeit des Jungen auf mich zu ziehen. Er kauert sich jedoch zusammen und blickt mich nicht an. Er beißt sich fest auf die Unterlippe und versucht, sein Weinen zu unterdrücken, doch es klappt nicht wirklich. "Möchtest du mir vielleicht verraten, wie du heißt?", frage ich stattdessen und strecke ihm meine Hand hin. "Also ich bin Louis". Der Junge blinzelt noch ein paar mal und schielt mich durch seine Locken hindurch schüchtern an. Dann greift er langsam meine Hand und erwidert meinen Druck. "Ben", flüstert er. Während ich nicht bemerke, wie Mrs. Adams und ein paar weitere Pfleger den Jungen und mich erstaunt beobachten, greife ich Ben unter die Arme und ziehe ihn nach oben, damit er sich auf den Sessel setzen kann, auf dem ich gerade noch gewartet habe. "Möchtest du mir jetzt vielleicht verraten, was dir wehtut?", wiederhole ich meine Frage von vorhin. Ben schüttelt jedoch nur den Kopf. Er murmelt etwas in der Richtung 'Ich kenne dich gar nicht'. "Ich habe eine Idee. Wir stellen uns immer abwechselnd eine Frage und der andere muss sie beantworten, einverstanden? Du darfst auch anfangen", schlage ich vor. Tatsächlich nickt Ben leicht und blickt mir endlich in die Augen. Zwar immernoch sehr verhalten, aber besser als gar nichts. "Warum bist du hier?", nuschelt er und zwirbelt den Saum seines Pullis zwischen seinen Fingern. - "Ich hoffe, dass ich hier in Zukunft arbeiten darf. Ich hatte gerade ein Gespräch mit Mrs. Adams", antworte ich ihm. - "Und darfst du?", hakt Ben nach. "Zuerst darf ich dir eine Frage stellen", antworte ich grinsend und setze mich neben ihn in einen zweiten Sessel. "Na gut", murmelt der Junge. - "Tut dir gerade etwas weh?" Ben schüttelt energisch den Kopf, doch als ich ihm einen prüfenden Blick zuwerfe, beißt er sich unsicher auf die Unterlippe und fährt mit seiner Hand über das linke Bein, das er vorhin so festgehalten hat. Auch wenn es mich brennend interessiert, wo genau er Schmerzen hat und ich ihm helfen möchte, ich muss mich wohl noch gedulden, denn Ben überlegt sich gerade eine neue Frage an mich.

"Hast du auch Kinder?"

Ich schüttle lächelnd den Kopf. "Nein, ich werde wohl nie eigene Kinder haben. Und außerdem bin ich erst 22 Jahre alt." Ben legt nachdenklich den Kopf schief. "Willst du keine Kinder?", hakt er neugierig nach. - "Doch, natürlich. Ich liebe Kinder. Aber..." Während ich überlege, wie ich es ihm kinderfreundlich erklären kann, nimmt er plötzlich meine Hand in seine und dreht an Harrys Ring. "Der ist aber schön", staunt Ben, "so einen will ich auch haben. Von wem ist der?" - "Den Ring habe ich von meinem Freund Harry", erkläre ich knapp und versuche, nicht allzu traurig auszusehen. "Olli hat mir keinen Ring geschenkt", stellt Ben betrübt fest, lässt meine Hand wieder los und betrachtet seinen Ringfinger. "Wer ist denn Olli?", frage ich. - "Mein bester Freund", erzählt der kleine Junge und lässt nachdenklich seine Beine baumeln.

"Naja... mein bester Freund Niall hat mir auch keinen Ring geschenkt. Aber Harry, er... er war mein Partner... mein Freund", erkläre ich und schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. - "Kann ich ihn mal kennenlernen?", fragt Ben. Seine Augen blitzen neugierig. - "Das geht leider nicht... Harry... er ist seit einem Jahr im Himmel. Er passt von dort auf mich auf".

- "Och manno. Kannst du dann vielleicht mit mir spielen?", fragt er und steht von seinem Sessel auf. Ben landet etwas ungeschickt auf seinen Füßen, was mich wundert, doch er klettert sogleich auf die Lehne von meinem Sessel und blickt mich mit seinen grünen Augen bittend an. "Wir machen einen Deal, okay Ben?" Als er nickt, fahre ich fort. "Du erzählst mir, wieso du hier in der Klinik bist und warum du vorhin solche Schmerzen hattest und dafür spielen wir später etwas, einverstanden?" Ich halte ihm meine Hand hin. Ben blickt noch einmal auf meinen Ring, bevor er schließlich nickt und einschlägt.

"Dann schieß mal los".

Seufzend klettert Ben neben mich und beugt sich etwas vor. Dann krempelt er sein linkes Hosenbein nach oben und was ich dort sehe, damit hätte ich nicht gerechnet.

Statt einem Bein aus Fleisch und Blut ist ein Gestell aus Schrauben und Schienen zu sehen. Eine Unterschenkelprothese. Ben fehlt ab dem Knie der restliche Teil seines Beins. Oberhalb der Prothese ist die Haut vernarbt, einige der Verletzungen sind wohl noch nicht wirklich alt und gut verheilt. "Es ist hässlich, oder?", fragt Ben traurig und knetet nervös seine Hände. Ich lege meine beruhigend auf seine. "Quatsch, das stimmt nicht. Diese Prothese macht dich nicht hässlich, ich verspreche dir, dass du die Mädels sich später mal um darum reißen werden, mit dir auszugehen", versichere ich Ben. Und tatsächlich bringe ich ihn damit zum Kichern. "Möchtest du mir denn erzählen, was da passiert ist?", frage ich nach einiger Zeit. Ben seufzt laut und krempelt sein Hosenbein wieder nach unten. "Mami und Papi haben sich im Auto gestritten, weil Papi irgendetwas getrunken hatte und trotzdem gefahren ist. Und plötzlich hat es Bumm gemacht und alles war schwarz. Als ich wieder aufgewacht bin, war Papi weg und Mami im Himmel". Ich schlucke merklich und versuche, mir mein Mitleid mit dem kleinen Jungen nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Er soll nicht denken, dass ich ihn jetzt anders sehe, als die anderen Kinder. Außer, dass er wohl ein verdammt starker kleiner Junge ist, der viel mitmachen musste.

"Mr. Tomlinson, dürfte ich Sie kurz bitten, mit mir mitzukommen?"

Mrs. Adams steht vor uns und deutet auf ihr Büro. Ich nicke sofort und stehe auf. "Wir spielen später noch etwas, Ben. Ich bin gleich wieder da", verspreche ich ihm, woraufhin er mir versichert, hier auf mich zu warten.
Ich folge Mrs. Adams in ihr Büro und setze mich wieder ihr gegenüber auf meinen Sessel.
"Mr. Tomlinson, ich möchte Sie gar nicht zu lange auf die Folter spannen... Sie haben den Job, herzlichen Glückwunsch!" Sie grinst mich begeistert an, während ich ihre Worte noch nicht wirklich realisieren kann. "Wie jetzt, ich... also... ist das Ihr Ernst?", frage ich ungläubig. - "Ja, das ist es. Meine Kollegin und ich haben gerade beobachtet, wie Sie mit Ben umgegangen sind und ich muss wirklich sagen: Hut ab! Sie müssen wissen, Ben ist nun seit einem knappen halben Jahr hier. Sein Vater war starker Alkoholiker, der regelmäßig seine Frau verprügelt und missbraucht hat. Ben war immer anwesend. Auch er musste leider Gottes einiges einstecken. Im Winter sind die drei dann mit dem Auto unterwegs gewesen. Mr. Clark war wieder einmal betrunken am Steuer. Anscheinend hat er sich aufgeregt und ist von der Strasse abgekommen. Er begang Fahrerflucht und hat seine Frau Olivia und Ben zurückgelassen. Ben lag noch mehrere Stunden neben seiner toten Mutter, bis man ihn endlich fand. Im Krankenhaus musste sein Bein durch mehrere Quetschungen leider amputiert werden". Ich senke betroffen den Blick. Ich dachte mir ja schon, dass Ben eine tragische Familiengeschichte hinter sich bringen musste, doch dass diese ein solches Ausmaß annimmt, hätte ich nicht erwartet. So lange neben seiner toten Mutter liegen zu müssen, noch dazu mit unerträglichen Schmerzen, muss einfach nur schrecklich sein.

"Doch das ist leider noch nicht alles..." Mrs. Adams blickt mich traurig an und fährt dann fort. "Seit Ben hier ist, spricht er nahezu mit niemandem. Er bedankt sich immer für das Essen oder wenn man ihm hilft, er ist höflich und immerzu freundlich, doch... er spielt nicht mit anderen Kindern, er möchte viel allein sein. Er braucht lange, bis er Vertrauen zu anderen Menschen aufbaut, es ist wirklich ein Wunder, dass er mit Ihnen geredet hat. Und genau deshalb habe ich entschlossen, Sie bei uns einzustellen. Sie scheinen wunderbar für den Job geeignet zu sein. Sie können offensichtlich gut mit Kindern umgehen, Ihr fachliches Wissen ist laut Ihrem Zeugnis hervorragend und auch sonst erscheinen Sie mir als ein netter Bursche. Willkommen im Team!"

---
Bitte das Voten nicht vergessen 😊

In diesem Kapitel kommt leider mal nichts bzgl. Larry😉

Emerald green eyes || Part 1 (Larry Stylinson)Where stories live. Discover now