|| 25 || Eine neue Epoche

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Avyanna Salvatore

Entweder war das die beste Idee meines Lebens oder ich habe meinen Verstand verloren und meine Karriere in den Ruin getrieben.
Ein zurück gibt es nicht.

Meine Lippen sind aufeinandergepresst und meine Hände habe hinter meinem Rücken ineinander verschränkt. Mit kalten Augen lasse ich meinen Blick über die hier versammelte Menge gleiten. Mehrere hunderte Mafiosi haben sich im Saal der Salvatore Villa versammelt. Sergio und Mayra sind an meiner rechten Seite und Leandro sowie Cassian an meiner linken. In der ersten Reihe stehen alle Mafia Bosse sowie ihre Berater oder Unterbosse. In den darauffolgenden Reihen stehen weitere Vertreter der neun Mafias. In den letzten Reihen befinden sich mehrere mächtigere Salvatore und Cassamento Mafiosi, die gerade entbehrlich sind.

Niemand redet, niemand bewegt sich. Nur jeder zweite Kronleuchter leuchtet und die großen Fenster sind mit schweren roten Vorhängen bedeckt, wodurch ein dämmriges und schummriges Licht entsteht. Die Stimmung ist angespannt. Jeder mag sich herausgeputzt haben, als würde er einen königlichen Ball besuchen, jedoch musste niemanden gesagt werden, dass in dieser Versammlung jede Spur von Tanz, Gelächter und Freude fehlen wird.

Das letzte Mal, als so viele Mafiosi hier waren, war es eine Feier zu Ehren meines neuen Titels als Capo dei capi. Zwar mag auch dies heutige Versammlung offiziell eine Feier sein, doch erinnert es mich mehr an die Situation, als mehrere Duzend aus meiner Familia austreten wollten und ich schließlich Lorenzo Russo getötet habe.

Leider scheint dieses Ereignis von vielen vergessen worden sein.
Es wird höchste Zeit, die Erinnerungen aufzufrischen.

Ich laufe drei Schritte nach vorne, ziehe alle Aufmerksamkeit auf mich. Meine Schritte hallen im ganzen Saal wider. Statt etwas zu sagen, stolziere ich mit einem angedeuteten Grinsen die Reihe entlang. Erneut mustere ich die hier Anwesenden. Meine Augen bleiben kalt. Nur als ich Miguel in der ersten Reihe in seinem Rollstuhl entdecke, lächle ich ihm warm zu.

Dann fällt mein Blick auf Ronaldo und mein Blick erfriert. Die goldene Brosche an seiner Brust zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. In die Brosche sind sein Familienwappen und seine Initialen eingraviert. Die Brosche wirkt alt, als wäre sie seit Generationen weitergegeben worden. Aber ich weiß es besser. Das ist ein Replikat. Seine echte Brosche befindet sich in meinem Büro. Die Brosche, die man an Caspers Tatort fand.

Für einen Moment ziehe ich es in Erwägung, ihn vor aller Augen darauf anzusprechen, jedoch belehre ich mich eines Besseren. Das ist weder der richtige Zeitpunkt, noch der richtige Ort. Wenn ich ihn des Mordes an meinem Familienmitglied beschuldige, könnte dies einen Krieg zur Folge haben – und mir reicht der nahende Krieg mit Vincenzo vollkommen.

Zumindest wäre dann die Heirat mit Miguel abgesagt.
Aber das wäre es nicht wert. Oder etwa doch?

Kaum merklich schüttele ich meinen Kopf und gehe weiter.
Ein Mafioso nach dem anderen beäuge ich. Jeder hält meinen Blick stand. Manche scheinen gar einen Starrwettkampf anzetteln zu wollen. Insbesondere Mister Gevarsi achtet darauf, während dem Augenkontakt bloß nicht zu blinzeln. Ich beachte ihn nicht weiter. So jemand wie ihn verdient meine Aufmerksamkeit nicht – außer es geht um seine Ermordung.

Zwar hat Mayra keine Begründung für diese kurzfristig einberufene Versammlung angegeben, aber die Gesichter meiner Gäste verraten, dass sie nicht ratlos hergekommen sind. Sicherlich hat sich herumgesprochen, dass wir eine Spur zu Caspers Mordfall gefunden haben. Außerdem wissen längst alle Mafiosi Bescheid, dass es wir Dokumente in Vincenzos Räume fanden.
Sie alle haben unterschiedlichste Vorstellungen, was in dieser Versammlung geschehen mag. Dennoch bin ich überzeugt, dass sie nicht erahnen, was auf sie zukommt.

Sie werden nicht in Erwägung ziehen, dass ich einer meiner eigenen Männer vor ihnen foltere und morde – und noch weniger werden sie erwarten, was danach folgt.

Eigentlich hatte ich vor, es erst in der nächsten Kommission anzusprechen, allerdings eignet sich dieses Treffen noch besser für mein Vorhaben. Mehr Zeugen und vermutlich auch mehr Morde.

Diese Versammlung ist wahrlich eine Feier.
Eine Feier der Morde.

Mit einem Lächeln im Gesicht stolziere ich zurück zu meinem Platz, bleibe neben Sergio und Leandro stehen. «Ich heiße Euch alle herzlich willkommen und danke Ihnen, dass sie kurzfristig Zeit fanden, an dieser Feier teilzuhaben», begrüße ich sie. Es ist so leise im Raum, dass ich nicht einmal ein Mikrophon benötige.
Wieder lasse ich meinen Blick über die Reihen fliegen. «Alle der hier Versammelten haben eines gemeinsam.» Ich mache eine kurze Kunstpause. «Jeder hier im Raum hat den Initiationsritus abgelegt und einen Eid geschworen. Jeder Mafioso ist verpflichtet, seiner Familia bis zum Tode treu zu bleiben. Genauso wie jeder verpflichtet ist, Frauen mit Respekt zu behandeln, aber dazu kommen wir später.»

Mafia Boss Gevarsi kann sich ein Augenrollen nicht unterdrücken. Sicherlich geht er davon aus, dass ich darauf anspiele, wie ich behandelt werde, aber da irrt er sich.

Ich nicke Dorian zu, der daraufhin aus dem Saal rausgeht. Nun wende ich mich wieder der Menschenmasse zu. «Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass diese Treue nicht von jedem ernstgenommen wird.» Wie aufs Stichwort kommt Dorian mit Jason an seiner Seite zurück. Mittlerweile ist Jason nicht nur an seinem Handgelenk gefesselt, sondern auch sein Mund ist geknebelt. Wahrscheinlich hätte er ohnehin keine Stimme mehr, so viel wie er geschrien und gefleht hat.

Einzelne Mafiosi keuchen auf, andere ziehen scharf die Luft ein und wieder andere blinzeln nicht einmal mit den Wimpern. Ich ignoriere das Geflüster und fahre unbeirrt fort: «Einer meiner eigenen Kapitäne hat meine Familia hintergangen.» Das Geflüster hört so schnell auf, wie es angefangen hat. «Ich habe Grund zur Annahme, dass Jason Kontakt zu Vincenzo hatte.»

Nun zeigt jeder eine Reaktion. Von Schock über Unglauben hinweg zu Furcht. Meine gesamte Aufmerksamkeit liegt auf Ronaldo Ancelotti, dessen Farbe aus dem Gesicht weicht. Sein Kinn ist angespannt. Eine nichtssagende Reaktion.

Jason zieht meine Augenmerk auf sich, als er heftig mit seinem Kopf schüttelt. Ich spreche weiter: «Wie Ihr bezeugen könnt, behauptet Jason, er wäre unschuldig. Er beteuert, dass Vincenzo zwar Kontakt zu ihm aufgenommen, er aber diesen konsequent abgeblockt hätte.» Jasons Kopfschütteln wandelt sich zu einem Nicken. Ich wende mich von ihm ab und starre Ronaldo an, während ich sage: «Doch selbst die Vermutung des Hochverrates ist ausreichend, um eine Hinrichtung zu fordern.»

Keuchen, Luftschnappen, aufgeklappte Münder. Niemand hätte erwartet, dass ich einen meiner eigenen geschätzten Kapitäne vor allen hinrichte – wegen einer Vermutung.

Fast hätten sie recht behalten, doch ihr Verhalten zwang mich, meine bisher versteckte Seite herauszulassen. Früher nahm ich meinen Vater mir zum Idol; wollte die Familia führen, wie er es tat. Bestimmt, aber rücksichtsvoll; erbarmungslos, aber liebevoll. Er wurde von allen respektiert, gar von vielen gepriesen. Selten habe ich anders gehandelt, als er es getan hätte, doch ich bekam weder Respekt noch Akzeptanz zurück.

Nun ist eine neue Epoche angebrochen.

Ich werde nicht länger im Schatten von Vorurteilen stehen.
Ich werde Ihnen zeigen, wer ich bin und was ich kann.

Und was eignet sich dafür besser als eine Hinrichtung meines Kapitäns?
Gekrönt wird dies mit einem Skandal, der in die Mafia Geschichte eingehen wird.

Ach, wie ich mich auf die Gesichter freue...

Mafia Romance 2 Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora