|| 3 || Licht und Türen

2.6K 92 27
                                    

Leandro Cassamento

Ist unsere Liebe verloren?
Verweht, wie eine Flamme im Wind? Eine Halluzination wie eine Fata Morgana in der Wüste? Verschwunden wie ein Traum nach dem Aufwachen?

Nein, nein. Ich habe es in Avyannas Augen gesehen. Unsere Liebe war – nein, ist echt. Sie liebt mich, genauso wie ich sie.

Die richtige Frage wäre: Ist unsere Liebe genug?
Reicht Liebe allein aus, um ein glückliches Paar zu sein? Früher hätte ich keine Sekunde über diese Frage nachgedacht, schließlich wird uns schon von Kind auf beigebracht. In Märchen, Romanen und Liebesfilmen heißt es doch immer, das Liebe das Wichtigste ist. Aber stimmt das wirklich? Stimmt es nur in Geschichten oder auch in der Realität?

Je länger ich darüber nachdenke, desto unsicherer werde ich. Unserer Liebe stehen viele Dinge im Weg. Hürden, die unüberwindbar scheinen. Nun stellt sich die Frage, ob sie wahrhaftig nicht überwindbar sind, oder nur so wirken. Die Antwort auf diese Frage kenne ich nicht. Genauso wenig kann ich beantworten, ob es noch Hoffnung für unsere Liebe gibt.

Mein Herz zieht sich zusammen. Ich umklammere das Glas Whiskey fest in meiner Hand, während mein Blick aus der Glasfassade meines Büros schaut, die Lichter der Nacht bewundert.

Wenn alles verloren scheint, erfreut man sich an den kleinen Dingen, die man früher für selbstverständlich hielt.

Ein Licht vom Hochhaus gegenüber erlischt, lässt Dunkelheit zurück. Das Zimmer neben an erleuchtet. Wenige Etagen darunter geht ein weiteres Licht aus. Dafür geht ein anderes Zimmerlicht in derselben Etage an. Ein Licht geht aus, doch ein anderes geht an. Genauso wie im Spruch: Wenn eine Tür zu geht, geht eine andere auf.
Doch ist das auch bei Avyanna und mir der Fall? Ist das Licht erloschen, die Tür geschlossen? Muss ich weitergehen, ein neues Licht suchen, eine neue Tür öffnen? Ist die Hoffnung verloren wie die Liebe zwischen uns? Oder kann das Feuer neu entflammt werden? Kann die Tür aufgeschlossen werden?

Mit dem Blick auf die Stadt, deren Lichter ununterbrochen an und ausgehen, führe ich das Glas Whiskey an meine Lippen, nehme einen Schluck. Ich flüstere zu mir selbst: «Was soll ich tun?» Aufgeben und ein neues Licht, eine neue Tür suchen? Oder soll ich an dem großen Traum festhalten, so unrealistisch er auch sein mag?

Kann ich die Gefühle für Avyanna vergessen? Wird mir je ein anderes Licht hell genug strahlen? Werde ich mich nicht zurück zu der Tür zu Avyannas Herz verirren?

«Du solltest aufhören zu schmollen.»
Heftig zucke ich zusammen. Ich drehe mich um, funkele Cassian an. Cassians Haut ist bleicher, seine Augenringe tiefer. Seit seiner Nahtoderfahrung muss er sich schonen und darf nicht mehr kämpfen, was ihm schwer zu schaffen macht. «Schleich dich nicht so an!» Meine Stimme ist harscher als beabsichtigt.
Cassian zuckt nicht einmal mit der Wimper. «Ich habe drei Mal geklopft.» Ich erwidere nichts. «Du bist ein Mafia Boss.» Leicht schüttelt er den Kopf. «Nein, du bist nicht nur ein Mafia Boss, sondern der Capo dei Capi.» Er seufzt. «Du musst dich zusammenreißen, Leandro.»

Ich presse meine Lippen aufeinander. «Sag mir, Cassian, wie soll ich mich zusammenreißen, wenn mein Herz verloren ist?» Im Neben verschwunden, von der Dunkelheit bedeckt.
Ein paar Sekunden sieht er mich schweigend an. «Dann solltest du es suchen gehen.»
Meine Augen weiten sich. Ich hätte erwartet, dass er mir rät, es zu vergessen, mich auf Wichtigeres zu konzentrieren. Aber was gibt es Wichtigeres als meine Liebe zu Avyanna? Die Frau, deren Lachen die gleiche Wirkung hat, wie das Lied der Sirenen auf Piraten. Die Frau, die heller strahlt als der größte Stern. Die Frau, die mich anzieht, wie ein Blumenfeld Bienen anlockt. Die Frau, nach deren Berührungen und Liebe ich mich verzehre.

Die Erinnerungen an den Tag im Freizeitpark und die Nacht im Hotel verfolgen mich ohne Pause, tags und nachts. In Meetings, beim Essen, vorm schlafen, beim Fernsehschauen. Es ist, als würde mein Kopf sich allein um Avyanna drehen wie Planeten um die Sonne.

«Ich habe keine Schatzkarte», antworte ich. Mit einem großen Schluck leere ich das Glas.
Cassian schnaubt. «Du suchst nach Entschuldigungen.» Tue ich das? Stumm blicke ich in das leere Glas. «Du brauchst keine Karte und auch kein Kompass. Du musst nur auf dein Herz hören.»
Mein Herz schreit. Es klagt und es schmerzt.
«Und was ist, wenn es sinnlos ist? Wenn ich-» Ich stocke. Scharf ziehe ich die Luft ein. «Wenn ich sie verloren habe?» Was ist, wenn ich Avyanna nie zurückgewinnen werden kann? Oder wenn wir merken, dass es nichts bringt? Das unsere Liebe nicht genügt?
«Dann hast du es zumindest versucht», antwortet mein bester Freund. «Dann hast du Klarheit.»

Seine Worte hallen in meinem Kopf wider. Mehrere Sekunden bleibt es still im Raum, bis ich leicht meinen Kopf schüttele, das Glas auf dem Tisch abstelle und ihn frage: «Was ist mit dir und Sergio?»
Er zuckt zusammen, Schmerz tritt in seine Augen. Sein Blick wandert auf den Boden. «Ich darf meine Arbeit nicht vernachlässigen.» Seine Lippen zittern, als er sie zu einer dünnen Linie zusammenpresst. Er schluckt schwer. «Ich habe keine Zeit für eine Beziehung.»
Dieses Mal bin ich die Person, die schnaubt. «Nun bist du es der nach Ausreden sucht.»

Cassian hebt seinen Kopf und sieht mich mit einem Blick an, der mir schier mein Herz zerreißt. So viel Schmerz, so viel Qualen. Es ist derselbe Blicke, der in meinen Augen liegt. «Ich ertrage keine weiteren Schmerzen.»
Ich laufe zu Cassian, meinem besten Freund, den so viele Narben zeichnen, dass er daran beinahe verblutet wäre. Sanft lege ich meine Hand auf seine Schulter. «Du fügst dir selbst Schmerzen zu, wenn du dich von ihm fernhältst.»

Tränen treten in seine Augen. Als er spricht, beben nicht nur seine Lippen, sondern auch seine Stimme: «Ich verdiene es nicht geliebt zu werden.»

Mein Herz bricht. Tränen brennen in meinen Augen, Blut brodelt in meinen Adern. Trauer und Zorn kämpfen um die Übermacht. Cassian zeigt sich immer als starke, unbesiegbare Person, die sich von nichts runterkriegen lässt. Er verhält sich, als wäre sein Herz aus Stein, doch in Wahrheit besitzt er eine Seele wie es sie nur einmal auf Erden gibt. Meist haben die Menschen, die am kältesten wirken, das größte Herz von allen.

Ich hasse seinen Vater dafür, dass er dieser sensiblen Seele Schmerzen zugefügt hat und sein Herz gebrochen hat, bis es drohte zu verbluten, sich nach dem Tod sehnte.

Cassian kam als gebrochene Seele in die Mafia und wurde einer der gefürchtetsten Menschen des Landes.

Ich ziehe Cassian in eine enge Umarmung. Eine heiße Träne fließt über meine Wange. «Wehe du sagst noch einmal solch einen Bullshit», flüstere ich. «Du verdienst mehr Liebe, als die Welt es zu bieten hat.»

Nun zittert sein ganzer Körper. «Du wärst fast erstickt, weil ich nicht meine Arbeit gemacht habe, wie ich es hätte tun sollen.» Er schluckt laut. «Ich wusste, dass der Ball eine enorme Gefahr darstellte und dennoch-»
«Es ist nicht deine Schuld», unterbreche ich ihn. «Sonst wären wir womöglich beide in einem Grab gelegen und es hätte niemanden gegeben, der gewusst hätte, wo wir sind.»
«Aber-»
«Kein Aber.» Langsam löse ich mich von der Umarmung, schaue ihn streng an. «Gerade eben hast du mir den Rat gegeben, nicht aufzugeben. Höre auf deinen Rat. Gib nicht auf. Sei kein Feigling.»
Sobald ich diese Worte sprach, wusste ich, was ich tun muss.

Ich kann Avyanna nicht aufgeben.

_________________________

Ich hoffe, dass euch das Kapitel trotz der melancholischen Stimmung gefallen hat

Vermutlich wird das nächste Kapitel wieder witziger. Falls ihr bis dahin nicht warten wollt, könnt ihr gerne bei "Mafia: My last mission" vorbeischauen, da es dort von humorvollen Szenen nur so wimmelt :)

Mafia Romance 2 Where stories live. Discover now