|| 15 || Ein Stück Papier

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Avyanna Salvatore

«Meine Tochter hat Luigi getötet!», schreit meine Mutter Miguels Vater an. «Sie hat die mächtigste Familia! Sie ist der rechtmäßige Capo dei capi!»
Ronaldo erwidert: «Nichtsdestotrotz wird ihr Titel aberkannt werden, wenn sie Miguel nicht heiratet.»
Meine Mutter stemmt ihre Hände in die Hüfte. «Trotzdem kannst du ihr nicht mit dem Tod drohen!»
«Wie oft denn noch? Nicht ich drohe ihr mit dem Tod, sondern meine Familia!»
«Als ob dies ein Unterschied machen würde. Du bist ihr Anführer!» Ihr Blick huscht zu Miguel. «Vorerst zumindest.»

«Uns steht die Heirat mit Avyanna zu!» Ronaldo ballt seine Hände zu Fäusten. «Es ist unser Recht.»

Gefühle drei Stunden diskutieren die beiden und bisher haben Miguel und ich uns nicht eingemischt. Aber diese Aussage lass ich nicht auf mir sitzen. «Niemand hat das Recht mich zu einer Heirat zu zwingen!»

«Doch!», brüllt Miguels Vater. Tief aber flach und scharf atmet er ein und aus, als müsse er sich davor bewahren, auf den Tisch zu hauen, dass er entzweibricht. «Der Vertrag gibt mir sehr wohl das Recht!»
Mein Körper spannt sich an, meine Muskeln verkrampfen. «Ein Stück Papier wird mich nicht um meine Freiheit bringen!»
«Das ist längst geschehen.»
«Das werde ich aber nicht zulassen.

Ronaldo zieht eine Augenbraue nach oben, sieht mich an, als wäre ich ein bockiger Teenager, der seinen Eltern nicht gehorcht. Jedoch ist er weder mein Vater, noch bin ich ein Teenager. Ich bin eine erwachsene, selbstständige Frau, die sich von niemanden etwas sagen lässt und ganz bestimmt nicht von diesem Arschloch.

Fast schon lachend sagt er: «Und was willst du dagegen unternehmen?»
Miguel misch sich ein: «Vater, zeig dem Capo dei capi mehr Respekt!» Ronaldo verdreht lediglich seine Augen und wirft mit einer flüchtigen Handbewegung die Mahnung seines Sohnes beiseite.

«Ich werde Miguel nicht heiraten», spreche ich die Worte aus, die ich seit Tagen immer und immer wieder wiederhole. «Und ganz bestimmt lasse ich mir von jemanden wie dir nichts sagen.»
Ronaldos Kinnlade fällt. Seine Haut zeichnet sich hauchdünn überseine Wangenknochen ab. «Jemanden wie mir!?»
«Jap, richtig gehört.»

Meine Mutter wirft mir einen scharfen Blick zu, sagt jedoch nichts. Obwohl sie nichts davon hält, gegen einen Vertrag zu verstoßen, hat auch sie in der letzten Stunde bemerkt, dass eine Zwangsheirat denkbar schlecht wäre. Zwei Menschenleben (wenn man Leandro außenvorlässt), würden ruiniert werden und das aus reinen Machtgründen.

«Was willst du mir damit sagen!?», provoziert Ronaldo mich.
Ich zucke nicht einmal mit der Wimper, als ich ohne weiteres antworte: «Dass du ein Arschloch bist.»

Empört schnappt er nach Luft. Meine Mutter zischt: «Avyanna!»
Ich zucke mit den Schultern, bereue meine Worte nicht ein bisschen. «Nur ein Arschloch setzt Macht über das Wohl seines eigenen Kindes.»

«Es ist nur zu Miguels Bestem!»

Ich rolle meine Augen. «Einreden kann man sich ja vieles.»

Miguel brummt: «Du meinst wohl eher das Beste der Mafia.»
«Miguel!» Ronaldo wirft seinem Sohn einen zornigen Blick zu.
Miguel entgegnet dessen Blick unbeirrt. «Du kannst die Wahrheit nicht leugnen. Mein Wohl hat dich nie interessiert. Die Familia war stets deine erste Priorität.»

«Unsere Familia!»
Miguels Augenbraue wandert nach oben. Er schnaubt. «Wenige Sekunden davor war die Rede noch von deiner Familia.»
«Das stimmt doch gar nicht!»

Okay, jetzt wird's lächerlich.

Wie gerufen, erhalte ich einen Anruf. Gott sei Dank, endlich werde ich von meiner persönlichen Hölle befreit! Als ich mein Handy hervorziehe und den Namen am Display aufleuchtet, verkrampft sich mein Herz.

«Wer ruft dich an?», erkundigt sich Mutter. «Gibt es Probleme in der Mafia?»
«Es ist Leandro.»

Genervt stöhnt Ronaldo. «Dieser Scheißhund sollte es nie wieder wagen, dich anzurufen! Du bist mit jemand anderem verlobt! Ist er zu blöd, das zu verstehen, oder wieso lässt der dich nicht in Ruhe!?»

«Halt deine verdammte Fresse!», platzt es aus mir heraus.

Vor Schreck keuchen meine Mutter und Miguels Vater auf. Miguel hingegen verkneift sich ein Schmunzeln.
Zwei Mal atme ich tief durch, bevor ich hinzufüge: «Beleidige Leandro noch einmal und du wirst es bereuen.»

Gerade als ich Leandros Anruf entgegennehmen möchte, knurrt Ronaldo: «Ich fürchte mich nicht vor kleinen Mädchen.»

Meine Kinnlade fällt. Miguels Kinnlade fällt. Dianes Kinnlade fällt.
Eiseszorn schießt durch meine Adern. Meine Nägel graben sich in mein Fleisch, ich strecke mein Kinn raus, meine Schultern zurück. Meine Hand zuckt, als würde sie nach einem Messer greifen wollen. «Dieses kleine Mädchen», spucke ich aus, «ist Capo dei capi!»

Das Klingeln von Leandros Anruf verklingt. Es wird still im Raum.

«Was zählt schon ein Titel, wenn niemand dich respektiert?»

Verdammt, das tut weh. Denn Ronaldo hat Recht. Ein Titel verliert seine Wirkung, wenn ihn niemand respektiert. Was bringt ein Titel, wenn dich niemand achtet? Was bringt ein Titel, wenn man eine Frau ist?

Ein Titel ohne die gebührende Anmerkung ist wie ein Königreich ohne Volk. Nutzlos. Nicht mehr wert als ein Mülleimer.

Eisige Stille breitet sich im Raum aus. Niemand wagt es etwas zu sagen, gar zu atmen. Nur Ronaldo sieht lässig drein. Erneut zuckt meine Faust, doch dieses Mal würde ich es bevorzugen, ihm in die Fresse zu schlagen, dass es seinen Kopf nach hinten in den Nacken schleudert und Blut spritzt. Dann würde ich ihm einen weiteren Schlag gegen das Kinn verpassen, dem Knacken und seinem Schrei mit Vergnügen lauschen.

«Für diese Worte könnte ich dir deine Zunge abschneiden lassen», entgegne ich mit einer Stimme, deren Kälte unter dem Gefrierpunkt liegt.
Ronaldo schnaubt. «Wenn du willst, dass dein Titel aberkannt wird, dann nur zu.»
«Du hast aber eine hohe Meinung von dir, wenn du denkst, dass wegen einer abgehackten Zunge sich alle Mafiosi gegen den Capo dei capi stellen.» Ich schürze meine Lippen, mustere ihn abfällig von oben bis unten. «Niemand schert sich einen Dreck um dich.»

Ronaldo benötigt drei Sekunden, um sich von dem Schock zu erholen. Seine Nasenflügel zittern vor Wut. «Die Mafiosi reißen sich bereits um einen Grund, dir den Titel zu entreißen! Ein kleinster Fehler und du bist erledigt!»
«Wenn mir der Titel aberkannt wird, bringt dir die Zwangsheirat auch nichts mehr.»

Ronaldo öffnet seinen Mund, jedoch bin ich bereits dabei Leandro zurückzurufen.
Beim ersten Klingeln nimmt er ab. «Wo bist du?»
Ich schlucke schwer, traue mich fast nicht, die Worte auszusprechen: «Ancelotti Villa.»
Kurz bleibt es still. «Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.»
Erneut schlucke ich. «Was ist geschehen?»
Leandro zieht scharf die Luft ein. «Ich würde es dir lieber persönlich sagen.»
Mein Magen dreht sich um, Angst schnürt mir die Kehle zu. «Was ist geschehen?», dränge ich ihn.

«Wir haben eine Leiche gefunden.»

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Von wem ist wohl die Rede? Wer ist gestorben? Oder sollte ich lieber fragen: Wer ist ermordet worden...?

Mafia Romance 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt